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Die unglaubliche (un)wahre Geschichte vom Plastik-Kra(n)ken

19.10.2016 - 09:00 Uhr
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Winkler Film/moviepilot
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Dieser Artikel entstand im Rahmen der Aktion Lieblingsmonster.

Die Sonne hat sich schon längst hinter dem Horizont versteckt und dem Schleier der Nacht Platz gemacht, als sich in einem Kinderzimmer, irgendwo auf dieser Welt, ein kleiner Mund Gehör verschafft.

„Heute mal eine andere Geschichte, Papa.“

Der Erwachsene blickt verwundert vom Buch auf und zieht die Stirn in Falten: „Oh, magst du etwa die alten Geschichten nicht mehr?“

„Doch, doch. Aber heute habe ich einfach Lust auf etwas Anderes. Etwas, das ich noch nicht kenne.“

„So, so.“ Mit einem Lächeln legt Papa das Buch beiseite. „Dann möchte ich Dir heute eine Geschichte über einen tragischen Helden meiner Jugend erzählen. Eigentlich sind es sogar zwei tragische Helden.“

„Ist es eine Gruselgeschichte?“

„Oh ja“, erwidert Papa und senkt seine Stimme. „Sie heißt: Eds Gruselkabinett und handelt von einem erfolglosen Filmregisseur, der verzweifelt versucht, einen Hit zu landen.“

„Klingt unspannend.“ Sohnemann wirkt nicht überzeugt.

„Nicht so vorschnell, Großer. Im Grunde spielt Ed nur eine Nebenrolle, und der eigentliche Star ist ein Monsterkrake. Denn diesen benötigt der Regisseur für seinen Film, von dem er sich Reichtum und Ehre erhofft.“

„Ein echter Monsterkrake?“

Papa lächelt. „Ja, in der Welt des Films muss man manchmal ungewöhnliche Wege gehen. Der erfolglose Ed jedenfalls war fest davon überzeugt, dass es ausgerechnet ein Monsterkrake sein musste. Ohne diesen würde sein Film einfach nicht funktionieren und zusammenfallen wie eine schlechte Pappmaché-Kulisse.“

„Also hat er sich einen Kraken besorgt?

„Ja, das hat er. Einen echten Monsterkraken aus Plastik.“

Der Kleine rümpft die Nase. „Moment, Papa. Ein echter Krake? Aus Plastik? Das passt doch irgendwie nicht zusammen.“

„Meinst du?“ Der Erwachsene lehnt sich entspannt in seinem Sessel neben dem Bett des Jungen zurück und fragt spitzbübisch: „Hast du denn jemals einen unechten Kraken gesehen, der nicht aus Plastik bestand? Warum sollte dann ein echter Krake nicht ausschließlich aus Plastik bestehen können?“

Der Junge überlegt kurz. „Also…“, beginnt er, realisiert jedoch alsbald, dass er irgendwie über den Tisch gezogen wurde, und verstummt.

„Diese Überlegung stellte jedenfalls auch Ed an, als er an einem stürmischen Gewitterabend in eine alte Lagerhalle einbrach und Gunther für seine Zwecke entwendete.“

„Er hat ihn gestohlen, Papa?“

Ausgeborgt. So lautet die Legende.“ Zufrieden beugt er sich nach vorne. „Habe ich etwa wieder deine ungeteilte Aufmerksamkeit?“

„Ja. Aber: Gunther? Ernsthaft?“

„Man soll das Tier beim Namen nennen. Auch wenn es aus Plastik besteht. Jedenfalls sagte ich ja schon, dass auch Gunther ein eher tragischer Held war. So konnte er wegen eines Gendefekts seine Tentakel nicht bewegen.“

Der Kleine wird plötzlich hellhörig. „Gunther war krank?“

Papa registriert das fast schon beiläufige Antizipieren des Namens und lächelt. „Ja, leider. Ihm fehlte gewissermaßen der Motor, um seine Glieder bewegen.“

„Der Arme.“

„Sicherlich. Aber vielleicht verstehst du allmählich, warum Ed gerade diesen Kraken für seinen Film wollte.“

Einen kurzen Moment lang rattert es im Gehirn seines Sohnes. Dann: „Weil er genauso kaputt wie der Regisseur war und er ihm eine neue Chance geben wollte.“

Papa strahlt ob dieser Einsicht: „Ganz richtig. Wenn zwei tragische Helden zusammentreffen, denen im Leben bisher nur Negatives widerfahren ist, kann da doch eigentlich nur was Gutes bei rumkommen. Denn Ed wollte dem bewegungsunfähigen Kraken in seinem Film neues Leben einhauchen. Auch wenn dies hieß, dass jemand heimlich die schlaffen Tentakel während des Filmens von Hand bewegen musste.“

Der Kleine lächelt verträumt. „Das war dann aber alles sehr nett von diesem Ed. Trotz des Einbruchs und so. Er muss Gunther echt gemocht haben. Was wurde denn aus den beiden?“

„Das, mein Sohn, erzähle ich dir ein andermal. Jetzt wird aber geschlafen, ok?“

„Ok, Papa. Auch wenn das keine Monstergeschichte war. Nicht wirklich.“

„Wieso? Es war eine Geschichte über tragische Helden meiner Jugend, von denen einer zufällig ein riesiger Plastikkrake war. Ich denke, das kann man durchgehen lassen.“

*~*

Wieder unten im Wohnzimmer, wirft der Erwachsene einen Blick auf das heimische DVD-Regal und bleibt bei Ed Woods „Die Rache des Würgers - Bride of the Monster“ hängen. Auf dem Cover räkelt sich prominent besagter Krake. Unwillkürlich muss der Mann lächeln. „Armer Kerl“, sagt er und nimmt die DVD aus dem Regal. „Du hattest mit so vielen Monstern zu tun, Ed, hast der Welt so viele unvergessliche Monster geschenkt, aber das wirkliche Monster war für dich dann doch das Schicksal, das es nicht sonderlich gut mit dir gemeint hat.“

„Was hast du da, Schatz?“, fragt seine Frau, die sich klammheimlich an ihn herangeschlichen hat.“

„Einen alten Horrorschinken mit dem wohl traurigsten Filmmonster aller Zeiten. Ich mag es. Aus vielfältigen Gründen.“

Seine Frau wirft neugierig einen Blick auf die DVD. „Ed Wood? War das nicht der schlechteste Regisseur aller Zeiten?“

„Nein“, widerspricht ihr Mann vehement. „Er war ein Mann, der Bilder mit Leidenschaft zum Laufen brachte und das eigentlich Leblose zum Leben erweckte. So auch Gunther.“

„Gunther?“

„Ja. Gunther.“ Er nimmt seine Frau in den Arm. „Eine traurige, aber auch irgendwie schöne Geschichte über Mitleid, Hilfsbereitschaft, Hoffnung und die Liebe zum Film. Willst du sie hören?“

Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Sponsoren der Aktion Lieblingsmonster:
Aktion Lieblingsmonster


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