Die Spitze des Eisbergs

03.09.2012 - 08:00 Uhr
Lost
moviepilot / ABC
Lost
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Dieser moviepilot-User schreibt über ein Schicksal, das viele teilen müssen: gestrandet auf einer Insel, abseits der Zivilisation, verloren. Lest, was er über die TV-Serie Lost zu sagen hat.

This is a place that you all made together, so that you all could find one another. The most important part of your life was the time that you spent with these people. That’s why all of you are here. Nobody does it alone. You needed all of them and they needed you.

Das ist er, der Platz, an dem wir uns wiedersehen. Wir sitzen im warmen Sand, die Sonne versinkt hinter den Bergen der Insel. Das Rauschen des Meeres harmoniert mit Charlies Song, den er auf seiner Gitarre spielt. Das Lagerfeuer knistert und knackt. Wir sitzen drum herum, in einem großen Kreis, wie eine große Familie. Ich habe sie alle begleitet, von Anfang an. Ich erinnere mich noch daran, wie ich damals spöttisch von simplen Stereotypen sprach, als ich auf die Überlebenden traf: Der selbstverliebte Macho, der drogensüchtige Musiker, die traditionsbewussten Koreaner, der dicke Tollpatsch, die schnippige Schnepfe, der fanatische Outbacker, der hilfsbereite Arzt. Doch heute, wo wir wieder alle zusammen sind, weiß ich es besser: I was wrong.

Heute weiß ich, dass jeder Mensch eine Geschichte hat. Jeder Mensch hat einen Grund dafür, warum er so ist, wie er ist. Warum er so handelt, wie er handelt. Whatever happened, happened. Ich habe gelernt, dass wir zu selten fragen, weil wir es uns lieber einfach machen. Doch genau dazu hat LOST aufgefordert: Fragen stellen. Denn every answer leads to another question. Desmond und Penny sitzen mir gegenüber und ich denke an die ergreifendste Szene, die es jemals in einer Serie gegeben hat. John Locke blickt philosophierend ins Feuer. Sayid tüftelt an Funkgeräten herum. Sawyer gibt uns Spitznamen, er nennt mich Lostie. Jack ist auch hier, er hat uns schließlich zusammengehalten: If we can’t live together we gonna die alone. Und Hugo malt seine Zahlen in den Sand – 4 8 15 16 23 48.

Während wir hier sitzen, lasse ich unsere sechs gemeinsamen Jahre Revue passieren. Gelitten, gefiebert, getrauert, gelacht, gestorben, gefühlt und gefürchtet. Gewartet haben wir auch, ganze 52 Wochen, bis es endlich weiterging. Weiter mit den Irrungen, mit dem Unerklärlichen. Wie im freien Fall ohne Halt, weil wir so komplett dabei sind. Ein Zustand wie in Trance, an dem Musik-Meister Michael Giacchino nicht unschuldig ist. Minutiös gezupfte Saiten und virtuos geschwungene Bögen bildeten diese eine unzertrennbare Liaison.

Unzertrennbar trifft es überhaupt sehr gut, wenn man denn bereit war, sich auf die Geschichte von LOST einzulassen. Irgendwo zwischen Drama und Mystik wurden wir an die Grenze unserer Phantasie geführt, um uns zu zeigen, dass es keine Grenzen gibt. Es gibt nichts, das uns eingrenzt. Don’t tell me what I can’t do. Ohne Grenzen sind wir frei. Und weil wir frei sind, glauben wir. Wenn es eine Botschaft in LOST gibt, dann die: Glaube, und du lebst. Das ist der eigentliche Gewinn, für den die Rationalen sich mit Irrationalem beschäftigen, für den aus flüchtigen Fans frohlockende Fanatiker geworden sind, für den sich Glaube und Wissenschaft vereinigen. Don’t mistake coincidence for fate.

LOST ist die feine Linie zwischen Rache und Vergebung, Recht und Verfehlung, Unschuld und Buße, Schicksal und Hoffnung, Liebe und Hass. Diese Berührungspunkte haben uns dazu verleitet, den Ausgang im immergrünen Irrgarten der Serie erst gar nicht zu suchen. Wir waren wieder bereit, uns zu verlaufen, an der Komplexität zu scheitern, weil am Ende die Erkenntnis stand. Wir hatten die Gelegenheit, den Serien-Schöpfern dieser Welt zu zeigen, dass wir im Zuge der anspruchslosen Unterhaltungsüberschwemmung immer noch diesen Spirit in uns tragen, der uns nach Qualität lechzen lässt. Die Qualität gab es auf Bestellung. LOST ist wie ein Prisma, an dem das Licht sich bricht: Götter, Religionen, Mythologien, Milieus, Kulturen – ein Potpourri der ganzen Welt, in der wir unser Leben leben. Deshalb ist LOST trotz mancher Surrealität immerdar nahbar geblieben, obwohl die Serie mit ihren Cliffhangern, Flashbacks und Flashforwards, sowie der Leidenschaft für tiefgründige Charaktere mit nachhaltigen Dialogen keine leichte Kost ist. Jene, die alle Antworten auf dem Silbertablett unter der güldenen Glosche erwarteten, wurden zu Recht enttäuscht. LOST serviert eine individuelle Erfahrung und ist keine Entscheidung zwischen Herz oder Verstand, sondern im Ergebnis das, was dazwischen liegt – die Seele, unergründbar und meerestief. Somit kann man Abrams, Lindelof und Cuse dankbar sein für ihren Mut, etwas vollkommen Unkonventionelles erschaffen zu haben. I hope someone will do for you what you just did for me.

LOST war uns eine Konstante und nach 121 Episoden war unser freier Fall, unser Rausch, beendet. Wir fallen nicht mehr, wir sind gelandet, sind aufgewacht. Seitdem fehlt jemand. Ein guter Freund, dem man nur lauschte, der uns Lehren auf unseren ebenso beschwerlichen Weg mitgab. Ein unersetzbarer Freund, der uns prägte und uns unerreichbare Momente der Freude, der Trauer, der Wut und Glückseligkeit bescherte. Ein ehrlicher Freund, der uns lange auf unser gemeinsames Ende vorbereitete. Remember. Let go. Move on.

Mit der Erinnerung im Gepäck ziehen wir weiter. Wer hätte gedacht, dass uns einmal dasselbe Schicksal ereilt. Auch wir sind irgendwie verloren, weil wir uns nicht mehr neu in LOST verlieren können. So bleibt uns bei allem Verdruss nur ein Schluss: We have to go back!


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