Berlinale 2017 - Die Retrospektive blickt zurück in die Zukunft

11.02.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Blade Runner in der Retrospektive der Berlinale 2017Warner Bros./Berlinale
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Die Retrospektive der Berlinale 2017 blickt zurück in die Vergangenheit, um die Zukunft zu entdecken. Science-Fiction-Filme stehen dieses Jahr auf dem Programm. Es geht vor allem um die Gesellschaft der Zukunft und das Fremde aus dem All.

Nachdem es im vergangenen Jahr um die geteilte Filmnation Deutschland 1966 ging, beschäftigt sich die Retrospektive der Berlinale 2017 mit einer internationalen Ansammlung von Science-Fiction-Filmen, die sich vor allem auf zwei Themen fokussieren: Zum einen wäre da die Gesellschaft der Zukunft, die stets als Spiegel für das Gegenwärtige fungiert und sich vorzugsweise im Gewand einer Dystopie präsentiert. Zum anderen spielt das Fremde eine bedeutende Rolle, völlig unabhängig von seinen wahlweise friedfertigen oder unruhestiftenden Absichten. Dabei greift der Science-Fiction-Film zumeist auf seine ungeheure Bildgewalt zurück, um die mannigfaltigen Visionen zukünftiger Welten zu skizzieren und uns einen Eindruck von dem zu vermitteln, was da kommt. Wir können eintauchen und uns verlieren - wohl kein anderes Genre lässt dermaßen viel Platz für existenzphilosophische Fragen und anderweitige Exkurse ins Unbekannte. Das ist Kino in seiner furiosesten Form und somit ein absolutes Highlight der diesjährigen Berlinale.

Insgesamt 27 Produktionen gibt es im Rahmen der Retrospektive zu entdecken. Dabei dominieren nicht nur Werke aus den USA, sondern auch Japan sowie Mittel- und Osteuropa sind stark vertreten. Manchmal glänzen sie, die zukünftigen Welten, manchmal aber versinken sie im Dreck. Dennoch existiert eine faszinierende Gemeinsamkeit, die in erster Linie der Zeit geschuldet ist: Wenn Michael Anderson ins titelgebende Jahr von George Orwells Dystopie 1984 entführt und Kathryn Bigelow in Strange Days die finalen Minuten vor dem neuen Millennium erzählt, fühlen sich diese Zukunftsentwürfe in ihrer vorausschauenden Geste überholt und trotzdem aktueller denn je an. Zwar mögen gewisse Schreckensbilder der Zukunft, wie sie in Soylent Green, THX 1138, O-bi, O-ba gezeichnet werden, heutzutage in ihrer Gestaltung etwas altmodisch wirken. Im Zeitalter von alternativen Fakten dauert es allerdings nicht mehr lange, bis 2 + 2 wirklich 5 ergeben.

Unheimliche Begegnung der dritten Art

Der Science-Fiction-Film als Ausdruck unserer Ängste hatte schon immer erschreckend viel mit der Realität gemein, dennoch offenbart er ebenfalls Platz zum Träumen und erschafft einen Ort, an dem Abenteuer erlebt werden können. Meistens spielt dabei die Überschreitung gewisser Grenzen eine entscheidende Rolle, von dem Kontakt mit etwas, das wir nicht kennen und verstehen, ganz zu schweigen. Es ist das Fremde, das plötzlich vor unserer Tür stehen oder sich irgendwo in den düsteren Ecken des Weltalls verstecken könnte. Offensichtlich ist in diesem Fall das Szenario der Alieninvasion aus Kampf der Welten oder der unerbittliche Überlebenskampf gegen das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt. Dennoch erinnert die Retrospektive daran, dass der erste Kontakt ebenso eine Chance, eine Möglichkeit darstellen kann und das "andere" nicht automatisch das Böse ist. So findet Holger Madsen in Das Himmelsschiff eine friedliche Lösung für den ersten Kontakt auf dem Mars, ebenso Steven Spielberg bei seiner unheimlichen Begegnung der dritten Art.

Auch Die Außerirdischen erscheinen in Tokio ist ein schönes Plädoyer für verstärkte Kommunikation, einem essentiellen Bestandteil des Science-Fiction-Films, wie es zuletzt Arrival eindrucksvoll im Kino bewiesen hat. Zwischen all den fremden Kreaturen und unüberschaubaren Gesellschaftsstrukturen fordert der Blick in die Zukunft stets zum Dialog auf, um eine gemeinsame Sprache zu finden, die sowohl hinterfragen als auch Austausch und Verständnis fördern kann. Bereits Le tunnel dokumentiert 1933 den Bau einer Verbindung zwischen den USA und Europa, die mitten durch den Atlantischen Ozean führen soll. Eine waghalsige, ja, geradezu größenwahnsinnige Unternehmung. Doch nach 15 Jahren und einigen Komplikationen führt das Fortschrittsdenken der Vernetzung dazu, dass sich die Arbeiter beider Kontinente in der Mitte die Hände schütteln können. Eine kleine Utopie im Schatten des aufsteigenden Nationalsozialismus, die eine weitere Facette des Science-Fiction-Films demonstriert: Aufwändige Technologie und Pionierarbeit.

Alien

Kein anderes Genre greift dermaßen intensiv auf Spezialeffekte zurück wie der Science-Fiction-Film. Entwicklungsprozesse, insbesondere aus technischer Perspektive, werden folglich in der Form sowie dem Inhalt thematisiert und reflektiert. Erzählt die Geschichte oftmals von diversen Errungenschaften, braucht es zur praktischen Umsetzung dieser Geschichten ebenfalls die ein oder andere Innovation, um futuristische Städte entstehen zu lassen und die unendlichen Weiten des Weltraums einzufangen. Doch was ist, wenn bei all diesem Fortschrittsstreben das Fremde in uns selbst erwacht? Wenn wir nicht mehr unterschieden können, zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen, zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung? Verblüffend echte Effekte gehen hier Hand in Hand mit den Replikanten aus Blade Runner, die lediglich mithilfe des sogenannten Voight-Kampff-Tests als solche identifiziert werden können. Plötzlich verschwimmen die Grenzen, die zuvor ausgelotet wurden und wir befinden uns in jener Welt am Draht, die das erschreckende Erwachen aus der Matrix um Jahrzehnte vorwegnimmt.

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Eine Übersicht über alle Filme der Berlinale-Retrospektive 2017 seht ihr hier. Darüber hinaus findet in der Deutschen Kinemathek am Potsdamer Platz die Ausstellung Things to Come. Science · Fiction · Film  statt, die ebenfalls Inspiration für die Zusammenstellung des Programms war. Hier geht es zudem um das Zusammenspiel von Wissenschaft und Fiktion. Außerdem ist bei Bertz + Fischer eine Begleitpublikation zur Retrospektive erschienen.

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