Die wichtigsten Filmtipps vom Londoner Filmfestival

21.10.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Foxcatcher
Sony
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Die diesjährige Edition des BFI London Film Festival war ein Rekordjahr: 163,300 Menschen platzierten ihre vier Buchstaben auf einem Kinositz und die Qualität der Filme war sehr dicht. Ein Triumph für das Kino.

Wenig Schlaf, Bier und literweise ekelhafter Tee dominierten meine Tage beim 58. BFI London Film Festival. Dazwischen gab es natürlich auch Filme, Pressekonferenzen, Interviews und noch mehr Filme. Mit The Imitation Game und Herz aus Stahl wurde das Festival von zwei Filmen umrahmt, mit denen ich trotz hohem Unterhaltungswert und starken Schauspielern meine Probleme hatte. Doch wirkliche Enttäuschungen gab es kaum. Der australische Thriller Son of a Gun langweilte mich ein wenig, doch das war auch schon die negativste Erfahrung.

Wie bereits in Deauville , war Whiplash der Hit des Festivals und begeisterte (fast) alle. Ein weiterer Film über den viel diskutiert wurde war The Tribe aus der Ukraine. Ich habe den Film von Miroslav Slaboshipitsky, der komplett in Zeichensprache (ohne Untertitel) erzählt ist, allerdings leider verpasst. Dafür habe ich aber über vierzig andere Filme gesehen, von denen ich euch hier einige besonders ans Herz legen will. Haltet unbedingt die Augen für die folgenden Filme offen.

jetzt im Kino: Phoenix von Christian Petzold
Meine Erwartungen für Phoenix waren hoch, doch der Film überzeugte mich auf ganzer Linie. Einige Kritiker hatten Probleme mit der Unglaubwürdigkeit der Handlung (ein Mann erkennt seine Ehefrau nicht, nachdem sie aus dem KZ zurückkehrt), aber das müsst ihr einfach akzeptieren. Die Sturheit der Deutschen in der Nachkriegszeit verhindert, dass Johnny seine totgeglaubte Gemahlin erkennt, obwohl sie vor ihm steht. Nina Hoss trägt den Film mit ihrer ausgezeichneten Darstellung. Der innere Schmerz ist in ihren Augen deutlich zu erkennen. Sie ist ein Haufen Asche, aus dem in der letzten Szene ein neugeborener Phoenix steigt.  

für die ganze Famile: Song of the Sea von Tomm Moore
Nachdem Studio Ghibli die Filmproduktion bis auf weiteres eingestellt hat, könnte Cartoon Saloon aus Irland sich als einer der spirituellen Nachfolger des Studios kristallisieren. Tomm Moore schöpft Inspiration in den zahlreichen Legenden und Mythen seines Heimatlandes und bringt die Magie der grünen Insel auf die Leinwand. In Song of the Sea geht es unter anderem um Selkies, das sind Menschen, die sich in Seehunde verwandeln können. Die wunderbare 2D-Animation illustriert eine bewegende Geschichte über Kummer, Geschwisterliebe, Musik und Abenteuer. Der wohl beste Animationsfilm des Jahres dürfte den kleinen und den großen Zuschauern gefallen.  

für die Western-Freunde: Far from Men von David Oelhoffen
Far From Men ist, laut Regisseur David Oelhoffen, ein Film über die Schwierigkeit, unter Druck eine politische Position einzunehmen. Für den Hauptdarsteller Viggo Mortensen geht es um maskuline Freundschaft. Beide haben Recht. Auch wenn Far From Men nicht im Wilden Westen, sondern 1954 in Algerien, unmittelbar vor Kriegsausbruch, spielt, handelt es sich hier ganz klar um einen Western. Mortensen stellt sein Talent für die französische Sprache unter Beweis und spielt einen Lehrer, der einen Gefangenen zu seinem Prozess eskortieren muss. Unterwegs entwickelt sich ein unausgesprochenes Verständnis zwischen den Männern. Das Tempo ist gemächlich und die spektakuläre Landschaft Nordafrikas (musikalisch untermalt von Nick Cave und Warren Ellis) ist der dritte Hauptdarsteller.  

für die Kunstbegeisterten: Mr. Turner - Meister des Lichts von Mike Leigh
Timothy Spall grunzt sich in einer Oscar-würdigen Leistung als einer der größten britischen Künstler der Geschichte durch dieses Biopic. Mike Leigh ist einer der besten Regisseure im Geschäft und es gelingt ihm hier tatsächlich, Gemälde zum Leben zu erwecken. Der Film verlangt ein wenig Geduld, doch diese Bemühungen werden tausendfach durch perfekte Bilder belohnt. William Turner ist für Leigh kein perfekter Mensch, sondern ein Arbeiter, der sich im sozialen Umfeld der Aristokratie aufhält. Mr. Turner könnte kaum britischer sein, und das ist auch gut so.

für die Adrenalin-Junkies: 71 von Yann Demange
Spätestens als ein britischer Soldat nach 5 Minuten am helllichten Tage in den Straßen von Belfast exekutiert wird, verstehen wir, dass mit diesem Film nicht zu spaßen ist. Jack O'Connell gelingt die Flucht, doch jetzt befindet er sich allein auf feindlichem Terrain und weiß nicht, wem er trauen kann. Die Brutalität und die politische Verwirrung des Nordirland-Konflikts werden schonungslos und schockierend realistisch dargestellt. Die Energie der Inszenierung und die blutige Gewalt des Films machen 71 zu einem aufregenden Kinoerlebnis. O'Connell etabliert sich hierdurch, nach Mauern der Gewalt, als einer der beeindruckendsten jungen Schauspieler in der Filmbranche.  

für die Politik-Interessierten: Leviathan von Andrei Zvyagintsev 
Vladimir Putin erscheint zwar nur auf einem Foto im Hintergrund, doch die Präsenz des russischen Politikers und seiner Ideologie hängt wie ein schwefeliger Nebel über Leviathan. Nachdem das Drehbuch in Cannes ausgezeichnet wurde, kann der Film sich jetzt über die berechtigte Ausszeichnung als Bester Film in London freuen. Stellvertretend für das korrupte Regime haben wir hier einen zwielichtigen Bürgermeister in einer Kleinstadt im Norden des Landes. Er will sich unbedingt das Haus und das Land eines Automechanikers unter den Nagel reißen und dafür sind im alle Mittel recht. Leviathan ist ein faszinierendes, sozialkritisches Porträt der politischen Situation in Russland. Mit sehr viel Vodka!

für die Awards-Season: Foxcatcher von Bennett Miller 
Bennett Miller hat sich ganz unauffällig als einer der besten Regisseure in Hollywood etabliert. Sein dritter Film erzählt die wahre Geschichte von John du Pont (Steve Carell ist kaum wieder zuerkennen), ein Multimillionär und Egozentriker, der ein Wrestling-Team für die Olympiade aufbaut. Der Sport ist zweitrangig und Miller interessiert sich eher für die Charaktere und lässt ihnen Zeit, sich zu entfalten. Du Pont und Athlet Mark Schultz hatten beide soziale Schwierigkeiten und eine unangenehme, zunehmend düstere Beziehung entwickelt sich zwischen Schützling und Mentor. Carell dominiert die sehr starke Besetzung (Channing TatumMark Ruffalo) und das fesselnde Drama. Der Name Foxcatcher wird im Laufe der nächsten Wochen und Monate im Zusammenhang mit Auszeichnungen noch öfter fallen.

etwas Abgefahrenes: White God von Kornél Mundruczó
Der ungarische Oscar-Kandidat und der Gewinner der begehrten Palme Dog in Cannes (für die beste Darbietung eines Vierbeiners) ist ein total abgedrehtes Genre-Experiment und eine Allegorie für Rassismus, die Hundeliebhaber oder Menschen mit schwachen Nerven besser meiden sollten. Der Film beginnt wie eine Arthouse-Version von Disneys Die unglaubliche Reise und endet mit einem menschenleeren Budapest, das von hunderten blutrünstigen Hunden auf der Suche nach Rache heimgesucht wird. Dazu gibt es eine Verfolgungsjagd, die an die Bourne-Filme erinnert. Der grobe Übergang von süßem Kinderfilm zu Horror wird einige stören, doch die Originalität von White God ist unanfechtbar.

zu guter Letzt, mein Lieblingsfilm: Still the Water von Naomi Kawase
Dieses unauffällige Drama aus Japan ist einer der besten Filme über das Erwachsenwerden der letzten Jahre. Naomi Kawase findet hier eine metaphysische Verbindung zwischen den schwerfälligen Versuchen der ersten Liebe und der menschlichen Sterblichkeit. Darüber steht die unzähmbare Macht der Natur. Die ewigen Wellen des Ozeans, die kahle Strandlandschaft bei Ebbe und die grünen Baumkronen dominieren die Landschaft auf der Insel Amami-Oshima, wo die Natur wie ein Gott verehrt wird. Diese spirituellen Ideen werden in ein bewegendes Drama geflochten und formen einen unglaublichen Film. Still the Water lief in Cannes im Wettbewerb und war seitdem bei zahlreichen Festivals zu sehen (unter anderem in München), doch er verdient mehr Aufmerksamkeit.

Haben euch einige Filme angesprochen? Dann macht euch für deren Kinostart bereit!

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