Die Anime-Definition im Wandel: Deshalb gehört auch Shelter dazu

18.09.2017 - 10:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Shelter
Crunchyroll
Shelter
22
3
Mit zu engen Definitionen vorzuschreiben, was ein Medium oder Genre darf und was nicht, kann diese stark einschränken und in ihrem Wachstum hindern. Oder kurz gesagt: Selbstverständlich ist Shelter ein Anime.

Shelter war ein kleines Highlight des letzten Jahres. Ein bezaubernder Kurzfilm mit hervorragender Musik, der problemlos den Übergang zwischen einer beschwinglichen Gottes-Fantasie und einer Tragödie schaffte. Es war ein Riesenhit mit mehreren Millionen Views, wurde an vielen Ecken des Internets gefeiert und war etwas, auf das Fans des Mediums Anime stolz sein konnten.

Jedenfalls solange sie es als Teil des Mediums akzeptieren würden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.

YouTube Inhalte zulassenMehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Shelter wurde von diversen Foren und anderen Plattformen aus den für Anime vorgesehenen Bereichen ausgeschlossen, aus einem einfachen Grund: Porter Robinson, Autor des Musikvideos und einer der Männer hinter dem Song, zu dem es gehört, ist Amerikaner, ebenso die Produzenten von Crunchyroll. Trotz der Arbeit des japanischen Studios A-1 Pictures hatte sich Shelter damit durch diesen einfachen Umstand als Anime disqualifiziert.

Der Diskurs, was in welches Medium oder Genre gehört, ist oft von sehr engen Definitionen geprägt, die das Risiko beinhalten, neben dem Gegenstand der Diskussion auch bereits etablierte Werke von der Gruppierung auszuschließen. Was als Horrorfilm zählt, welche Faktoren für die Akzeptanz als Spiel erfüllt werden müssen oder eben ob amerikanische Produktionen mit dem Label Anime geschmückt werden dürfen, sind alles Diskussionen, die jederzeit mit der richtigen Kontroverse wieder auftauchen könnten.

Möglicherweise klingen die ersten westlichen Beteiligungen dabei immer noch nach. In den frühen bis mittleren 2000ern versuchten sich einige Studios an stark Anime-inpirierten Serien. Die Animatoren konnten sich dabei an Stilen austoben, die sie vielleicht schon in ihrer Jugend geprägt haben. Gleichzeitig gab es den Vorteil, dass eine neue Zielgruppe angesprochen wurde, ohne sich die Rechte an den Serien mit japanischen Verlagen und Studios teilen zu müssen. Shows wie Teen Titans, Kappa Mikey, Totally Spies, Avatar oder Super Robot Monkey Team Hyperforce Go! reichen von zynischen Imitationen über misslungene Hommages bis hin zu Klassikern, die heute noch beliebt sind. Selbst South Park hat sich an dem Stil versucht, und unterschied sich in seiner bewusst reduktiven Machart nicht wesentlich von den negativen Beispielen. Hier war die Bezeichnung als amerikanischer Anime üblich. Besonders, da die Unterschiede zu authentisch-japanischen Shows immer noch sehr offensichtlich waren. Übertriebene Gesichtsausdrücke, bestimmte Tropen oder Charakter-Archetypen wurden nur oberflächlich übernommen, ohne den Kontext, in dem sie normalerweise funktionieren. Der Trend ist seitdem zu subtileren Einflüssen und gelegentlichen Anspielungen übergegangen, jedenfalls bis Neo Yokio diese vergangene Ära in der nächsten Woche zurückbringt.

Kappa Mikey

Für eine angemessene Klassifizierung, was genau als Anime zählt, fehlt eine einheitliche Definition. Der Duden  und Wikipedia  richten sich nach dem Herkunftsland. Merriam-Webster  geht nach visuellen Merkmalen und Story-Klischees. Oxford  berücksichtigt das Alter der Zielgruppe mit. Die Definitionen schließen sich nicht gegenseitig aus, aber wenn das genaue Verständnis sich schon von Outlet zu Outlet unterscheidet, ist damit auch von Person zu Person zu rechnen. So bleiben uns statt einer Definition bestenfalls Annäherungen mit einigen Ausnahmen und das eigene Bauchgefühl. Japan sind diese Unterscheidungen natürlich völlig egal, da umfasst der Begriff einfach alles an Animation.

Die Nationalität der Beteiligten oder der Zielgruppe fällt in der Lehrbuch-Definition nicht weiter ins Gewicht, da diese Faktoren aber für gewöhnlich gleich, nämlich japanisch sind, haben sie sich so im allgemeinen Bewusstsein eingeprägt. Als subjektive Festlegungen sind solche Kriterien nicht falsch, es stellt sich aber zumindest die Frage, was für einen Zweck eine so engstirnige Sichtweise erfüllt und ob sie bei den aktuellen Entwicklungen nicht früher oder später weichen muss.

Ein rein japanisches Publikum wird schon lange nicht mehr angesprochen, dafür sind die Verkaufszahlen außerhalb zu verlockend. Bei Gainax und Trigger ist der Stellenwert westlicher Zuschauer eindeutig zu spüren, Panty & Stocking, FLCL oder Little Witch Academia ließen sich in ihrer Gänze oder zumindest in gelegentlichen Stilbrüchen ebenso gut als Cartoons bezeichnen. One Punch Man und My Hero Academia ziehen ihre Inspiration sehr klar von amerikanischen Superhelden-Comics. Cowboy Bebop setzte sich aus zahlreichen westlichen Film- und Musik-Genres zusammen. Space Dandy vom gleichen Regisseur feierte seine Premiere sogar im englischsprachigen Raum. Auch der Cast hinter den Shows ist alles andere als einheitlich, dank der Unterstützung koreanischer Studios und des wachsenden Animationsmarktes in China.

Panty & Stocking with Garterbelt

Unterdessen ist die amerikanische Herkunft (bzw. die amerikanische Beteiligung) Rwby, Castlevania, Shelter oder Children of Ether ohne Hintergrundwissen zu ihrer Entstehung kaum anzumerken. Oft entstanden sie aus dem Verlangen der Verantwortlichen, einen Beitrag zu einem Medium zu leisten, das ihnen am Herzen liegt. Da mit unzuverlässigen Regelungen und einem japanischen Reinheitsgebot vorzuschreiben, was Anime darf und was nicht, ist, denke ich, unnötig und könnte sogar schädlich sein. Ohne äußere Einflüsse besteht ein höheres Risiko, sich künstlerisch festzufahren. Und jede Animationsbewegung kann immer noch etwas von anderen lernen.

Wie weit reicht eure Definition von Anime?

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News