Alfonso Cuarón - Magier der Wirklichkeit

28.11.2011 - 08:50 Uhr
Alfonso Cuarón mit Emma Watson am Set von Harry Potter 3
Warner Bros.
Alfonso Cuarón mit Emma Watson am Set von Harry Potter 3
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Im neuen Jahrtausend sind einige spannende Regie-Sterne am Himmel aufgegangen, doch kaum einer zeigte sich so vielseitig und experimentierfreudig wie Alfonso Cuarón. Wir gratulieren dem Mann hinter Children of Men zum 50. Geburtstag.

Er ließ Clive Owen in scheinbar endlosen Plansequenzen durch das umkämpfte Bexhill-on-Sea rennen und brachte die Harry Potter-Filme auf eine neue Ebene. Heute feiert der mexikanische Regisseur Alfonso Cuarón seinen 50. Geburtstag. Während die Cineasten gespannt auf sein neues Werk Gravity warten, wird es Zeit, sich vor diesem selten gehypten, aber nichtsdestotrotz äußerst begabten Filmemacher zu verbeugen.

Lust for Life
Zusammen mit Guillermo del Toro und Alejandro González Iñárritu bildete Alfonso Cuarón die Speerspitze einer kleinen, aber feinen mexikanischen Invasion, die Hollywood in den 2000ern infiltierte. Die drei Filmemacher, die nicht nur eine gemeinsame Produktionsfirma verbindet, arbeiteten sich mit ganz unterschiedlichen Werken in die erste Liga ihres jeweiligen Spezialgebiets. Der Fantast Guillermo Del Toro hat sich mit Hellboy und Hellboy II – Die goldene Armee zum Experten für erwachsene Blockbuster gemausert, Alejandro González Iñárritu dagegen bleibt der harten Realität im Arthouse-Segment treu. Alfonso Cuarón steht thematisch und stilistisch zwischen seinen beiden Kollgen.

Bereits in seinem ersten Hollywood-Film Little Princess (1995) feierte Alfonso Cuarón die kindliche Fantasie, die dem harten Alltag während des Ersten Weltkriegs in ein warmes, leuchtendes Licht tauchte. Selbiges durchzog auch seine modernisierte Dickens-Verfilmung Große Erwartungen (1998) mit Ethan Hawke, Gwyneth Paltrow und Robert De Niro. Da glitzert der Kuss beim Wasserspender wie ein träumerisches Überbleibsel aus einer Märchenerzählung. Doch der große Durchbruch sollte erst mit der Rückkehr in die mexikanische Heimat gelingen. Das aufgeheizte Road Movie Y Tu Mama Tambien – Lust for Life (2001) vermischte Elemente des Coming of Age-Dramas mit kaum versteckter Kritik an den mexikanischen Verhältnissen.

Wie bei den meisten Filmen von Alfonso Cuarón glänzt auch der ansonsten eher reduzierte Y tu mamá también mit ausgesprochen dichten Bildern, deren Inhalt voller Widersprüche steckt. Da fahren die reichen und vor allem geilen Kids durch die mexikanische Landschaft, kiffen, vögeln, reden belangloses Zeug, während sich im Hintergrund die sozialen Misstände ins Bild drängeln. Ihre Suche nach dem (erfundenen) mythischen Strand gleicht einer hedonistischen Flucht vor eben jener Wirklichkeit. Nur erweist sie sich im Laufe des Films als aussichtslos.

Lumos!
Mit Harry Potter und der Gefangene von Askaban (2004) betrat Alfonso Cuarón schließlich das Blockbuster-Parkett und rettete die Reihe mal eben vor sich selbst. Zwar funktionieren die ersten beiden Adaptionen von Chris Columbus noch als nette Kinderfilme. Doch schon im zweiten Teil erweist sich die stillose Nachahmerei der Bücher als Einbahnstraße. Alfonso Cuarón unterzog die noch junge Serie einer Frischzellenkur. So wirkt die schottische Landschaft plötzlich nicht mehr nur verwunschen, sondern rau, was dem düsteren Anteil der Geschichte zu Gute kommt. Immerhin ist Harry zum Teenager geworden und mit ihm nehmen wir endgültig die rosarote Brille ab. Der frische Schuss Realismus lässt den stets im Hintergrund zu erahnenden Schatten des Sirius Black umso bedrohlicher wirken.

Vor allem aber zeichnet den dritten Harry Potter eine Wiederentdeckung der Magie im Alltag aus. Mit seiner an Guillermo des Toro erinnernden Detailverliebtheit, aber auch der an Symbolen reichen visuellen Erzählung gelingt es Alfonso Cuarón, die wie auch immer geartete Essenz der Bücher erstmalig auf die Leinwand zu bannen. So drehte er den ersten Harry Potter-Teil, der auch als Film funktioniert.

Große Erwartungen
All das, was seine bisherigen Filme ausgemacht hat – der magische Realismus, die detaillierten Bildwelten und natürlich die Plansequenzen – führte Alfonso Cuarón in seiner Dystopie Children of Men (2006) zu einem vorläufigen Höhepunkt. Da rennt Clive Owen durch das umkämpfte Bexhill-on-Sea auf der Suche nach dem ersten Neugeborenen seit 18 Jahren. Die Kamera von Emmanuel Lubezki lässt einfach nicht ab von ihm, der das einzige kleine, ja sogar magische Wunder in der dem Irrsinn verfallenen Welt retten will. Diese zerfleischt sich derweil förmlich selbst.

In Children of Men verleiht Alfonso Cuarón einer Welt, in der nichts mehr einen Sinn zu haben scheint, einen Funken Hoffnung, Schönheit, Unschuld, der zu keiner Zeit zum Kitsch abgleitet. Dass die technische Meisterleistung hinter den diversen Plansequenzen davon, also vom Wesentlichen, nicht ablenkt, zeugt vom großen Talent des Mexikaners. Nicht zuletzt deswegen bin ich gespannt, wohin sein Weg mit dem ambitionierten Science Fiction-Projekt Gravity führen wird. Die vergangenen 20 Jahre haben jedenfalls gezeigt, dass wir von dem heutigen Geburtstagskind Alfonso Cuarón noch viel erwarten können.

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