Die Gewaltästhetik des italienischen Genre-Kinos

03.03.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Der Zwang, zu zuschauen in Opera von Dario Argento
'84 Entertainment
Der Zwang, zu zuschauen in Opera von Dario Argento
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In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre entwickelten sich in Italien zwei unterschiedliche, in ihrer Stilistik aber ähnliche Genres: der Italowestern und der Giallo. Italienische Regisseure setzten auf detailfreudige Darstellung von Sadismus und Gewalt.

In den ersten beiden Teilen dieser Reihe über Gewalt und Film ging es zum einen um die doppelte Bedeutung des Sehens – des gewalttätigen Blicks des Kameraauges auf die im Film erscheinende Welt und der Wahrnehmung physischer, psychischer und struktureller Gewalt durch die Zuschauer. Der zweite Schwerpunkt lag auf der Gewalt gegen den Körper beziehungsweise einer Gewalt, die in der expressiven Bewegung des Körpers selbst zum Ausdruck kommt. Im Italo-Western und dem Giallo kommen diese zwei Gewalt-Elemente zusammen.

Schmutz, Staub und Schweiß
Mit Für eine Handvoll Dollar begründete Sergio Leone 1964 das Genre des Italowesterns. Nach amerikanischem Vorbild traten hier einsame Helden in weiter Landschaft auf. Das war aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit zu den moralistischen Filmen aus Hollywood. In der italienischen Westernvariante erschienen dagegen schmutzige Typen in schäbigen und speckigen Staubmänteln, die ohne tieferes Verständnis für Recht und Ordnung außerhalb gesellschaftlicher Konventionen auftraten. Ihre Gesichter schienen wie gegerbt unter der sengenden Sonne der schier endlosen Prärie des amerikanischen Westens. Der Held des Italowesterns war kein integrer, ritterlicher Typ mehr, der uneigennützig und ehrenhaft agierte und das Prinzip des Guten und Gerechten verkörperte. Die Figuren, die Sergio Leone zuerst kreierte – dargestellt vom damals noch unbekannten Clint Eastwood -, waren undurchsichtig und schillernd, sie agierten aus Habgier und überhaupt nur zu ihrem eigenen Vorteil. Dieser Typus des Anti-Helden, der wenig sprach, aber gut schoss, prägte nicht nur das eigene Genre, sondern belebte auch wieder die Western aus Hollywood, die sich davor längst keiner Beliebtheit mehr erfreuten.

Das ewige Lied vom Sterben
Indem im Italoswestern der Zwang zur moralischen Erzählung überwunden wurde, bei der das Gute und das Böse sonst immer gegen einander abgewogen werden muss, eröffnen sich ganz andere filmische Möglichkeiten. Sergio Leone reduzierte diesen Konflikt auf eine Ästhetik des Duells. Diese klassisch-ritterliche Form des Zweikampfs ist aber keine des Kampfes Mann gegen Mann. Der Augenblick des Schießens, das zugleich das Problem der Undarstellbarkeit des Todes mit sich zieht, zögerte Leone solange es nur ging hinaus. Entscheidend ist das Blick-Duell, bei dem in rascher Schnittfolge die Augen, die Hände und die Pistolen in den Fokus kommen bis der unausweichliche Schußwechsel beginnt. Diese Zeit vor dem eigentlichen Losbrechen der Gewalt wirkt wie ein Aufschub des Todes, ein zentrales Motiv, das in der Dollar-Trilogie (Für eine Handvoll Dollar, Für ein paar Dollar mehr, Zwei glorreiche Halunken) immer wieder kehrt. Stilistischer Höhepunkt dieses ewigen Liedes vom Sterben und gleichzeitig des Genres ist Spiel mir das Lied vom Tod, bei dem Leone die Intensität des finalen Duells bis zur Auflösung des narrativen Erzählflusses ausreizt. Die extreme Nahaufnahme der sich gegenüberstehenden Augenpaare ist rückblickend das alleinige Ziel der Handlung, ein endgültiger Triumph der Form über den Inhalt.

Gewalt des Bildes
Weniger den Moment des Sterbens ästhetisierend dafür aber hoch symbolisch ging der Regisseur Sergio Corbucci vor. Wenn in Django Franco Nero in der Titelsequenz des Films von 1966 einen Sarg, in dem ein riesiges Maschinengewehr verborgen ist, durch eine morastige Landschaft zieht, in der er beinahe zu versinken droht, wirkt das wie ein grausiges Stimmungsbild, bei dem der Tod höchst persönlich im wilden Westen herrscht. Oder wenn sich am Ende von Il Grande Silenzio (Leichen pflastern seinen Weg) – einer filmischen Vision vom Scheitern der Revolution – die titelversprechende Stille über die exzessiv gewalthaltigen Ereignisse legt. Oder wenn in Il Mercenario (Mercenario – Der Gefürchtete) der finale Shoot-Out in einer Art Rodeo-Arena stattfindet und sich das gewaltsame Sterben damit selbst ausstellt. Corbucci ließ deutlich linkspolitische Töne in das Western-Narrativ vom Außenseiter, der wider einen korrumpierten Machtapparat antritt, einfließen. Wo Leone den Kontrast von der Weite der Landschaft in der Supertotalen und der Nähe zerknitterter Gesichter in opernhafter Theatralik suchte, ist bei Corbucci beinahe jedes Bild mit Gewalt und dem Leiden seiner Anti-Helden aufgeladen.

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