Der Junge im gestreiften Pyjama produziert Kontroversen

07.05.2009 - 08:55 Uhr
Der Junge im gestreiften Pyjama
Walt Disney
Der Junge im gestreiften Pyjama
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Wie kann und darf Ausschwitz dargestellt werden? Funktioniert eine Geschichte aus Sicht eines Kindes?

Die Geschichte ist so unwahrscheinlich wie sie wahr sein könnte. Berlin, Anfang der 1940er Jahre. Der achtjährige Bruno (Asa Butterfield) ist der behütete Sohn eines Nazioffiziers. Als sein Vater (David Thewlis) befördert wird, muss er mit seiner Familie aus dem gediegenen Zuhause in Berlin in eine trostlose Gegend umziehen, wo der einsame Junge keinerlei Ablenkung geschweige denn einen Spielgefährten findet. Von Langeweile und Neugier getrieben, schlägt Bruno die Anweisungen seiner Mutter (Vera Farmiga) in den Wind, er solle auf keinen Fall den Garten und den Wald hinter dem Haus erkunden.

So schleicht sich Bruno zu einer seltsamen Ansammlung von Gebäuden und Menschen, die er von seinem Zimmerfenster aus gesehen hat und die er zunächst für einen Bauernhof hält. Dort trifft er auf den gleichaltrigen Schmuel (Jack Scanlon), der auf der anderen Seite eines hohen Stacheldrahtzauns lebt – der Beginn einer intensiven Freundschaft. Zuerst versteht Bruno nicht, was es mit dem Lager und seinen Bewohnern auf sich hat, aber dann beginnt er den Schrecken zu ahnen. Eines Tages will er sich Gewissheit verschaffen und gerät selbst in die Maschinerie der erbarmungslosen Lagerrealität.

Der Junge im gestreiften Pyjama ist eine Fabel, die auf einzigartige Weise zeigt, wie unschuldige Menschen, insbesondere Kinder, in Kriegszeiten unter Vorurteilen, Hass und Gewalt leiden. Durch die Augen eines fantasievollen achtjährigen Jungen, der von der Realität des Krieges weitgehend abgeschirmt wird, sehen die Zuschauer, wie sich zwischen Bruno, dem Sohn eines Nazikommandanten, und dem jüdischen Jungen Shmuel, dem Gefangenen eines Konzentrationslagers, eine verbotene Freundschaft entwickelt. Auch wenn die Leben der Jungen durch einen Stacheldrahtzaun physisch voneinander getrennt sind, so verflechten sie sich doch auf unausweichliche Weise.

Bei der Literaturverfilmung offenbart sich wieder einmal ein großes Problem: Wie kann und darf Ausschwitz dargestellt werden? Und so gibt es kontroverse Ansichten zu dem Film.

Völlig entsetzt und bestürzt über derart viel Unverfrorenheit ist Andreas Kilb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: “Dieser Film ist eine Frechheit. Ein Schlag ins Gesicht für jeden, der geglaubt hat, es gebe eine Grenze beim Umgang des Kinos mit dem Holocaust, eine Schwelle, die das historisch Belegte von der reinen Spekulation trennt. Der Junge im gestreiften Pyjama überschreitet diese Schwelle. Und er tut das so unverblümt, dass man nach dem Abspann eine Weile braucht, um zu begreifen, was man da gerade gesehen hat.”

Genau entgegengesetzt sieht es Stefan Volk im film-dienst Er stellt sich die Frage, “ob man vor dem Hintergrund des Holocaust überhaupt erfundene Geschichten erzählen darf. Das freilich ist eine trügerische Fragestellung. Legt sie doch nahe, dass das historische Grauen prinzipiell real darstellbar sei. Tatsächlich aber kann man den Holocaust (frei nach Watzlawick) nicht nicht fiktionalisieren. Es kommt also darauf an, sich mit ihm aufrichtig auseinander zu setzen, die wichtigen Fragen zu stellen. Das gelingt Herman überraschend gut. Der Junge im gestreiften Pyjama ist ein ergreifender, aufwühlender, nie rührseliger Film, der sich dem Holocaust auf eine irritierend naive, zärtliche Weise annähert und gerade dadurch dessen perverse Banalität offen legt.”

Ganz so schlimm finden es andere Kritiker nicht: Sie blicken auf die emotionale Ebene. Es ist ergreifend laut Gregor Wossilus auf br-online, wie Regisseur Mark Herman “kindliche Unschuld hier als Symbolträger von Hoffnung einsetzt ohne dabei die tragische, erforderliche Konsequenz der Geschichte aus den Augen zu verlieren. Er zeigt Kinder, deren Geist noch nicht vom omnipräsenten menschenverachtenden NS-Regime – der Film beginnt mit einer Kamerafahrt über eine Hakenkreuzfahne – vergiftet wurde. Es sind unschuldige Kinder, die sich einfach (noch) nicht vorstellen können, was für Gräuel vor ihrer Haustür geschiehen. Gerade diese Perspektive durch Kinderaugen auf den Holocaust ist ungewöhnlich und umso wirkungsvoller.”

Für Jan Schulz-Ojala vom Tagesspiegel ist der Film immer dort am überzeugendsten, “wo er sein historisch düsteres Setting und die sich verdüsternden Binnenpsychologien auf Täterweltseite entwickelt, wobei David Thewlis als zwielichtige Vaterfigur den stärksten Eindruck macht. Das Märchen zwischen Bruno und Schmuel dagegen, emotionaler Kern des Films, bleibt blass. Ahistorizität und Historie zugleich lassen sich eben nur mit schweren Verlusten an Glaubwürdigkeit behaupten. Siegt dann die Historie, und sie tut es mit einem Schock, mag dem gut gemeinten Anliegen Genüge getan sein. Filmisch entlarvt sie das ganze Unternehmen als jenen Flirt mit der Lüge, das es ist.”

Ab heute ist Der Junge im gestreiften Pyjama in den Kinos zu sehen. Schaut doch in unserer Kinoprogramm um zu sehen, ob er in einem Kino in Eurer Nähe gezeigt wird.

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