Christian Petzolds Phoenix & die Neue Berliner Schule

29.11.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Christian Petzolds Phoenix und die Neue Berliner Schulemoviepilot/Piffl Medien GmbH
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Diese Woche erklärt unser ganz besonderer Kommentar, wie ein Film mit seiner Schule ebenso brechen kann, wie mit realistischen Reaktionen und Entwicklungen - und trotzdem ein starker, wichtiger und fesselnder neuer deutsche Film sein kann.

Jeden Samstag lassen wir an dieser Stelle einen ganz besonderen Kommentar fliegen und erstrahlen. Ob dieser Kommentar einem unerwartet guten Film, einer vieldiskutierten Serie, einer trotz wiederholter Einsätze für den gleichen Regisseur immer noch faszinierenden Schauspielerin Respekt zollt, eine der News auf moviepilot diskutiert oder, ja, auch zu einem Videospiel verfasst wurde, ist egal - im Kommentar der Woche ist Platz für jeden Kommentar! Wenn also irgendwo bei uns ein leichtes Glimmen unter der Asche eure Aufmerksamkeit erweckt und ein Kommentar euch in Flammen gesetzt hat: Verbreitet das Feuer! Am besten, indem ihr uns eine kurze Nachricht schreibt.

Der Kommentar der Woche

Kann sich nach Phoenix noch immer jeder auf Christian Petzold einigen? S.Bendix findet zwar genug Ansätze für Kritik, aber auch, und das ist noch viel wichtiger, einen tiefsinnigen, nachdenklich machenden und großen Film - mit dessen Verteidigung er sich eine große Aufgabe aufgebürdet zu haben glaubt:

Galt Christian Petzold bisher als derjenige Vertreter der umstrittenen Neuen Berliner Schule, auf den sich beinahe jeder einigen konnte, dürfte "Phoenix" an diesem Nimbus gewaltig rütteln - zumindest beschleicht mich seit einigen Wochen angesichts diverser Diskussionen der Verdacht, dass ich mir mit der Verteidigung seines neuen Films einiges an Arbeit aufgehalst habe!

Ob man "Phoenix" nun mag oder nicht hängt im Wesentlichen davon ab, inwieweit man seine - zugegeben mehr als unwahrscheinliche - Grundkonstellation als Allegorie zu akzeptieren bereit ist. Petzold-Stammschauspielerin Nina Hoss spielt die Auschwitz-Überlebende Nelly, die im Juni 1945 mit entstelltem Gesicht in ihre Heimat zurückkehrt und sich nach einer erfolgreichen Gesichtsoperation auf die Suche nach ihrem Mann Johnny macht. Dass dieser seine Frau trotz zahlreicher gemeinsam verbrachter Jahre nicht wiedererkennt: in der Realität schier unmöglich - im Film aber ein schmerzhaftes Bild dafür, dass die Liebe, deren Erinnerung für Nelly nach ihrer Rückkehr als einziger Hoffnungsschimmer und Verbindungsglied zu einer unbeschwerteren Vergangenheit fungiert, so möglicherweise nie existiert hat, was ihr verzweifeltes Ringen um Normalität und ein Anknüpfen an bessere Zeiten umso schwerer erträglich macht. Dazu passt, dass Johnny sie nicht nur mutmaßlich eigenhändig an die Nazis verraten hat, sondern ihr zudem einen fatalen Vorschlag macht: Nelly soll sich als seine totgeglaubte Frau ausgeben, um an das Erbe ihrer Familie zu kommen.

Dass sich Nelly auf diesen Vorschlag einlässt, ist ein weiteres Ding der Unmöglichkeit in diesem Film, und ja: einiges gerät doch recht holzschnittartig und papiern, etwa Nellys Beziehung zu ihrer von Nina Kunzendorf gespielten Freundin Lene. Doch ist "Phoenix" - wie ich finde - von der ersten Einstellung an der Ikonografie des Film Noirs wesentlich näher, als dem Realismus- und Authentizitätsanspruch des oft biederen, hiesigen, deutschen Geschichtsfilms, eine ab- und hintergründige Variation von Delmer' Daves "Dark Passage", und eine dunkel-schillernde Kinoparabel. Das halbweltartige, nächtliche Nachkriegsberlin ist in blutrotes Licht gehüllt, die Kamera führt uns durch verrauchte Bars, in verwinkelten Gassen werfen zwielichtige Gestalten ihre Schatten auf den Asphalt – und ein geladener Revolver weist den Weg zum höchst ambivalenten Ende. Mit den von Petzold selbst mitgeprägten Stilismen des Berliner-Schule-Kinos hat all das nur noch am Rande zu tun - und doch wäre dies kein Petzold-Film, würde der Regisseur sein Sujet, trotz aller cinephiler Querverweise und dem schamlosen Sich-Bedienen einer reinen Kino(un)logik, nicht doch bitterernst nehmen: Ist es möglich, wie der titelgebende mythische Vogel aus der eigenen Asche aufzuerstehen, nach den erlebten Gräueltaten (hier des Naziregimes) und Jahren des Leidens wieder der Mensch zu werden, der man vorher mal gewesen ist? Petzold exerziert sein Gedankenspiel mit bitterer Konsequenz durch, weiß aber gleichzeitig um die Unmöglichkeit einer klaren Beantwortung seiner Fragen. Ein starker, ein vielschichtiger Film.

Den Kommentar der Woche findet ihr übrigens hier.

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