Berlinale 2016 - Tod, Verderben und ganz viel Liebe

21.02.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Berlinale 2016: Hai, Caesar!Universal
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Gestern wurde die Dokumentation Fire at Sea mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Heute ist es Zeit zurückzublicken auf die Berlinale 2016.

Der Krieg und dessen Folgen wütete im Wettbewerb der Berlinale 2016 und damit ist nicht der tägliche Kampf um die Sitzplätze in der Reihe hinter der stargespickten Jury gemeint. Im Eröffnungsfilm Hail, Caesar! nimmt der Kalte Krieg das Exzentrikerparadies Hollywood in Beschlag, Alex Gibney erklärt uns in Zero Days, warum Malware die neue Atombombe ist und in Letters from War schreibt ein portugiesischer Soldat aus dem Hinterland Angolas in die Heimat. Acht Stunden lang begibt sich Lav Diaz in A Lullaby to the Sorrowful Mystery in den philippinischen Dschungel, um dem Kreislauf der Gewalt in seinem Land nachzugehen. Die Geschichte wiederholt sich, lautete mehrfach die Warnung in diesem Film und auf diesem Festival. Der Goldene Bär für die Dokumentation Fire at Sea bildet insofern einen harmonischen Abschluss eines durchwachsenen, aber auch erfreulich abwechslungsreichen Wettbewerbs. Es wäre verfehlt, den Kritikerliebling von Gianfranco Rosi als Flüchtlingsdoku zu bezeichnen, beschäftigt er sich doch die meiste Zeit mit einem Jungen, der über die Hügel Lampedusas stromert, während es auf dem Meer brennt. Europadoku trifft es schon eher.

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Die Programmplaner des Berlinale-Wettbewerbs zeigten sich ungeachtet des gewohnten politischen Einschlags offen für alle möglichen Genres und Formen. Der letzte Film im Wettbewerb, A Dragon Arrives! von Mani Haghighi (Men at Work), verkörperte diese eklektische Mischung. Als stylisher Krimi über die Untersuchung eines Selbstmordes in den 60er Jahren beginnt der Film. Da braust ein Chevrolet Impala durch die Wüste und trommelt es aufregend auf der Tonspur. Bis der Bruch erfolgt, Interview-Aufnahmen mit dem Regisseur und anderen eingestreut und in der Folge drei Geschichten nebeneinander erzählt werden. Eine über einen Regisseur, der dem Verschwinden eines Tontechnikers am Set seines Vaters nachgeht, eine über einen Selbstmord und die geheimdienstlichen Vertuschungsaktionen unter dem Schah und eine über ein Monster, das irgendwo in der Werde haust. Haghighis Film ist offen, man könnte auch sagen zerfasert, dafür aber erfrischend unkonventionell für ein Festival, das auch Genius und Jeder stirbt für sich allein den roten Teppich ausrollt. Um gar nicht erst darauf hinzuweisen, dass die Berlinale vor Cannes und Venedig als erstes der drei großen Festivals einen Film von Lav Diaz in den Wettbewerb aufgenommen hat. Der Mut zum programmplanerischen Albtraum ringt Respekt ab.

Natürlich gab es bei der diesjährigen Berlinale auch Durchhänger, etwa den filmischen Miserabilismus namens United States of Love, der sich ein wenig zu stark darin gefiel, seine weiblichen Heldinnen in jeder nur denkbaren Form zu erniedrigen. Der plakative Soy Nero von Rafi Pitts vermochte dem größeren Thema der Grenzen und dem kleineren der Migration wenig hinzuzufügen. Hauptdarstellerin Trine Dyrholm wiederum einen Silbernen Bären für Die Kommune zu verleihen, hat Thomas Vinterbergs Die Kommune sicher nicht verdient, Dyrholm aber schon. Und je weniger über diese Fallada-Adaption, deren Name nicht nochmal genannt werden darf, gesprochen wird, desto besser.

Mehr: Berlinale 2016 - Fire at Sea gewinnt den Goldenen Bären

Wenn etwas beim diesjährigen Festival und insbesondere dem Wettbewerb überraschte, dann war es allerdings nicht Krieg und Verderben, sondern der Humor. Skurrile Familienkomödien wie Saint Amour und News From Planet Mars liefen außer Konkurrenz. Der deutsche Beitrag 24 Wochen entführte uns in die dröge deutsche Comedy-Szene, bot aber abseits der Bühne aus dem Alltag geborenen Humor, den er vor allem Bjarne Mädel verdankt. Death in Sarajevo widmete sich der hundert Jahre andauernden Spirale der Gewalt auf dem Balkan in Gestalt einer Satire und auch Hedi fand seine entspannenden Momente im surrealen Strandleben deutscher Touristen. Chi-Raq, der außer Konkurrenz lief, rief mit Humor und Leidenschaft zum Aktivismus auf und selbst der Wettbewerbsgewinner Fire at Sea findet sein Comic Relief im Gewöhnlichen, dem Besuch eines aufgeweckten Jungen beim Augenarzt.

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Im und außerhalb des Wettbewerbs der Berlinale 2016 hinterließ zumindest bei mir nicht der Krieg den größten Eindruck, sondern die Liebe. Zwischen Vater und Sohn in Saint Amour, zwischen jungen Männern in Brooklyn und den französischen Pyrenäen und einem Kapitän und einer Erinnerung auf dem Jangtsekiang in Crosscurrent. Zu den eindrücklichsten Erfahrungen des Festivals gehört deswegen Kate Plays Christine von Robert Greene, in dem eine Schauspielerin das Leben der TV-Moderatorin Christine Chubbuck nachzeichnet, die sich 1974 vor laufender Kamera das Leben nahm. Im sonnig verträumten Florida wiederholt die Darstellerin die letzten Schritte im Leben ihrer Figur, weshalb Greene nicht nur eine Meta-Dokumentation über den Voyeurismus der Zuschauer gedreht hat, sondern nebenbei die Vereinsamung seiner Hauptfigur(en) schildert. Innerhalb der Garde von Filmen über Filme rund um Lullaby, Hail, Caesar! und The Dragon Arrives sticht Kate Plays Christine als einer der besten Filme des Festivals hervor.

Ob Krieg oder Liebe, es war ein insgesamt guter Jahrgang der Berlinale, der vor allem im Wettbewerb von einer gesteigerten Lust nach Experimenten und Vielfalt zeugt. Der beste Film der Hauptsektion wurde sogar mit dem Regiepreis ausgezeichnet: Things to Come von Mia Hansen-Løve. Darin wird weder gemordet noch leidenschaftlich geliebt. Doch selbst die intellektuelle warme Brise, die Isabelle Huppert in dem großartig leichtfüßigen Film umweht, fasst sich ganz gut in die großen Themen des Festivals ein. Hupperts gutbürgerliche Lehrerin führt ein unbesorgtes Leben, bis ihr eines Tages ein beinahe erschütterndes Geschenk überreicht wird: die Freiheit.

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