Der deutsche Noir Schwarzer Kies verdient eine Wiederentdeckung

05.04.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Schwarzer Kies
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Schwarzer Kies
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Ein Menschenleben ist weniger wert als das eines Hundes in Helmut Käutners Drama Schwarzer Kies von 1961, das die Noir-Anklänge bereits im Titel trägt.

Es werden Menschen überfahren und verschüttet in Schwarzer Kies, der unschuldigste, der schmerzhafteste Tod aber steht am Anfang: Da wirft ein Lastwagenfahrer genervt mit einem Stein nach einem bellenden Hund, der verstummt und tot liegen bleibt. Diese Marginalie gibt den Ton des bundesdeutschen Krimidramas vor und Hauptfigur Robert (Helmut Wildt) vollendet daraufhin das Leitmotiv. Er reißt dem Kadaver das Halsband ab und wirft ihn in die Kieshalde, wo er unterm Geröll versinkt. Daraus entwickelt sich eine Geschichte über Gier, Korruption und Aussichtslosigkeit in der westdeutschen Wirtschaftswunderwelt. Ein Dorf im Hunsrück nahe einer amerikanischen Militärbasis dient Helmut Käutner und Ko-Autor Walter Ulbrich in Schwarzer Kies als Schauplatz. Um die Basis hat sich ein parasitäres Gewerbe von Deutschen ausgebreitet, die sich per Prostitution, Alkohol und Schmuggel finanzieren. Wenn das auch heute noch negativ klingt, so stelle man sich vor, wie Schwarzer Kies 1961 wirken musste. Da fiel der Film von Helmut Käutner bei Presse, Publikum und den Leinwandrebellen in Oberhausen  durch, wo Kritiker ihn als schlechtesten Film eines bekannten Regisseurs "auszeichneten".[1] Wenn Schwarzer Kies "Papas Kino" sein soll, wie die jungen Wilden das Werk der vorangegangenen Generation abfällig bezeichneten, tja, dann will ich mehr davon sehen.

Mein Herz für Klassiker erhält deswegen heute Schwarzer Kies, der mir noch weit entfernt von der Kanonisierung im hiesigen Filmerbe scheint. Die Verfügbarkeit spielt hier sicher ebenso eine hinderliche Rolle wie die umfangreiche und womöglich zu vielseitige Filmografie von Regisseur Helmut Käutner, der binnen drei Jahren so unterschiedliche Filme wie Des Teufels General, Der Hauptmann von Köpenick und Die Zürcher Verlobung ins Kino brachte. Bereits bei Erscheinen wurde das pessimistische Ende von Schwarzer Kies gestutzt. Szenen, in denen ein antisemitischer Dorfbewohner einen jüdischen Bordellbesitzer beschimpft, wurden nach einer Anzeige des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland entfernt. Umso schwieriger war es in den vergangenen Jahren, eine, irgendeine Fassung des Films in die Hände oder auf die Festplatte zu bekommen. Hoffnung machte zuletzt die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung. Bei der Berlinale 2017 wurde die ursprüngliche Premierenfassung von Schwarzer Kies als 2K DCP gezeigt. Es kann bis zur Wiederentdeckung dieses ungewöhnlich düsteren, rauen Käutners also nur noch Jahre dauern.

Schwarzer Kies

Ein typisch untypischer Film für alle Käutner-Neulinge

In Himmel ohne Sterne hatte Käutner 1955 über die deutsch-deutsche Grenze getrauert. Bei aller Kritik an der Leere der Konsumgesellschaft scheint im Romeo-und-Julia-artigen Liebespaar dieses Films ein melancholischer Humanismus durch. Genau der hatte mich in Unter den Brücken so begeistert und auf die Suche nach weiteren Filmen des Regisseurs geschickt, wie Große Freiheit Nr. 7, Romanze in Moll oder In jenen Tagen. Kleine Leute, die sich wider alle Last von Leben und Geschichte als gut erweisen und dafür selten belohnt werden - das könnten die Proto-Helden eines Helmut Käutner-Films sein. In Schwarzer Kies fehlt von ihnen jede Spur. Die Härte dieses Films lässt sich noch einmal ganz anders wertschätzen, wenn man ein Bild von Käutner zu haben glaubt, das auf den Kopf gestellt wird.

Robert und andere Fahrer zwacken Kieslieferungen für die geplante Landebahn der Militärbasis ab, um sie auf dem Schwarzmarkt an deutsche Betriebe zu verkaufen. Töchter dieses Grenzorts mitten in der Bundesrepublik leben vom Sold der G. I.s. Von Nacht zu Nacht in den Zimmern der zum Gasthaus umfunktionierten Scheune. Oder auf der Pirsch nach dem amerikanischen Verlobungsring, dem Ticket in ein anderes Land oder wenigstens ins feine Reihenhausviertel. Jeder ist zuallererst auf den Gewinn bedacht, ein fahles goldenes Schimmern in der dusteren Perspektivlosigkeit dieser Gegend. Auf Schmuggler Robert trifft das zu und auf seine frühere Geliebte Inge (Ingmar Zeisberg), die einen amerikanischen Militär geheiratet hat, eine lieblose Ehe, aber immerhin eine finanziell geborgene. Robert und Inge treffen sich zufällig wieder, das Hundehalsband verbindet sie. Für ein paar Minuten flackert die Erinnerung an eine unschuldigere Zeit auf. Damals hatten die beiden vielleicht kein gutes Leben, aber ein besseres. Doch was wie eine Dreiecksgeschichte anfängt, wendet sich zum trostlosen Noir im deutschen Hinterland. Die Hoffnung wird begraben, als Robert aus Versehen ein Liebespaar überfährt und den Unfall vertuscht.

Schwarzer Kies

Filme wie Schwarzer Kies bereichern unsere Perspektive auf das Deutsche Kino

Die Musikbox in der Scheunenbar entlädt sich auf der Tonspur von Schwarzer Kies, ihre Überschwänglichkeit reibt sich an der kahlen Schwarz-Weiß-Fotografie wie die Vorstellung vom ausgelassenen Vergnügen an einer Hunsrücker Scheune. Diese dem Film eingeborene Widersprüchlichkeit passt ganz hervorragend zu den Figuren. Robert etwa hat die Ziellosigkeit seines Lebens in einer coolen Attitüde kanalisiert. Die zerläuft erst, wenn seine Welt in Flammen steht. Bei manchem Dorfbewohner wiederum sitzen Ressentiments noch tief und brechen in besagten geschnittenen Szenen durch wie die zackigen Noten deutscher Marschmusik durch den Rock 'n' Roll. Das Natürlichste an diesen Figuren, ob Schmuggler, Polizist, Prostituierte oder Major, ist die Konsequenz, mit der sie ihre Rollen spielen. Nicht darin vorgesehen: die Wahrheit.

Insofern offenbart Schwarzer Kies 1961 eine moralische Trümmerlandschaft, wo Vorstadthäuser und Neubauten jene Überreste der Kriegsjahre verdeckt haben. Seinerzeit wurde das als klischeehafte Gesellschaftskritik bemängelt. Aus heutiger Sicht legen wiederzuentdeckende Filme wie Schwarzer Kies Kontinuitäten im deutschen Film frei, die der verkündete Bruch mit "Papas Kino" zu verdecken drohte. Kontinuitäten etwa zwischen den Verbrechen im Hunsrück und der Ehe der Maria Braun. Der Cinephile, mich eingeschlossen, träumt manchmal vom deutschen Kino das "hätte sein können", angesichts der Förderpolitik und ihrer Folgen. Helmut Käutner jedenfalls war da und er verdient unsere Aufmerksamkeit.


[1] Ein Preis für zwei Käutner-Filme. "Die Jury", hieß es damals im Spiegel , "habe sich nicht darüber klarwerden können, welcher der beiden Käutner-Filme der schlechtere sei", Schwarzer Kies oder sein Musical Der Traum von Lieschen Müller.

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