Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe - Giallo als pures Erlebniskino

24.07.2018 - 08:25 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Das Geheimnis der schwarzen HandschuheKoch Media
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Mit Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe schuf Dario Argento 1970 die Blaupause für den Giallo, den er später selbst zur Formvollendung führen sollte. Ein stilbildender Klassiker, der das italienische Subgenre als pures Erlebniskino zelebriert.

Die ersten Bilder in Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe legen die bedeutendsten Motive im Schaffen des italienischen Regisseurs Dario Argento umgehend offen. Zu sehen ist eine Person, die hinter einem schwarzen Regenmantel verborgen ist und schwarze Handschuhe trägt, während sie etwas in eine Schreibmaschine tippt. In der nächsten Szene nimmt die Kamera die Position eines Fotografen ein, wobei die Linse einer schönen, jungen Frau folgt, die offenbar ins Visier des unbekannten Voyeurs geraten ist. Seltsam fremdartig erscheint die Atmosphäre zusätzlich durch harmonische Klänge auf der Tonspur, die Melodien wie aus einem harmlosen Schlaflied gleichkommen.

Anschließend erfolgt ein Schnitt, der wieder in den anfänglichen Raum zurückführt. Hier breiten die schwarzen Handschuhe auf einem Tisch verschiedene Messer aus, die zuvor in ein rotes Stück Samt eingewickelt waren und wie funkelnde Schätze präsentiert werden. Urplötzlich ertönt ein greller Frauenschrei, der den lieblichen La-La-Gesang  brutal zerschneidet. Es ist der furiose Auftakt eines Debütfilm-Klassikers, mit dem Dario Argento die stilistische Aufmachung des italienischen Giallo-Subgenres schlagartig neu definieren und dauerhaft prägen sollte.

Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe

In Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe dominiert Stil vor Inhalt

In Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe stellt sich die eigentliche Handlung schnell als konfuses Labyrinth heraus, das seine eigentlichen Qualitäten viel stärker über die inszenatorischen Fähigkeiten von Dario Argento entfaltet. Wer sich näher mit dem Schaffen des Regisseurs auseinandersetzt, wird feststellen, dass der Italiener keineswegs zu den begabteren Drehbuchautoren zählt. Die Geschichten in seinen Drehbüchern sind voller Logiklöcher und hölzerner Dialoge, die oftmals von nicht gerade hochbegabten Schauspielern vorgetragen werden. Trotzdem sind die Filme von Argento, speziell sein Schaffen in den 1970er- und 1980er-Jahren, nichts weniger als Erlebnisse, die danach verlangen, vom Betrachter mit offenen Augen und Ohren erfahren zu werden.

Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe ist dabei noch kein formvollendeter cineastischer Albtraum wie Suspiria oder zeigt den Regisseur auf dem Zenit seines kreativen Schaffens wie Terror in der Oper. Vielmehr erweist sich der Film als beeindruckende Blaupause, mit der sich Argento das Giallo-Subgenre bereits vollkommen zu Eigen macht. Diese sind in Italien erstmals als Adaptionen von Krimi-Romanen entstanden, die an ihrem gelben Einband erkennbar waren. Beeinflusst wurde der Giallo durch die deutschen Edgar Wallace-Filme, wobei Mario Bava das Subgenre mit seinen Filmen The Girl Who Knew Too Much und Blutige Seide maßgeblich begründete. Erst Argento führte den Giallo jedoch mit experimentell-ausgefallenem Stilbewusstsein in völlig neue Höhen.

Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe

Für Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe ordnet Dario Argento seine Vorbilder stilistisch neu an

Verglichen wurde Dario Argento aufgrund des Erfolges von Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe früh mit Alfred Hitchcock, wobei der Regisseur Vergleichen mit dem britischen Master of Suspense selbst lieber aus dem Weg geht. Zu den größten Einflüssen von Argento gehören stattdessen andere europäische Größen des Kinos. Der Italiener zeigt sich stark beeinflusst von Michelangelo Antonionis Sinn für Architektur und Umgebungen, liebt das opulent Ausufernde in den Werken von Federico Fellini, das formal Verspielte in den wegweisenden Nouvelle Vague-Filmen von Jean-Luc Godard sowie die expressionistischen Kulissen eines Fritz Lang.

Ohne jemals wie ein bloßer Imitator zu wirken, integriert Dario Argento, der zuvor als Filmkritiker tätig war, all seine Vorbilder schlüssig in sein Schaffen, um große Kunst mit schmuddelig-blutigen Variationen aus Krimi und Thriller zu verbinden. Dabei spielen Schauplätze wie Galerien oder Gegenstände aus dem Bereich der Kunst wie Gemälde regelmäßig eine Rolle im Schaffen des Regisseurs, was sich auch schon in Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe abzeichnet. Hier beobachtet der amerikanische Schriftsteller Sam Dalmas (Tony Musante) zu Beginn ein Verbrechen, bei dem eine Frau augenscheinlich von einem Unbekannten mit einem Messer attackiert und verwundet wird. Mithilfe des hypnotischen Scores von Ennio Morricone und der desorientierenden Kameraarbeit von Vittorio Storaro, beides absolute Größen auf ihrem Gebiet, gestaltet Argento die Schlüsselszene als betörendes Spiel mit wechselnden Perspektiven und unzuverlässigen Bildern, deren Wahrheitsgehalt es in den Werken des Italieners stets zu hinterfragen gilt.

Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe

Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe als Geburtsstunde von Dario Argentos spektakulären Set Pieces

Das Kernmotiv in den Filmen von Dario Argento ist das Sehen an sich. Immer wieder nutzt der Regisseur die Kamera dazu, um in die Augen seiner Figuren zu blicken oder umgekehrt ihren Blick zu imitieren. Hierbei entlarvt er das Gesehene gerne als Trugschluss, um die Brüchigkeit der menschlichen Erinnerungsfähigkeit zu entlarven. In Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe merkt auch Protagonist Sam erst gegen Ende, als es beinahe schon zu spät ist, dass er seinen Augen auf falsche Weise vertraut hat und sein Gedächtnis die dadurch entstandenen Bilder verkehrt bewertet hat.

Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe

In seinem Debütfilm befreit sich der Regisseur regelmäßig von diesen Zwängen der rationalen Logik und des eindeutigen Verständnisses, indem er auf eine Form von Kino setzt, das sich am ehesten über ein rein sinnliches Erleben verstehen lässt. Zum Höhepunkt eines jeden Argento-Films - und damit auch von Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe - gehören daher die Set Pieces. In diesen stilisiert der Regisseur die Morde zu ausgedehnten Spannungssequenzen, die aufgrund ihrer unerträglichen Zuspitzung sowie der eruptiven Auflösung im Zusammenspiel mit den phallusartig eingesetzten Tatwaffen durchaus an den Rhythmus von Sex erinnern, wenngleich ins Alptraumhafte verzerrt. Ein Kompliment, das sich Dario Argento für seinen Klassiker sicherlich nur zu gerne gefallen lässt.

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