1974 - Roman Polanskis letzter US-Film Chinatown

12.11.2012 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
1974 - Roman Polanskis letzter US-Film Chinatown
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1974 - Roman Polanskis letzter US-Film Chinatown
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Roman Polanski ist für sein wechselvolles Privatleben mindestens genauso berühmt wie für seine Maßstäbe setzenden Filme. Der moderne Film noir Chinatown war 1974 der letzte Streifen, den er drehte, bevor er den USA für immer den Rücken kehren musste.

Vor ein paar Tagen saß ich in einer Vorlesung über Atmosphären im Film. Der Schwerpunkt dabei lag auf Wettererscheinungen und so sah ich auf der Leinwand Stills aus uralten Streifen wie Der heilige Berg von 1926, die durch ihre blaue Koloration den Eindruck von Kälte erweckten. Nun ist mir aber Wärme so viel lieber, und weil ich schon einige Seminarstunden hinter mir hatte, begann ich, vor mich hinzuträumen. Und siehe da, ein ganz anderer Film erschien plötzlich vor meinem geistigen Auge. Ein Film, der sich ebenfalls durch eine fast schon beklemmend dichte Atmosphäre auszeichnet, der mit Regen oder Kälte als Wetterphänomen allerdings so gar nichts zu tun hat.

Film noir reloaded
Faktisch ist es in Chinatown viel eher die auffällige Abwesenheit von Wasser, die den Plot ins Rollen bringt. Im Los Angeles des Jahres 1937 tobt eine Auseinandersetzung um Wasserrechte, die der Detektiv J.J. Gittes nur aufdeckt, weil er in Ermittlungen um eine Familiengeschichte hineingezogen wird, die von Minute zu Minute tragischer erscheint.

Roman Polanski orientierte sich für seine Produktion an wahren Begebenheiten, und inszenierte Chinatown als modernen Film noir. Die Entscheidung für diesen Stil passte in der Tat wie die Faust aufs Auge, waren es doch schon in den düsteren Klassikern der 30er und 40er Jahre ambivalente Antihelden, die sich in der kriminellen Unterwelt amerikanischer Großstädte ihren Platz erkämpfen mussten und nicht selten daran scheiterten. Ikonisch wurde etwa James Cagney, der schon 1931 in Der öffentliche Feind die Tradition der hardboiled-novels auf die Leinwand brachte, und im Film seiner Freundin eine halbe Grapefruit ins Gesicht drückte. Nicht gerade die feine Englische.

“Forget it, Jake. It’s Chinatown.”
Ganz so bunt treibt es der nicht weniger ikonische Jack Nicholson in seiner Rolle des undurchsichtigen Detektivs dann doch nicht. Viel eher wird er zum Opfer eines Cameo-Auftritts seines Regisseurs höchstselbst, der dem Ermittler in einer Szene den linken Nasenflügel aufschlitzt. Wenn jemand seine Nase auch zu tief in fremde… naja, lassen wir lieber die drittklassigen Wortspiele.

Natürlich fehlt in Chinatown auch die für den Film noir unabkömmliche Femme fatale nicht. Faye Dunaway spielt die geheimnisvolle Mrs. Mulwray, und erinnert in dieser Rolle an die Gangsterbraut, die sie einige Jahre zuvor im wegweisenden Bonnie und Clyde verkörpert hatte. Eine weitere Parallele bildet Robert Towne, der für die Scripte beider Filme verantwortlich zeichnet, und 1975 den Oscar für das Beste Originaldrehbuch abstaubte. Es blieb außerdem bei ganzen 10 weiteren Nominierungen für Chinatown.

Das filmreife Privatleben eines Filmemachers
Jenseits der raffinierten Filmkunst bleibt der Neo-Noir aber auch für die wechselvolle Geschichte seines Regisseurs im kollektiven Cineastengedächtnis. Mit seiner undurchsichtigen Vergangenheit böte Roman Polanski im Grunde alle Voraussetzungen, um selbst zur Figur in einem Film noir zu werden. Tatsächlich handelt es sich bei Chinatown um den letzten Streifen, den der polnisch-französische Filmemacher in den Vereinigten Staaten drehte, bevor er Amerika für immer den Rücken kehrte.

Schon 1969 hatte Polanski traurige Medienberühmtheit erlangt, nachdem Anhänger des Kriminellen Charles Manson seine hochschwangere Frau Sharon Tate ermordet hatten. 1977 klagten kalifornische Anwälte den Regisseur schließlich wegen Vergewaltigung einer damals Dreizehnjährigen an. Er bekannte sich zum „außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einer Minderjährigen“ und nutzte kurz darauf die erste Gelegenheit, um sich nach Europa abzusetzen. Aus Angst vor einer erneuten Verhaftung betrat er die USA daraufhin nie wieder.

Nach einer erneuten Verhaftung 2009 in Zürich folgte erneuter Medienrummel um Polanskis Person. Berühmte Kollegen wie Woody Allen, Pedro Almodóvar oder Martin Scorsese unterzeichneten eine Petition gegen seine Festnahme, und sogar das Opfer von 1977 sprach sich öffentlich dafür aus, die Klage gegen den Regisseur fallen zu lassen. Heute ist Roman Polanski wieder ein freier Mann. Böse Pressezungen behaupteten, dass er die Erfahrungen seines Hausarrests in seinem letzten Kammerspiel Der Gott des Gemetzels verarbeitet hatte. Aber Anklage und mediale Häme hin oder her – ohne Zweifel steht immerhin eines fest: Roman Polanski ist einer der vielseitigsten Filmemacher der Gegenwart.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1974 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
28. April 1974 – Penélope Cruz, die verrückte Ex aus Vicky Cristina Barcelona
28. Oktober 1974 – Joaquin Phoenix, singt die Songs von Johnny Cash in Walk the Line
11. November 1974 – Leonardo DiCaprio, verendet in Titanic an einer Tür hängend

Drei Filmleute, die gestorben sind
31. Januar 1974 – Samuel Goldwyn, Produzent und Mitgründer von MGM
13. Oktober 1974 – Ed Sullivan, Entertainer und Produzent der Ed Sullivan Show
13. November 1974 – Vittorio De Sica, Regisseur von Klassikern des Neorealismus wie Fahrraddiebe

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – Der Clou von George Roy Hill (Bester Film, Regisseur, Kostüme)
Golden Globes – Der Exorzist von William Friedkin
Goldene Palme – Der Dialog von Francis Ford Coppola

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Der Wilde Wilde Westen von Mel Brooks
Flammendes Inferno von John Guillermin
Frankenstein Junior von Mel Brooks

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
20. Juli 1974 – Der Zypernkrieg beginnt mit dem Einmarsch durch türkische Truppen
09. August 1974 – Richard Nixon tritt infolge der Watergate-Affäre zurück
27. September 1974 – Die DDR verabschiedet sich in einer Verfassungsänderung vom Begriff der deutschen Nation und dem Ziel der Wiedervereinigung

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