Das richtige Schweden im falschen

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Zusammen
Concorde/moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Zusammen
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Im Stockholmer Kommunenmilieu der wilden 70er ist der Lieblingsfilm von einem unserer User angesiedelt. Wir präsentieren euch den Text.

Zusammen, der zweite Spielfilm des schwedischen Schriftstellers und Regisseurs Lukas Moodysson, belegt auch elf Jahre nach seiner Erstaufführung weiterhin einen Spitzenplatz in meiner erlesenen All-Time-Favorite-Liste. Die im Stockholmer Kommunenmilieu der wilden 70er angesiedelte und durch die Bank exzellent besetzte Arthouse-Komödie ist ein Paradebeispiel dafür, dass sogenannte “Autorenfilme” problemlos witzig und konsumerabel sein können, ohne dabei ihren sozialkritischen oder künstlerischen Anspruch aufgeben zu müssen.

Wenn sich der männliche Nachwuchs darüber streitet, wer beim kindlichen Rollenspiel als nächstes Folterknecht Pinochet geben darf, der Oberhippie beim Fußballmatch im Garten für die “tollen Treffer” der Gegenmannschaft jubelt, und die Vorzeigefeministin des Hauses unten ohne zum Frühstück erscheint, um ihren Vaginalpilz zu lüften, dann zeigt das v.a. zwei Dinge: Moodysson hat einen großartigen Sinn für Humor. Und auch die fortschrittlichsten Konzepte in Sachen Erziehung und Gemeinschaftsleben weisen in der Praxis schon mal deutliche Defizite auf.

Nun wäre Zusammen ein öder bis reaktionärer Film, wenn er die post-materielle, quasi-sozialistische und sexuell befreite Öko-WG durchgängig verspotten oder gar verurteilen würde. Daran hat Lukas Moodysson aber gar kein Interesse. Vielmehr möchte er sich über kontraproduktiven Dogmatismus, absurde Regeln und – in manchen Fällen schlicht – irrationales Verhalten lustig machen, ohne die revolutionären Grundideen als solche in Frage zu stellen. Das gelingt ihm meines Erachtens vorzüglich. Zumal es auf der anderen Seite immer noch die wahlweise konservativ oder sozialdemokratisch geprägten Figuren gibt, deren “normales” Leben längst aus den Fugen geraten ist. Aber auch hier lässt der Filmemacher Milde walten und verfällt zu keinem Zeitpunkt in propagandistische Kabinettstückchen: Der leicht versoffenene, zu Gewaltausbrüchen neigende Ehemann hat ebenso wie die angepasste Mauerblümchennachbarsfrau die Chance, sich positiv zu verändern, ohne gleich die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen. Obendrein wird demonstriert, dass Politik nicht alles ist und Kinder das Recht auf ihre eigene Sicht der Dinge haben.

Hauptbotschaft des Films ist für mich die Erkenntnis, dass gewisse libertäre Konzepte zwar nicht verhandelbar sein sollten, positiver gesellschaftlicher Wandel (v.a. auf der Mikroebene) ohne ein gewisses Maß an Toleranz und Kompromissbereitschaft aber kaum zu machen ist – und dass “Bürgerlichkeit” nicht immer etwas Schlechtes ist. Ein bei mir um die Ecke angesiedeltes, neues Hausprojekt hat diese Lektion schon verinnerlicht: Hier sind auch monogame Hetero-Paare mit regulären Jobs herzlich willkommen, und wer auf die vegane Fairtrade-Bio-Nichtraucherküche keinen Bock hat, darf (völlig sanktionsfrei!) auch in der Fleischfresser-Aschenbecher-Bude sein Mittagessen in die Friteuse schmeißen – und hin und wieder sogar eine globalisierungskritische Demo auslassen.


Sollte der Text euer Gefallen finden und ihr möchtet ihn gern in der weiteren Auswahl für die Jury sehen, dann drückt bitte auf den Button “News gefällt mir” unter diesem Text. Wir zählen am Ende der Aktion Lieblingsfilm alle moviepilot-Likes zusammen.

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