Der Filmvorspann, eine ausgestorbene Kunst

09.07.2014 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Anatomy of a Murder
Columbia Pictures
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Grafikdesigner wie Saul Bass haben den Filmvorspann zu einer eigenen Kunstform erhoben. Leider scheut das gegenwärtige Kino aus unerklärlichen Gründen jede Form von Eröffnungstiteln. Und lässt damit eine wunderschöne Tradition vor die Hunde gehen.

"Bei deinen Filmen", sagte der Freund eines Freundes, "kommt der Abspann ja komischerweise immer schon zu Beginn". Der Freund des Freundes hatte das ganz ernst gemeint, und wie sollte es ihm auch jemand verübeln. Wer seine filmische Sozialisation einzig durch Gegenwartskino erfährt, muss das vielleicht wirklich ganz und gar seltsam finden: Die damalige Einblendung des Filmtitels gleich zu Beginn, die aufgelisteten Namen der Beteiligten, die musikalischen Hauptthemen. Schlimmer noch: Die schön gestaltete Titelsequenz, mit abstrakten Animationen, schrägen Typographien, dem kleinen Film, der zum großen Film führt.

Das Kino hat sich in den vergangenen Jahren größtenteils darauf verständigt, den Filmvorspann so gut es geht abzuschaffen. Studiologos und Titel sollen genügen, den Rest besorgt der rollende Schluss. Ein Kino mit Opening Credits ist ein Kino von gestern. Und die Titelsequenzen – sofern es sie überhaupt noch braucht – scheinen überwiegend an das Ende eines Films verlegt, ein bisschen sinnfrei drangeklatscht zwischen letztem Bild und Laufschrift. Der Vorspann allerdings, ob in aufwendigem Motion-Design oder typographisch schlichter Gestaltung (über schwarzem oder auch schon bewegtem Bild), ist keine unwesentliche Tradition des Kinos. Und eigentlich auch keine verzichtbare.

Die Geschichte des Vorspanns reicht zurück bis in die Anfänge des Kinos, oder wie es der Freund des Freundes vielleicht empfinden mag: bis zur filmischen Steinzeit. Kino, das seine Spielfilme gar nicht erst vorstellt, hat eigentlich kein Zuschauerinteresse verdient. Ein uninteressanter Nebenaspekt ist das sicherlich nicht: Der Vorspann nicht nur als stimmungsvoller Auftakt, sondern auch als Geste des Respekts. Wenn Eröffnungstitel eine erste Kommunikation bilden, ist ihr Verzicht möglicherweise schon erstes Indiz für eine Verachtung des Publikums.

Mit simplen Titelkarten und vorangestellten Zwischentiteln präsentierte das Kino seine Opening Credits zunächst als reinen Informationsservice, wie er im Studiosystem dann auch vertraglich ausgehandelt wurde (der spätere Kampf um das Top Billing, die erste, oberste, wichtigste namhafte Nennung also, verweist auch auf die mit bitterem Ernst organisierte Vorspannpraxis allein aus einer filmökonomischen Notwendigkeit heraus). Je mehr sich Film als seriöse Kunstform zu behaupten wagte, desto auffälliger zeigten sich die gestalterischen Bemühungen seiner Präsentation. Mit individuellen Verzierungen und kunstvollen Typographien feierten die Eröffnungstitel ihren jeweiligen Film auch als ein Ereignis von gehobener Bedeutung, nicht zuletzt in der Außerordentlichkeit wunderschöner Ouvertüren.

Mit unbeweglichen Eröffnungstiteln, jenen Standbildüberblendungen, die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – einigermaßen normiert über Cast und Crew Auskunft gaben, wollte und konnte sich das Kino zu Beginn der 1950er Jahre nicht mehr zufrieden geben. Zu seinen nicht wenigen Konterversuchen gegenüber dem wachsenden Sendebetrieb (und der gestiegenen Beliebtheitswerte) des US-amerikanischen Fernsehens zählte nebst CinemaScope, 3D und Monumentalepos auch eine Weiterentwicklung des reinen Opening Credits hin zur elaborierten Titelsequenz. Mit verschiedensten Trick- und Animationstechniken sollte sie jenes Filmereignis preisen, für das ein der Attraktivität des Kinos erlegenes Publikum gern zu zahlen bereit war.

Unter Leitung der beiden maßgeblichen Vorspanndesigner Saul Bass und Maurice Binder gerann die Titelsequenz zu einer eigenen, dem Film vorangestellten Kunst zur Erzeugung bewegter Bilder: Eine grafische Verschränkung dessen, was folgen wird, keine bloße Vorwegnahme bestimmter Motive, sondern deren komplexe Hinleitung, kein einfaches Einstimmen auf den Film, aber seine abstrakte Interpretation. Und ganz besonders: Ein atmosphärisches Werkzeug, das uns emotional schon mal ordentlich zurechtschraubt, auf die große Erwartung, auf das große Kino. Titelsequenzen, das schreibe ich hier voller Wehmut, sind der Moment, an dem nicht nur ein Film, sondern das Kino ganz zu sich selbst findet.

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