1985 - Sex und Gewalt im Cinema of Transgression

08.04.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Sex und Gewalt im Cinema of Transgression
Deathtrip Films
Sex und Gewalt im Cinema of Transgression
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Actionfilme, Thriller oder Horrorschocker aus früheren Jahrzehnten büßen im Laufe der Zeit oft ihre Wirkung ein. Nicht zwingend aber die provokativen Filme des Cinema of Transgression.

Wer ein Manifest verfasst, ist von seiner Meinung in der Regel ziemlich überzeugt. Und nicht nur das, er schreckt oft auch nicht davor zurück, sie mit kämpferischen Mitteln durchzusetzen. Dass es für den erfolgreichen Kampf nicht zwingend einer Bazooka, unbemannter Flugdrohnen oder Molotov Cocktails bedarf, verrät schon das Sprichwort von der Feder, die waffentechnisch das Schwert übertrifft. Und was für das geschriebene Wort gilt, gilt so oder so ähnlich auch für das Bild, ob bewegt oder nicht. So verwundert es kaum, dass auch Manifeste aus der Welt des Films ziemlich radikal daherkommen.

Eine Front gegen filmgewordene Langeweile
1985 erschien im Underground Film Bulletin eine äußerst radikale Schrift namens Cinema of Transgression Manifesto. Sie wurde zwar unter einem Pseudonym veröffentlicht, der Verfasser war jedoch besonders in der Umgebung von New York City allseits bekannt: Nick Zedd zeichnete für den Text verantwortlich, in dem er ein Kino forderte, das sich radikal gegen bestehende Konventionen wenden sollte.

Schon in den frühen Achtzigern war der Filmemacher Nick Zedd mit Kurzfilmen aufgefallen, deren provokative Titel wie They Eat Scum Programm waren. In seinen Werken verband er tiefschwarzen und äußerst derben Humor mit expliziten SM-Aufnahmen und einer hohen Dichte an Schockeffekten, und fand dabei in der Undergroundszene des East Village diverse Gleichgesinnte. Die vom Punk beeinflusste Sängerin Lydia Lunch trat in seinen Filmen auf, das Pin-up Girl Lung Leg beteiligte sich und Regisseur Richard Kern komplettierte schließlich die Kerntruppe der neuen Bewegung.

Einmal gegen Alles
Fehlte nur noch die passende Kampfschrift, um der Formation einen theoretischen Unterbau zu und einen offiziellen Anstrich zu verleihen. Im Manifest griff Nick Zedd die in den Sechziger Jahren entstandenen Filmschulen an, die seiner Meinung nach den Underground-Film à la Andy Warhol und Jack Smith zerstört hatten und mit den immer gleichen Kinokonventionen Filme entstehen ließen, die es nicht wert waren, gesehen zu werden. Auch die „geriatrischen Filmkritiker“ prangerte er dafür an, neue Generationen von Filmemachern schlicht zu ignorieren.

Zedds Sprache nahm dabei nicht gerade weichgespülte Formen an, stellte sich vielmehr ganz in den Dienst der von ihm propagierten Grenzüberschreitung: „Wir schlagen vor, dass alle Filmschulen in die Luft gejagt und nie wieder langweilige Filme gemacht werden“, so lautete noch eine der harmlos formulierten Forderungen. Äußerst klar artikulierte er im Folgenden, was gegen die verhasste Langeweile zu unternehmen sei: „Es wird Blut geben, Scham, Schmerz und Ekstase, einer Art wie sie sich noch nie jemand vorgestellt hat. Nichts und niemand soll unbeschädigt bleiben. Da es kein Leben nach dem Tod gibt, ist die einzige Hölle die Hölle des Betens, Gesetze zu befolgen und sich selbst zu erniedrigen […] Der einzige Himmel ist der Himmel der Sünde, rebellieren, Spaß haben, ficken, neue Dinge lernen und so viele Regeln wie möglich brechen.“

Penisneid, Kastrationsangst, Vergewaltigungen und SM im Kino
Das Manifest war veröffentlicht, nun sollten die Worte keine leeren Versprechungen bleiben. Und das blieben sie auch nicht. Spätere Low-Budget-Filme von Nick Zedd schockten das breite Publikum allein schon mit Titeln wie Whoregasm, War Is Menstrual Envy oder Lord of the Cockrings. Dazu gesellten sich vor allem die Werke von Richard Kern, die denen seines Kollegen in nichts nachstanden. Fingered erzählte in nur 25 Minuten die Geschichte mehrerer Morde und Vergewaltigungen, King of Sex kam als SM-Porno daher und in Sewing Circle ließ sich eine Frau ihre Vagina zunähen.

Heute widmet sich Richard Kern in erster Linie der Fotografie und dreht nach wie vor Musikvideos – so stammen unter anderem die Clips zu Death Valley ’69 von Sonic Youth oder Lunchbox von Marilyn Manson von dem Schockregisseur. Auch der Urheber der Bewegung dreht noch immer – so sind einige seiner Werke in der Sammlung Abnormal: The Sinema of Nick Zedd zusammengefasst. Weiten Teilen des jetzigen Kinopublikums ist das Cinema of Transgression heute trotzdem nicht mehr bekannt. Umso schöner, dass es noch immer reichlich Überraschungen gibt.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1985 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
26. März 1985 – Keira Knightley, die Piratenbraut aus Fluch der Karibik
28. Mai 1985 – Carey Mulligan, verführte Minderjährige aus An Education
03. Dezember 1985 – Amanda Seyfried, Kind auf Vatersuche in Mamma Mia!

Drei Filmleute, die gestorben sind
16. Mai 1985 – Margaret Hamilton, die böse Hexe aus Der Zauberer von Oz
02. Oktober 1985 – Rock Hudson, der schöne Gärtner aus Was der Himmel erlaubt
10. Oktober 1985 – Orson Welles, gefeierter Regisseur von Citizen Kane

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – Amadeus von Milos Forman (Bester Film, Hauptdarsteller, Regisseur)
Goldene Palme – Papa ist auf Dienstreise von Emir Kusturica
Los Angeles Film Critics Association Awards – Brazil von Terry Gilliam

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Zurück in die Zukunft von Robert Zemeckis
Rambo II – Der Auftrag von George P. Cosmatos
Rocky IV – Der Kampf des Jahrhunderts von Sylvester Stallone

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
01. September 1985 – Jean-Louis Michel und Robert Ballard entdecken das Wrack der Titanic
07. Oktober 1985 – das Passagierschiff Achille Lauro wird von palästinensischen Terroristen entführt
09. November 1985 – Garri Kasparow wird der jüngste Weltmeister der Schachgeschichte


Katrin Doerksen hat es zum Filmwissenschaftsstudium nach Mainz verschlagen. Dort sitzt sie nun also und wenn sie nicht studiert, schreibt sie trotzdem über die Geschichte des Films, und zwar in der Rubrik Markante Momente bei moviepilot. Über Themenwünsche, Anregungen oder Kritik freut sie sich immer. Wer wissen will, womit sie sich nebenbei noch beschäftigt, folge ihr bei facebook oder auf ihrem Filmblog L’Age d’Or.

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