Disneys "schwuler Moment" in Die Schöne und das Biest ist Quatsch

20.03.2017 - 09:45 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Die Schöne und das Biest
Walt Disney
Die Schöne und das Biest
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Gepriesen (oder boykottiert) wird Disney für den "mutigen Schritt", einen "offen schwulen Moment" in seiner Realverfilmung von Die Schöne und das Biest eingebaut zu haben. Aber dieser schwule Moment ist äußerst fragwürdig und nicht, was er scheint, vor allem, wenn man die Geschichte Disneys einmal genauer betrachtet.

Hier ein Satz, der freudig und traurig zugleich ist: Es ist das erste Mal, dass die Disney Studios offen davon sprechen, dass eine ihrer Figuren homosexuell ist. Regisseur Bill Condon gab als erster bekannt, dass die Realverfilmung von Die Schöne und das Biest einen "exclusive gay moment"  beinhalte. Die Resonanz auf diese Aussage teilte sich in große Freude und in homophobe Reaktionen, die vor allem "das Wohl der Kinder" vorschieben. Malaysia wollte die Szene rausgeschnitten haben (Disney hat dies verweigert ), Russland bringt ihn mit einer Freigabe ab 16 Jahren  in die Kinos. Ein wenig muss ich darüber lachen, denn dieser Aufruhr ist absurd. Ich kenne keinen Disney-Film, der nicht unglaublich grausame, eigenartige oder gruselige Momente hat, die jede Menge Kinder traumatisiert haben (für meine Nichte musste ich am Ende von Arielle, die Meerjungfrau immer vorspulen, weil die riesige Meerhexe ihr Alpträume verursacht hat). Und auch in die Schöne und das Biest würde ich erst einmal darüber reden wollen, dass da ein junges Mädchen eine Beziehung zu einem Bison eingeht und in seinem Haus gefangen ist und eventuell an Stockholm-Syndrom leidet. Aber hey, Schwule!!!111

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Erschwerend kommt hinzu, dass dieser exklusive, schwule Moment exakt zwei Sekunden dauert. In einem Ballsaal, in dem dutzende Paare, alle hübsch Mann/Frau, heterosexuell konnotiert, tanzen, sieht man kurz ein Paar, das aus zwei Männern besteht: aus LeFou (Josh Gad) und einem anderen Mann, der im Film zwei kurze Szenen hat. Das soll Disneys LGBT-Revolution sein, die queere Menschen also endlich mal repräsentiert bzw. die Kinder für immer versaut, je nach Sicht der Dinge.

Leider ist das alles totaler Quatsch. Aus zwei Gründen, die ich hier erläutern möchte:

Die volle Klischee-Breitseite

Zum Argument, dass Disney hier mutig ist und endlich einen schwulen Charakter mit einbaut, kann ich nur sagen, dass diese Art von "exklusivem Moment" gar nichts bringt. Mal abgesehen davon, dass es geradezu absurd ist, dass eine Gruppe von Menschen, die seit Jahrzehnten kategorisch und systematische exkludiert ist, jetzt exklusiv gefeatured wird (also entweder ist man gar nicht dabei oder als die große Besonderheit), ist die Repräsentation leider fürchterlich und eher schädlich als hilfreich. Das beginnt schon beim Namen der Figur: LeFou bedeutet "der Idiot" oder "der Verrückte" und wird in Frankreich auch als homophobe Beschimpfung eingesetzt. Das ist also ein bisschen so, als würde man erstmal einen heterosexuellen Mann ausstellen und ihn zum Beispiel El Cipote (deutsch: Der Pimmel) nennen. Herzallerliebst.

Aber abgesehen davon ist LeFou nichts anderes als eine Ansammlung vieler schrecklicher Schwulenklischees. Er der weichliche, kleine, fette Handlanger des großen hypermaskulinen, hypersexuellen Gaston, hat nur eine Aufgabe: dem großen, heterosexuellen Macho dienen. Und ihm dabei unentwegt hinterherhecheln, denn, das macht der Film immer wieder klar, LeFou möchte zwei Dinge: so männlich wie Gaston sein und gleichzeitig Gastons Freund sein. Um diesen Zielen vielleicht ein wenig näher zu kommen, tut LeFou alles für seinen Herrn, bedient ihn brav und unterwürfig und verehrt ihn.

Beauty and the Beast - Clip Gaston (English) HD
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LeFou ist nichts anderes als eine Variante der "Sissy" (deutsches Pendant zu diesem Wort ist Tunte), also einer schwulen Figur, die feminisiert, auffällig, affektiert daher- und immer zum Einsatz kommt, wenn man lachen will. Eine Sissy ist vor allem eine Markierung für fehlende "Männlichkeit". Diese Figur impliziert das Fehlen von Mut, Kraft, Testosteron etc. Besonders beliebt war die Sissy übrigens in den 1940er Jahren, gerne auch in Musicals. Wichtig für das Auftreten von Sissys ist auch, dass ihnen eine andere Figur entgegengestellt wird, die besonders männlich ist und auch einen völlig anderen Körperbau hat. Normalerweise sind Sissys sehr dünne, schmale Männer, die Variation klein und dick geht aber genauso und sorgt mitunter für mehr komödiantische Effekte. Noch klassischer als Sissy lässt sich der andere Mann, mit dem LeFou am Ende tanzt, verorten. Dieser bekommt es in der Kampfszene im Schloss mit dem verwunschenen Kleiderschrank zu tun, der ihn und zwei andere Kerle bekämpft, indem er sie zwangsweise zu Dragqueens macht. Mit Make-up, Perücken und Frauenkleidern pustet er sie ein. Zwei laufen entsetzt weg, der dritte gefällt sich sehr und dankt dem Kleiderschrank, um dann davonzuhopsen.

Das ist also die Repräsentation, die Disney jetzt als erste offen schwule auserkoren hat. Eine, die verletzende Stereotype aufgreift und ausspielt und dadurch mitunter mehr Schaden anrichten kann, als zu helfen. Es ist wahrlich ein Symptom der zähneknirschend implementierten Repräsentationspolitik der großen Majors. Nach "OscarsSoWhite", der Debatte um Frauen in Hollywood etc. ist klar, dass sich Dinge ändern müssen, aber die Umsetzung ist oft ein Graus. Repräsentiert zu werden ist nicht kongruent mit "auch im Bild sein dürfen" (so wie es die handvoll People of Color in diesem Film sind, die am Rand stehen und manchmal einen Satz sagen dürfen). Ein Beispiel aus der Schule: Es hilft nicht, wenn man als Außenseiter plötzlich von der In-Clique angesprochen wird, die einem erlauben, zwei Meter hinter ihnen herzulaufen und ihnen ihre Taschen zu tragen. Da ist man trotzdem nicht "drin" oder "dabei". Es hilft auch nicht, in der Klasse vom Lehrer als ganz "besonders" herausgestellt zu werden. Inklusion läuft anders. Repräsentation bedeutet nicht, dabei sein dürfen, sondern wirklich Teil sein, und das außerhalb von Klischees. Und auch benannt zu werden, denn das passiert hier auch nie. Die "schwule(n)" Figur(en) bzw. der "exklusive schwule Moment" werden im Film selbst niemals in irgendeiner Art und Weise anerkennend benannt.

Und genau hier merkt der/die Disney-Kennerin, vor allem die queeren, was für eine Nebelbombe das eigentlich ist, denn bis auf zwei Sekunden Tanz tut Disney hier nichts Neues, denn Queer Coding und Angebote zum Queer Reading gab es schon immer in Disney-Filmen.

Queer Coding & Queer Reading gibt es bei Disney schon seit Ewigkeiten

Queer Coding ist, ob absichtlich oder unabsichtlich genutzt, ein Vorgang, in dem antagonistischen Figuren stereotype Eigenschaften queerer Menschen gegeben werden. Diese Figuren werden nicht als queer definiert, sie tragen aber die negativen, stereotypen Eigenschaften und verbinden somit, meist auf einer unterbewussten Ebene, queer mit gefährlich, deviant, manchmal gar mit bestimmten Pathologien wie Sadismus etc. Ein Disney-Beispiel gefällig?


Oder Hades aus Disneys Hercules:


Oder Jaffar aus Aladdin:


Ich könnte hier noch locker ein halbes Dutzend weiterer Beispiele auflisten, aber ihr versteht schon. LeFou steht ebenfalls in dieser Tradition. Im originalen Animationsfilm ist er ganz genau solch eine Figur, die mit queerem Code versehen wurde, um seine unterwürfige Schleimigkeit zu stützen und ihn gleichsam als zu "unmännlich" zu konnotieren, damit er dem anderen, dem "wahren" Mann, Gaston, nicht in die Quere kommt.

Es gibt aber noch etwas Anderes, das bei Disney schon fast immer der Fall war: das Angebot für Queer Reading-Möglichkeiten. Auch hier ist unklar, ob es Absicht oder ist oder nicht, aber in jedem, wirklich jedem Disney-Film findet sich eine Figur, die vor allem für queere Menschen die Möglichkeit eröffnet, diese Figur als queer zu lesen, also sie eben ein wenig anders wahrzunehmen und die eventuell vorhandenen heterosexuellen Kontexte zu ignorieren. Meist kommt diese Möglichkeit schon allein aus der Grundhaltung der Geschichten heraus. Oft geht es um einen Außenseiter/eine Außenseiterin, der/die anders ist und von der großen Masse ausgeschlossen wird. Diese Person muss sich dann durchkämpfen und auch zu sich selbst finden, um am Ende belohnt zu werden. Oft durch das Finden von Liebe und die Aufnahme in die Gesellschaft. Im Unterschied zum Queer Coding ist hier allerdings meist der Held/die Heldin oder eine heldische Nebenfigur der Aufhänger für Identifikation und damit selbstgemachte Repräsentation.

Bestes und jüngstes Beispiel hierfür bietet Die Eiskönigin - Völlig unverfroren. Deren Hauptfigur Elsa löste einen wahrlichen kleinen Sturm aus, denn sie als lesbische Frau zu lesen ist unglaublich einfach und geradezu herausragend befriedigend für Frauen, die sich ebenso identifizieren. Dazu muss man nur den Fakt ignorieren, dass Elsa und Anna Schwestern sind. Es gibt unzählige Re-Cuts und es gab sogar eine Petition, die Disney bat, Elsa im Frozen 2 eine Freundin zu geben. Hier ist mein Lieblings-Re-Cut, der aus Frozen einen 90er Jahre-Indie-Drama macht:


Also, ist dieser erste, offizielle, schwule Moment bei Disney eine Revolution in Sachen Queerness beim Studio? Ja, aber ob seines "offiziell"-Seins. Ansonsten glaube ich, dass es kaum jemanden gibt, egal ob queer oder nicht, der/die nicht bemerkt hat, wie viel queerer Subtext bei Disney schon immer vorhanden war. Die Frage, ob LeFou jetzt aber eine gute Art der Repräsentation ist, muss eindeutig verneint werden. Hier ist Disney noch genauso konservativ eingestellt wie eh und je und hat unglaublich viel zu lernen.

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