Beste Regisseure aller Zeiten - Platz 2: Andrei Tarkowski

30.05.2017 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Der beste Regisseur aller Zeiten - Platz 2: Andrei Tarkowski
Trigon Film
Der beste Regisseur aller Zeiten - Platz 2: Andrei Tarkowski
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Es gibt nur wenige Regisseure mit einer derart aufregenden wie prägenden Vita wie Andrei Tarkowski. In der Top 250 der besten Regisseure der moviepiloten hat er es auf den 2. Platz geschafft. Trotzdem könnt ihr noch sehr viel entdecken!

Auf dem 2. Platz der Top 250 der besten Regisseur der moviepilot-Community nimmt niemand Geringeres als Andrei Tarkowski Platz. Der sowjetische Filmemacher hat zwischen 1962 und 1985 insgesamt sieben Langfilme ins Kino gebracht. Darüber hinaus schmücken diverse Kurzfilme sowie anderweitige Engagements seine Filmografie. Im Schnitt vergebt ihr Andrei Tarkowskis Filmen 7,725 Punkten, ein durchaus beachtlicher Wert. Dennoch fällt auf, dass viele moviepiloten noch nicht so vertraut mit dem Schaffen des Regisseurs sind. Während ähnlich gut platzierte Kollegen wie David Fincher, Quentin Tarantino und Denis Villeneuve, die ebenfalls über ein überschaubares Œuvre verfügen, pro Film mehrere Tausend Bewertungen vorweisen können, kommen im Fall von Andrei Tarkowski lediglich zwei Vertreter über die vierstellige Marke, was schlussfolgern lässt, dass es für einige von euch noch sehr viel zu entdecken gibt.

Relating a person to the whole world: that is the meaning of cinema.

Doch welcher Film eignet sich als Einstieg in ein Schaffen, das auf den ersten Blick recht überschaubar wirkt, sich beim genaueren Hinsehen jedoch als komplexes Lebenswerk gestaltet? Es ist gar nicht so einfach, diese Frage zu beantworten und dieser Text soll ebenfalls kein Leitfaden sein. Vielmehr soll er neugierig machen und ermutigen, sich mit Andrei Tarkowskis Filmen auseinanderzusetzen und sich auf das Gezeigte einzulassen, denn einen Film von Andrei Tarkowski zu sehen bedeutet immer auch, sich auf eine persönliche Reise zu begeben, in die Geschichte einzutauchen und sich in einer Bilderwelt aus Schrecken und Schönheit zu verlieren. Verblüffend ist, wie Andrei Tarkowski eigene Erfahrungen und Erinnerungen in Form bewegter Bilder für die Ewigkeit versiegelt und dennoch Offenheit gewährt, damit wir als Zuschauer unser eigenes Abenteuer erleben können.

Iwans Kindheit

Das Abenteuer ist eines der weniger prominenten Labels, mit denen Andrei Tarkowskis Filme umschrieben werden. Aber es ist eines der aufregendsten filmischen Abenteuer überhaupt, wenn sich Aleksandr Kajdanovsky, Nikolai Grinko und Anatoli Solonitsyn in den chromigen, einleitenden Aufnahmen von Stalker vor endzeitlicher Kulisse auf eine Expedition in die sogenannte Zone begeben. Die apokalyptische Stimmung ist in jedem einzelnen Frame spürbar, besonders dann, wenn die verschiedenen Weltsichten der Protagonisten am Ende der Welt aufeinander treffen. Getrieben von einer unbeschreiblichen Melancholie entfalten sich mystische Räume, die zum existenziellen Diskurs einladen und sich darüber hinaus in poetische Sphären begeben. Stalker ist ein Rausch, voller magischer Momente und einem Hang zur Transzendenz - durchaus ein Wagnis, aber ein unvergessliches.

Wer die Zone wieder verlässt, ist ein anderer Mensch. Genauso ergeht es uns Zuschauern, die einen Tarkowski-Film verlassen, der unweigerlich noch lange nach den Ende des Abspanns beschäftigt, so aufgeladen ist er mit anregenden Motiven, die Fragen im Großen wie im Kleinen stellen. Das langsame Erzählen intensiviert das Erlebnis. Andrei Tarkowski ermöglicht es, den frischen Morgentau in Solaris genauso spürbar zu gestalten wie die pampige Erde in Iwans Kindheit, die ganz beiläufig vom Leid und vom Schmerz des titelgebenden Jungen kündet, ehe wir uns nach und nach ein genaues Bild über die Ereignisse machen können. Sehr oft dokumentiert Andrei Tarkowski die Brutalität der Umgebung, in der sich seine Filme abspielen, und erschafft fiebrige Momentaufnahme der Hölle auf Erden. Naturgewalten vereinen sich mit den Taten des Menschen. Auf einmal ragt ein flammendes Haus aus der gleichermaßen tristen wie wunderschönen Landschaft heraus.

Dieser tiefschürfende Anblick wie er in Der Spiegel und Opfer zu sehen ist, ist nur eines von vielen Tarkowski-Bildern, die sich ins Gedächtnis brennen und nie wieder verschwinden. Zwischen Traum und Albtraum entfesselt Andrei Tarkowski Eindrücke, die sich vor allem auf einer emotionalen Ebene entfalten und durchaus verstören können. Nur wenige Regisseure haben die darstellende Kunst des Kinos dermaßen verinnerlicht und mit jeder neuen Sequenz ein Dokument für die Ewigkeit hinterlassen. Kein Wunder, dass sich Andrei Tarkowski bereits im Rahmen seines zweiten Spielfilms dem Leben des russischen Ikonenmalers Andrej Rubljow widmete. Nach drei Stunden im mittelalterlichen Russland vollendet Andrei Tarkowski seine erhabene Komposition schlicht mit der Abbildung der Werke, die sein Held der Nachwelt hinterlassen hat. Plötzlich herrscht dort Farbe, wo zuvor schwarzweißer Grausamkeit dominierte.

Der Spiegel

Derartige Veränderung und Umbrüche tauchen immer wieder in den Filmen von Andrei Tarkowski auf. Solaris verliert sich beispielsweise zuerst im Grün der Natur, bevor urbane Straßensystem in den Mittelpunkt des Geschehens treten und in einen faszinierenden Schlund entführen, der selbst eine einfache Autofahrt wie eine kathartische Offenbarung wirken lässt. Danach entschwindet der Film in den unendlichen Weiten des Weltraums, wo er völlig losgelöste Schwerelosigkeit mit einer schlummernden, brummenden Bedrohung verbindet. Ewige, kalte Gänge verwandeln sich in ein klaustrophobischen Paradies und alles ist mit einer übermächtigen Strömung unterlegen, die sich ab der ersten Einstellung vom Schilf im Wasser auf der Erde über die geschäftigen Verkehrswege bis hin zur unbehaglichen Stille im All zieht. Andrei Tarkowski sucht beständig nach diesem Entschwinden an einen Ort, der sich jenseits von Raum und Zeit befindet.

Dementsprechend sind seine Film oft nur assoziativ verknüpft und entfalten ihre mitreißende Kraft in fragmentarischen, abstrakten Konstellationen, die trotzdem stets auf sehr konkreten Ideen beruhen. Andrei Tarkowskis Filme - allen voran Der Spiegel - beinhalten zahlreiche autobiographischen Elemente und avancieren somit zur ultimativen Reflexion eines Lebens, das selbst vom Wandel der Zeit geprägt war. Erzählt Nostalghia etwa die Geschichte eines russischen Schriftstellers, der sich nach Italien begibt, um eine Biografie über den russischen Komponisten Pawel Sosnowski zu schreiben, markiert der Film ebenfalls Andrei Tarkowskis erste Arbeit außerhalb der Sowjetunion. Während besagter Komponist seinerzeit jedoch aus Sehnsucht in seine Heimat zurückkehrte und sich den Fesseln Russlands unterwarf, blieb Andrei Tarkowski bis zu seinem Tod im Jahr 1986 seiner Heimat fern. Hinterlassen hat er ein unvergleichliches Lebenswerk, das - genauso wie Andrej Rubljows Ikonen - die (Film-)Welt mit Farbe füllt.

Welcher ist euer Lieblingsfilm von Andrei Tarkowski?

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