Die Berlinale im Heimkino (2)

16.02.2011 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Der Räuber und Beast Stalker
Kock Media und Indigo
Der Räuber und Beast Stalker
5
6
Unser DVD-Kolumnist Thomas Groh ist voll im Festivalstress! Deswegen außer Atem an euch weitergereicht: Teil 2 seiner Empfehlungen für gute Berlinalefilme auf DVD abseits von Blitzlichtgewitter und Medienrummel!

Halbzeit am Potsdamer Platz – noch bis kommenden Sonntag dauert das Festival und also auch für euren geneigten DVD-Kolumnist, an dessen Knochen langsam aber sicher der Schlafmangel und der Kino-Overkill zähren. Letzte Woche gab’s bereits einen ersten Schwung an DVD-Tipps aus den letzten Festivaljahrgängen für alle, die dem Festivaltreiben, wie versprochen heute nun: Teil 2!

Vernarbt in Fernost

Das Hongkong-Kino hat seinen traditionellen Platz im Internationalen Forum des jungen Films, neben Experimenten im Digitalbereich, vierstündigen Dokumentationen aus dem chinesischen Hinterland oder ambitionierten Abschlussfilmen von Filmhochschulen aus aller Welt läuft hier fast jedes Jahr auch ein Thriller aus der ehemaligen Kronkolonie. Dieses Jahr ist es The Stool Pigeon von Dante Lam, der vor zwei Jahren bereits mit dem formidablen Beast Stalker im Forum präsent war.

Wie so oft im Hongkong-Film steht auch hier ein gebrochener Charakter im Mittelpunkt: Seit Polizist Tong Fei den Tod eines Kindes verschuldet hat, sucht er mit Übereifer nach einer Möglichkeit, sich zu rehabilitieren. Als ein Kind entführt wird, stürzt er sich manisch in die Angelegenheit, die Situation eskaliert…Schon seines Themas wegen ist Beast Stalker ein düsterer Großstadtthriller, Dante Lam verfinstert das Geschehen noch ein wenig zusätzlich und setzt dabei ganz auf Körperkino: Ein drastischer Unfall etwa – von dem zahlreiche Narben herrühren, die der Film immer wieder genüsslich mit der Kamera abtastet – wird als fast schon kubistisches Spektakel in Szene gesetzt. Im Showdown schließlich zerfleischen sich die beiden Kontrahenten unerbittlich.

Meist werden asiatische Filme auf dem deutschen DVD-Markt in enorm schrottigen Editionen verramscht – glücklicherweise hat Koch Media diesem tollen Film ein anderes Schicksal angedeihen lassen: Beast Stalker gibt’s als richtig werte Special Edition mit einer randvollen Bonus-DVD im Handel, die zahlreiche aus dem Film geschnittene Szenen und viele Eindrücke von den Dreharbeiten versammelt. Auf der Film-DVD gibt es zusätzlich einen ziemlich guten Audiokommentar des Regisseurs, der viel darüber zu berichten weiß, was es heißt, in den Straßen von Hongkong Filme zu drehen.

Bankraub mit der Berliner Schule

Seit einigen Jahren schon kränkelt mit dem Wettbewerb ausgerechnet die Königssektion des Festivals chronisch vor sich hin. Was hier an ästhetisch uninteressantem, teils heftig parfümiertem Arthaus-Schmonz zu sehen ist, geht oft auf keine Kuhhaut. Dazu gesellen sich die üblichen Starvehikel – filmisch öde, aber dafür tänzeln öffentlichkeitswirksam stramme Starwaderln über den roten Teppich. Umso schöner, wenn es in der Sektion dann doch nochmal zu goldenen Ausnahmen kommt: Der Räuber von Benjamin Heisenberg im vergangenen Jahr etwa war genau ein solcher Fall.

Benjamin Heisenberg, lose der als “spröde” (schon) und “langweilig” (Nein!) verschrienen “Berliner Schule” zuzuordnen, kreuzt hier die Stärken dieses Filmzusammenhangs (konzentrierte Beobachtung, exakte Inszenierung) mit denen des Actionthrillers (Bewegung und Rasanz, inszenatorische Finesse). Basierend auf einer wahren Begebenheit, erzählt er hier die Geschichte eines Langstreckenläufers, der nebenbei als obsessiver Serien-Bankräuber in Ronald-Reagan-Maske Österreich verunsicherte.

Und wie das vonstatten geht, ist ganz einfach ganz großes, vor allem aber: intensives Kino! In seinen ruhigen Momenten genau beobachtete Charakterstudie (die aber nichts mit billigem Psychologismus verbrämt!), in seinen “Action”-Momenten eine präzise Bewegungsstudie, in der (wenn man mir diesen Ausflug in die Filmanalyse kurz gestattet) die Frage nach dem Verhältnis von räumlicher Gegebenheit, Bewegung darin und Kameraperspektive immer wieder neu und glasklar verhandelt wird.

Der Räuber gehört mit zu den besten Filmen, die in den vergangenen Jahren in Deutschland entstanden sind. Der Kinogänger, man muss das wohl so gallig sehen, dankte es mit geflissentlicher Nichtachtung. Der Räuber ist in einer sehr empfehlenswerten Edition auf DVD erschienen, die neben einem Making-Of auch noch den gesamten Soundtrack des Films als MP3 mitliefert. Eine schöne Idee, von der sich einige DVD-Labels gerne inspirieren lassen dürfen.

Zurück zum Festival

Gut, wenn ihr verzeiht: Ich muss dann weiter. Die nächste Vorführung ruft, der nächste Text will geschrieben sein und U-Bahnen warten nicht! Allen Mitlesenden viel Freude bei den Filmen, allen Filmverrückten in Berlinale auch weiterhin ein schönes Filmfest! Bis nächste Woche!

Und dann noch die Trailer

Beast Stalker ist bei Amazon für 16,99 Euro erhältlich, dort gibt es auch Der Räuber für 17,99 Euro (hier klicken).

Thomas Groh lebt in Berlin, arbeitet für die Programmvideothek Filmkunst im Roderich und schreibt über Filme, zum Beispiel für die Filmzeitschrift Splatting Image, die taz und das Onlinekulturmagazin Perlentaucher. Wenn er nicht gerade sein Blog aktualisiert, verfasst er wöchentliche DVD-Kolumnen für den moviepilot, in denen er Filme von etwas jenseits des Radars empfiehlt, zuletzt im Doppelpack die Dokumentation Wir waren niemals hier und My Winnipeg, die Luxus-Buch/DVD-Edition von Billy Wilders Manche Mögen’s Heiß und die Retro-Robot-Science-Fiction Electroma von Daft Punk.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News