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Der blinde Fleck als Projektionsfläche

28.03.2015 - 14:38 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Die Marketing-Abteilung von Sony hat die spekulative Leerstelle programmatisch ins Spectre-Logo eingeschrieben.
Sony Pictures
Die Marketing-Abteilung von Sony hat die spekulative Leerstelle programmatisch ins Spectre-Logo eingeschrieben.
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Bond-Fans auf der ganzen Welt rätseln darüber, was der aktuelle Spectre-Teaser über die nächste Mission von 007 verrät. Dabei ist das Interessanteste an einem Trailer gerade das, was er nicht erzählt.

Die Veröffentlichung des ersten Spectre-Teasers  war wieder für unzählige Hobby-Hermeneutiker Anlass, ihre Deutung des eineinhalbminütigen Clips mit der Internetcommunity zu teilen. Auf den ersten Blick eine schizophrene Angelegenheit in einer Welt, in der alles und jeder nach Spoiler-Warnungen schreit. Die herbeigesehnte Filmsichtung soll im entscheidenden Moment schließlich nicht durch spielverderberisches Vorwissen kontaminiert sein. Doch was die Trailer-Exegese zu Tage fördert, ist eben kein Vor-Wissen, sondern bestenfalls ein Vor-Glauben, ein Vor-Hoffen. Es geht nicht um Evidenz, sondern um Potenz: eine lustvolle Vorahnung des Möglichen.

Gerade weil alle Deutung dieser Zeichen nie das Feld der Spekulation verlässt, bewegt sie sich außerhalb jeder Spoiler-Hysterie. Darin liegt die verführerische Kraft des Trailers: Er lädt zum Rätseln ein, ohne zuverlässige Antworten zu liefern. Jede Hypothese lässt sich erst im Kino verifizieren, das eigentliche Filmereignis bleibt somit unvorweggenommen und wird in der gesteigerten Antizipation sogar eher noch intensiviert - und gleichzeitig extensiviert. Der Film weitet sich aus, positioniert sich selbst als Fluchtpunkt einer Dramaturgie des Hinauszögerns. Eine Spur aus Teasern, Trailern und sonstigem Vorab-Material wird gestreut, deren Lesen und Deuten bereits integraler Bestandteil einer mulitmedialen Blockbuster-Erfahrung sind.

Erster Höhepunkt dieser Dramaturgie ist der Teaser-Trailer, der natürlich derselben Logik folgt wie alle anderen Vorab-Informationen: Interessanter als das, was man sieht, ist alles, was man nicht sieht. Der blinde Fleck eröffnet den Raum der Spekulation. Die Marketing-Abteilung von Sony Pictures hat sich diese Leerstelle bezeichnenderweise bereits in das Filmlogo des 24. Bond-Abenteuers eingeschrieben: Hier klafft ein Einschussloch, wo eigentlich das Zeichen der titelgebenden Geheimorganisation stehen sollte und gleichzeitig deutet sich dieses Zeichen gerade erst in der Wunde und ihren oktopusartigen Ausläufern an.

Der Teaser zu James Bond 007 - Spectre ist voll von solchen Leerstellen: das zerstörte MI6-Quartier, das Brandloch auf der alten Fotografie, das unsichtbare Gesicht von Christoph Waltz - und natürlich das völlige Fehlen von Action. Hier setzt die Trailer-Hermeneutik an. Sie analysiert, interpretiert, spekuliert. Sie deutet die Zeichen und Indizien, die auf ein unbestimmtes Drittes verweisen und erst durch dessen Abwesenheit konstituiert werden. Leerstellen wie jene im Spectre-Logo sind in Wahrheit keine Schwarzen Löcher, sondern weisse Projektionsflächen: Sie verlangen danach, mit den Wünschen und Erwartungen ihrer Betrachter gefüllt zu werden.

Das Bestreben, anhand eines Trailers die ganze Filmhandlung zu rekonstruieren, beruht daher auf einem grossen Missverständnis. Es wäre völlig trivial und uninteressant, nur den Plot des eigentlichen Films herleiten zu wollen. Vielmehr lädt ein Trailer dazu ein, lustvoll mit den Möglichkeiten zu spielen und einen Film zu entwerfen, wie er sein könnte - unabhängig davon, ob diese Vorstellung tatsächlich Ähnlichkeiten mit der fertigen Produktion haben wird.

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