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Am seidenen Lebensfaden

01.03.2015 - 10:57 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Wer zieht hier die Fäden?
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Wer zieht hier die Fäden?
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Die große Community-Blogaktion blog me if you can geht in die zweite Runde! Es fanden sich erneut mehrere Moviepiloten zusammen, um kreative und interessante Blogartikel zu Filmen und Serien zu schreiben, dieses Mal zum Thema "Puppentheater". Auch ihr, liebe Leser, könnt bei dem Projekt mitmachen und euch jederzeit dem aktuellen Monatsthema widmen. Wie das funktioniert, erfahrt ihr in den FAQ. Alle weiteren Texte zum Thema "Puppentheater" findet ihr am Ende dieses Blogartikels.

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Wie ein Miniaturabbild unserer selbst, gehalten von alles kontrollierenden Fäden und mit ein paar geschickten Handgriffen zum Leben erweckt: Die Marionette. Bereits in der Antike stellten die Ägypter 2000 Jahre v. Chr. Marionetten zum Gebrauch bei Ritualen und Zeremonien her und bei den Griechen finden sich die ersten schriftlichen Bezüge zum Puppenspiel, das nach seiner Renaissance im England des 19. Jahrhunderts allmählich an Bedeutung verlor und heute nur noch eine verschwindend kleine Nische der Unterhaltung und des künstlerischen Ausdrucks ist.

Um die Jahrtausendwende kam dem dänischen Regisseur Anders Rønnow-Klarlund während eines Flugs allerdings die Idee zum ersten abendfüllenden Marionettenspielfilm der Welt und vier Jahre später wurde mit einem Budget von fünf Millionen Euro und rund 150 Mitarbeitern das fantastische Epos Strings- Fäden des Schicksals auf die Leinwand gebracht. Das mechanische Puppentheater und der Bilderrausch des Kinos waren endlich vereint.

In der Eröffnungssequenz des Films ist die Illusion ganz bewusst noch nicht errichtet. Der Film dreht sich zwar um eine Fantasygeschichte, deren Charaktere von Marionetten dargestellt werden, doch während die Opening Credits zu sehen sind, beobachten wir Kulissen, die als solche erkennbar sind und eben die Puppenspieler, sozusagen die Drahtzieher des gesamten Filmgeschehens, wie sie mit den Fäden der Marionetten hantieren. Als die Filmhandlung jedoch mit einem Monolog endgültig einsetzt, bleiben die sichtbaren Fäden kein extradiegetisches Element, also nicht außerhalb des Erzählten stehend, sondern werden tatsächlich in die Welt von Strings eingebunden und zu einem essentiellen Bestandteil der Figuren.

Wortwörtlich hölzerne Mimik wird durch Gestik wettgemacht.

Es beginnt mit dem Selbstmord des Herrschers der Stadt Hebalon, der damit nicht nur seiner Sehnsucht nach Frieden zwischen seinem Reich und den verfeindeten Zerithern Ausdruck verleiht, sondern auch das Konzept der Lebensfäden einführt. Die Fäden der Marionetten als Teil der Welt machen die Charaktere erst beweglich, erst lebensfähig. Wer diese Fäden letztlich kontrolliert, weiß niemand genau; dahinter können nur höhere Mächte vermutet werden. Eins ist jedoch gewiss: Durchtrennt man den Lebensfaden am Kopf einer Marionette, stirbt sie. Und so greift Halderon zum Schwert und schneidet sich - ganz wörtlich - von den Fesseln des Lebens los.

Die Fäden Teil des Worldbuildings zu machen und dadurch die Regeln des Settings zu definieren, äußert sich auch in einigen tollen Aufnahmen, wenn zahlreiche Marionetten zusammenkommen und Faden um Faden schier endlos in den Himmel ragt. Dann wird einem bewusst, dass die Welt von Strings eine Welt ohne Dächer ist, da jede Figur auf die schicksalslenkenden Fäden angewiesen ist. Türen werden dadurch zu bloßen Querbalken, die hoch genug über Kopfhöhe angebracht sind, denn mehr braucht es nicht, um unerwünschte Besucher am Eintritt zu hindern. Auch Gefängnisse müssen sich dem Puppenspiel unterordnen und werden zu horizontalen Gittern, mehrere Meter über dem Boden, in die die Gefangenen von oben herabgelassen werden und aufgrund der sie umgebenden Balken fortan in ihrer Bewegung stark eingeschränkt sind.

Die Marionetten müssen allen Elementen strotzen.

Mit rund 10 Kilometern Schnur und 22 der besten Puppenspieler aus Europa und den USA kreierte Anders Rønnow Klarlund nicht nur formal filmgewordenes Puppentheater vom feinsten, sondern verwob das Puppenspiel auch als Motiv in die Plotstruktur, wenn er den schurkischen Bruder Halderons, Nezo, die Geschicke aus dem Hintergrund lenken lässt. Er stellt die Bewohner Hebalons und vor allem eben den Nachfolger auf den Thron, Protagonist Hal, vor falsche Tatsachen und initiiert auf dieser Basis essentielle Teile der Filmhandlung. Ein bisschen die Wahrheit vertuscht, ein bisschen falschen Hass geschürt und schon steuert er Hal wie eine Marionette nach seiner Verfügung in einen vermeidbaren Krieg und den vermeintlich sicheren Tod. Der Thronerbe, von Wut und Rachegelüsten gelenkt, will zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt ist (ha!), ahnt jedoch nichts von der manipulativen Macht, die an ihm zerrt. Die Erkenntnis der Wahrheit wird schließlich zum ultimativen Wendepunkt und zum Symbol dafür, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Darin steckt ganz bewusst das Spiel mit dem Determinismus und der Kraft, schließlich aus diesem linearen Lauf der Dinge auszubrechen. Für die Hebalonier und die Zerither in ihrer Gesamtheit bedeutet dies, die vorhersehbare, scheinbar endlose Spirale der Gewalt zu durchbrechen.

Die Vorstellung des Puppenspiels zieht sich wie ein roter Faden (oho!) durch sämtliche Ebenen des Films, angefangen von der technischen Umsetzung bis hin zur Gefühlswelt der Charaktere und ihren fremdbestimmten Plotfäden. In diesem einzigartigen Marionettenkino steckt nicht nur jede Menge handgemachte Arbeit, sondern auch Köpfchen und ganz besonders viel Herzblut.

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