Animationsfilme, werdet endlich erwachsen!

01.08.2011 - 08:50 Uhr
Cars 2
Disney/Pixar
Cars 2
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Seit kurzem rast Cars 2 durch die Kinos und demnächst brechen die Schlümpfe zu einem neuen Abenteuer auf. Doch müssen Animationsfilme immer süß, knuddelig und kinderfreundlich sein? Anders gesagt: Ich will mehr animiertes Blut sehen!

Was Pixar erfolgreich macht, ist bekanntlich der Mix aus kinderfreundlichen Stories mit Themen, die Erwachsene ansprechen. Pixar ist alles in allem awesome, das ist der Konsens, dem ich mich gern anschließe. 16 Jahre nach dem Kinostart von Toy Story hat sich die Pixar’sche Zauberformel allerdings nicht wesentlich geändert. Das Animationsstudio hat die Vielschichtigkeit seiner Filme stärker ins Visier genommen (allein Die Unglaublichen – The Incredibles schreit nach ganzen Aufsatzbänden!). Im Wesentlichen peilen Pixar-Filme jedoch weiterhin den Spagat zwischen zwei Zielgruppen an: Kindern und ihren Eltern. Doch warum hegt der Animationsfilm… Oder besser: Warum hegt der amerikanische Animationsfilm solch eine Scheu vorm Älterwerden?

Kiffende Hippie-Katzen
Zeichentrickfilme begleiten das Kino bereits seit seinen frühen Jahren und keinesfalls soll hier die weltweite Animationsfilmproduktion über einen verallgemeinernden Kamm geschert werden. Mich interessiert wie immer das amerikanische Mainstreamkino. Hollywood dominiert immer noch, was im Großteil unserer Lichspielhäuser läuft, was nachwachsende Generationen überhaupt unter dem Begriff “Film” fassen. Hollywood wiederum definiert Animationsfilme seit jeher als Kinderzeugs. Das begann mit dem Erfolg von Walt Disney und lässt sich an diesjährigen Kinostarts wie Rio, Gnomeo und Julia, Hop – Osterhase oder Superstar? und Kung Fu Panda 2 ablesen. Und das sind nur Beispiele aus der ersten Jahreshälfte.

Weiten wir den Blick auf den amerikanischen Animationsfilm aus, fällt v.a. ein Name auf: Ralph Bakshi. Der hat nicht nur Der Herr der Ringe vor diesem komischen haarigen Neuseeländer verfilmt, sondern mit Fritz the Cat einen der erfolgreichsten unabhängigen Animationsfilme überhaupt gedreht. Das war 1972, also in einer Zeit, in der singende Disney-Tiere, Vietnamkrieg und Counter Culture nicht so einfach zu vereinen waren. Vor Jahren habe ich den Film zum ersten Mal nachts im Fernsehen gesehen und mich nur gefragt: Was zum…? So seltsam, politisch unkorrekt wirkte der Streifen über einen hedonistischen Kater im New York der wilden 60er. Gruppensex, Drogen und viel Politik waren die Inhaltsstoffe dieses ganz und gar nicht kindlichen Animationsfilms. In den USA war er nur ab 18 freigegeben.

Können wir uns das heute vorstellen? Ein amerikanischer Animationsfilm ab 18, der weltweit 100 Millionen Dollar einspielt! Undenkbar scheint das selbst für einen Indie-Streifen, obwohl Talente wie Bill Plympton (Idiots and Angels) und Don Hertzfeldt (Rejected) Ausdruck einer lebendigen Szene sind. Animationsfilme made in Hollywood stehen spätestens seit der Jahrtausendwende im Zeichen der Dollar-Note. Die 70er mitsamt ihren Chancen und Wagnissen im Filmgeschäft sind lange vorbei. Das wird insbesondere durch gescheiterte Projekte wie Titan A.E. verdeutlicht.

Big in Japan
Viele können jetzt ins Feld führen, dass Animationsfilme eben nicht für Erwachsene ohne LSD im Blut taugen. Harte Themen müssen realistisch angepackt werden, sonst werden sie der Lächerlichkeit preisgegegen. Das wäre alles schön und gut, gäbe es nicht Beweise dagegen aus anderen Kulturen. Hat irgendjemand von euch Persepolis von Vincent Paronnaud und Marjane Satrapi gesehen? Oder Waltz with Bashir, die bewegende Auseinandersetzung mit den Traumata eines israelischen Soldaten? Wenn nicht, habt ihr ausgezeichnete Beispiele dafür verpasst, was Animationsfilme leisten können jenseits der familienfreundlichen Abenteuer.

Kaum eine Kultur hat im Potenzial des Animationsfilms so ausgiebig geschöpft, wie die Japans. Dabei rede ich nicht einmal von den wirklich nur für Erwachsene gedachten Hentai-Animes. Japanische Zeichentrickfilme scheuen sich nicht vor jenen Themen, die in den USA Realfilmen vorbehalten sind. Bestes Beispiel ist der erschütternde Die letzten Glühwürmchen von Isao Takahata über die verheerenden Auswirkungen des Krieges. Dem Science Fiction-Genre schenkte Japan zwar keinen verliebten Roboter-Müllmann in Würfelform, dafür Filme wie Akira und Ghost in the Shell. Der im letzten Jahr verstorbene Satoshi Kon lieferte mit Paprika und Millennium Actress erzählerisch verspielte Werke ab, die es mit jedem Nolan aufnehmen können. Natürlich sind gezeichnete Geschichten in der japanischen Kultur stärker verankert als bei uns. Doch sind wirklich die (amerikanischen) Zuschauer schuld?

Ein Blick in die Glotze
Wäre die erwachsene Animationskunst in Amerika nur auf den Independent-Bereich beschränkt, ließe sich leicht der Schluss ziehen, dass diese Art von Film bei einem breiten Publikum einfach nicht Fuß fassen kann. Das amerikanische Fernsehen spricht allerdings eine andere Sprache. Dort sind seit dem Erfolg von Die Simpsons erwachsene Trickserien in Gestalt solcher Formate wie Adult Swim auf dem Vormarsch. Keine Serie verkörpert den anarchisch-subversiven Geist dabei so stark wie South Park. Die animierte Show von Trey Parker und Matt Stone bricht wie einst Fritz the Cat alle Regeln des guten Geschmacks und tut dies auf eine erstaunlich intelligente, wenn auch blutige Art und Weise.

South Park gelingt seit Jahren der wunderbar satirische Blick ins Herz der amerikanischen Seele und das mit einfachsten Mitteln der Animation. Zuschauer gibt es dafür genug. Denn die Mittel der Animation bieten außerordentlich kreative Möglichkeiten, um der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Wie Karikaturen kokettieren die Animationen damit, nicht echt im Sinne von realistisch zu sein, und drücken deswegen umso tiefer in die Wunde. Nicht nur Satire könnten amerikanische Animationsfilme im großen Stil leisten, sondern ebenso gut die Aufgaben von Genrefilmen übernehmen, wie es Animes so überzeugend tun. Ich denke hier etwa an animierte Comic-Adaptionen für die große Leinwand, welche die düstere Atmosphäre ihrer Vorlagen stilecht umsetzen. Warum nicht ein bisschen in (3D-)Träumen schwelgen?

Übrigens: Kinderlose Erwachsene sind doof
Mehr als ein paar Wunschträume sind die obigen Anmerkungen kaum. Hollywood befindet sich nicht in Innovationslaune. Animationsfilme für die ganze Familie sind ein ganz hervorragendes Wirtschaftsmodell, das mehrere Zielgruppen vereint. Dieses Jahr kommt mit Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der ‘Einhorn’ ein Hoffnungsfilm auf uns zu, der jedoch allein auf Grund seines Budgets dazu genötigt sein wird, die Kinder mit ins Boot zu holen. Filme wie Arthur Weihnachtsmann, Happy Feet 2 und Der gestiefelte Kater werden mit variierender Qualität ebenso um die Aufmerksamkeit der kleinen und großen Zuschauer buhlen und vielleicht können wir mit Frankenweenie 2012 sogar auf einen ansatzweise düsteren Animationsfilm hoffen.

Doch obwohl wir animierte Figuren im Games-Sektor ohne weiteres akzeptieren, obwohl in anderen Filmnationen tagtäglich vorgemacht wird, dass erwachsene Animationsfilme eine Bereicherung der Kultur sind, ja, obwohl all dies dagegen spricht, werden Hollywoods animierte Streifen der nächsten Jahre süß und pelzig daher kommen. Schade eigentlich.

Was denkt ihr: Sind Animationsfilme nur Kinderkram oder sollten sie auch Erwachsene fesseln?

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