Berlinale 2017 - Auf der Suche nach der Abenteuerlust

19.02.2017 - 14:40 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Auf der Suche nach den Meisterwerken: Die versunkene Stadt ZStudiocanal
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Die Berlinale 2017 geht zu Ende. Der unspektakuläre Wettbewerb dürfte schneller in Vergessenheit geraten als mancher Film in den Nebensektionen.

Gleich am ersten Tag der Berlinale drängte sich eine Frage auf: Warum läuft Casting nicht im Wettbewerb? Regiedebütant Josef Hader darf hinein. Der tranige neue Schlöndorff ebenfalls, aber einer der aufregendsten Filme des Festivals muss draußen bleiben? Ein Stich ins Cinephilen-Herz war das am ersten Festival-Donnerstag, erst recht weil der mediokre Eröffnungsfilm Django danach nochmal tiefer stocherte. Indem Nicolas Wackerbarths virtuose Rekonstruktion von Die bitteren Tränen der Petra von Kant ins Forum delegiert wurde, war das Leitthema der diesjährigen 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin vorgegeben. Die 18 Filme in der Konkurrenz des Wettbewerbs boten Abwechslung, aber wenig Reibungsfläche. Ein Film vom Format Das Turiner Pferd, Die geliebten Schwestern, Seefeuer oder Alles was kommt fehlte dieses Jahr. Nur A Fantastic Woman kratzte ansatzweise an diesen Sphären. Der filmisch souveränste Beitrag im Wettbewerb musste sich passenderweise mit dem Drehbuch-Bären begnügen. In den Nebensektionen zeigte sich die Auswahl überzeugender, wobei hier vielfach die "Importe" den Weltpremieren die Show stahlen. Einen Lichtblick der Berlinale 2017 bildete, auch das war beim Casting-Screening absehbar, das deutschsprachige Kino.

Immerhin gab es etwas zu lachen. Der Wettbewerb zeigte sich dieses Jahr erstaunlich witzig, ganz offensichtlich in Komödien wie Wilde Maus und The Party, aber auch an unerwarteter Stelle, etwa bei den Preisträgern On Body and Soul und Félicité. Mit dem animierten Einen schönen Tag noch gab es gar einen chinesischen Guy Ritchie-Verschnitt zu sehen Es schien bisweilen, als wollte die Programmleitung etwas Sonne in die düstere Nachrichtenrealität bringen. Wenn der Berlinale-Wettbewerb zum eskapistischen Zufluchtsort mutiert, sagt das wohl mehr über die echte Welt als übers Festival aus.

Emily Browning in Golden Exits

Politisch war auch diese Berlinale, vor allem weil die Filmemacher in jeder Pressekonferenz um ihren Hot Take über Donald Trump und Brexit gebeten wurden. Das politische Kino fand sich allerdings weniger im Wettbewerb. Dort wurde lieber das privilegierte Bürgertum seziert, von The Dinner über The Party und Wilde Maus bis hin zu Colo, der den Zerfall der Mittelschicht in Zeiten der portugiesischen Wirtschaftskrise in komatöse Bilder packt. Vergangenes Jahr hatte noch der Film der Zeit™ Seefeuer über Migranten und Einheimische auf Lampedusa gewonnen. Dieses Jahr zeichnete die Jury um Paul Verhoeven, Julia Jentsch und Diego Luna eine zarte Romanze in einem ungarischen Schlachthaus aus, was zunächst einmal nach der berlinaligsten Synopsis in der Geschichte des Festivals klingt. On Body and Soul hat das Herz eines drittklassigen amerikanischen Independent-Films und gegen Ende auch einen entsprechenden Score. Nur verpackt Ildikó Enyedi (Mein 20. Jahrhundert) ihre banale Seelchenschau in eine gestelzte Inszenierung. Wenn Zach Braff in seinem nächsten Film zeigt, wie eine Kuh enthauptet wird, hat vielleicht auch er Chancen auf einen Goldenen Bären.

Positiv gewendet, zeugte die gestrige Preisverleihung der Berlinale von einer ausgemachten kreativen Vielfalt in Festival und Jury-Geschmack. Da wurde die großartige Kim Min-hee für den Hong Sang-soo-Film On the Beach at Night Alone ausgezeichnet, was durchaus zu erwarten war, aber eben auch Georg Friedrich für sein mikroskopisch feines Spiel in Helle Nächte. Der neue Film von Thomas Arslan wurde von Kritikern leider gescholten. Insofern gebührt der Rückenstärkung der Jury für das Vater-Sohn-Drama sowie den mit Buhrufen begrüßten Spoor ein Lob. Es mangelte diesem Wettbewerb an großen Filmen, an solchen, die einen mitnehmen und die man selbst mitnimmt, gedanklich und vielleicht auch in die Top 10 des Jahres. Heraus stachen vielmehr Einzelmomente durchwachsener Werke, etwa der Chor, der das Ringen der Heldin aus Félicité opernhaft überhöht.

Einige der besten Filme des Festivals feierten ihre Weltpremiere woanders. Die versunkene Stadt Z gehört dazu und auch Golden Exits. Alex Ross Perrys Sundance-Beitrag zeigt die meisterhafte Entschleunigung eines Ehen-Dramas. In dem emotionale Ausbrüche umgangen werden, offenbart Golden Exits schließlich einen genauen Blick auf den Fluss des Alltags von ein paar Großstädtern und einer Fremden (Emily Browning), die ihr Leben nicht aus der Bahn wirft. Entfernt man die Spitzen, entfalten sich die Täler in all ihren Nuancen. Wie zuletzt Queen of Earth hat Alex Ross Perry seinen Film auf 16mm gedreht, ein Augenschmaus in der digitalen Gleichförmigkeit. Es hatte schon eine bittere Ironie, dass Aki Kaurismäki, der Technik und Design vergangener Tage fetischisiert, mit Die andere Seite der Hoffnung eine der wenigen analogen Projektionen des Festivals ermöglichte. Die beste Chance, bei der Berlinale auf Filmrollen zu treffen, hatte man nebenan in den Arkaden, wo sie als Schaufenster-Staffage von Modegeschäften herhielten.

Untitled

Immerhin bot das deutschsprachige Kino spannende Perspektiven. Casting entführt in die sonnenbefreiten Hallen eines TV-Studios, wo Andreas Lust für ein Fassbinder-Remake den Anspieler der sich bewerbenden Schauspielerinnen gibt. Seitenhiebe gegen Öffi-Redakteure sorgten für Lacher, die vielschichtige Verlagerung der teils sadistischen Dynamik aus Petra van Kant in ein neues Milieu verdiente Applaus. Im Ganzen weniger überzeugend, aber in der Tendenz vielversprechend fiel Tiger Girl aus. Der zu lang geratene Kurzfilm begeistert durch Hauptdarstellerin Maria-Victoria Dragus. Ich wünsche diesem Film den Erfolg in erster Linie, weil ich noch mehr und bessere deutsche Filme mit Martial Arts-Choreografien sehen will. Tiere, eine Koproduktion aus Österreich, Polen und der Schweiz, entfaltet eine wunderbar absurde Spiegelwelt sprechender Katzen mit einer an ihrem Verstand zweifelnden Birgit Minichmayr in der Hauptrolle. Die deutsche Dokumentation Aus einem Jahr der Nichtereignisse erzählt genau das, was der Titel verspricht: ein 90-jähriger Bauer geht seinem unspektakulären Tagwerk nach und jedes durch die Tonspur phräsende Quietschen seines Rollators erhält die Aufmerksamkeit einer Blockbuster-Explosion.

Dieser minimalistischen Perspektive stand der weltumspannende Untitled gegenüber. Michael Glawogger hatte Ende 2013 eine Reise um die Welt in Angriff geplant. Er wollte einen Film drehen, der nicht zur Ruhe kommt. Ein Jahr sollte der Dreh dauern, doch Glawogger starb im April 2014 in Liberia an den Folgen einer Malaria-Erkrankung. Monika Willi brachte das Fragment in Form, das der unbändigen Geschäftigkeit des Menschen selbst unter den widrigsten Umständen berauschenden Tribut zollt. Es ist ein zutiefst humanes Kino, das sich voller Enthusiasmus in überwältigende Herausforderungen stürzt. Eigentlich der ideale Berlinale-Film.

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