Drei Zigaretten in 30 Minuten mit Kristen Stewart

09.04.2015 - 09:16 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Kristen Stewart in Die Wolken von Sils Maria
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Kristen Stewart in Die Wolken von Sils Maria
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Warum Kristen Stewart zu den interessantesten und vielversprechendsten Jungdarstellerinnen ihrer Generation zählt, wurde mir während einer nikotinreichen Zugfahrt mit dem heutigen Geburtstagskind gewahr...

Auf den April ist Verlass. Dicke Schneeflocken werden von spätwinterlichen Winden an die Scheiben meines Zugwaggons geweht. Mein spontaner Ski-Urlaub im Schweizer Alpenresort Sils Maria steht unter einem guten Stern. Frohen Mutes begebe ich mich auf den Gang des Zuges, öffne ein Fenster und stecke mir eine Zigarette an.

Die erste Zigarette

"Sorry, kann ich mir eine von dir schnorren?", raunt eine leicht brüske Stimme hinter meinem Rücken. Ich drehe mich um und erblicke Kristen Stewart, die gerade an ihrem Smartphone hängt und mit zwei weiteren rumhantiert. Ich begutachte hastig mein Päckchen und sehe drei letzte Glimmstängel, die ich mir eigentlich für den Rest der langen Zugfahrt aufheben wollte. "Kristen Stewart werde ich so schnell nicht wieder begegnen", denke ich geistesgegenwärtig und zünde der vielbeschäftigten Frau, die noch immer keine Hand frei hat, eine an. Für Worte des Dankes ist sie zu sehr damit beschäftigt, zu telefonieren und zu rauchen, aber ihren tiefgrünen Augen, die wie gewohnt ein wenig schläfrig dreinschauen, strahlen einen Glanz aus, den ich einfach mal als Dankeschön annehme.

Während ich so vor mich hinpaffe, beäuge ich die junge Schauspielerin, die offenbar gerade mit dem Regisseur Olivier Assayas über ihr nächstes gemeinsames Projekt spricht. Kristen Stewart ist keine klassische Schönheit, ganz gewiss nicht. Ihr spitzes Kinn, ihre prominenten Schneidezähne und die hinter dem ungekämmten Haar verborgenen Segelohren verleihen der 25-jährigen Kalifornierin ein markantes wie eigenwilliges Aussehen, das sich auf den ersten Blick so gar nicht den konventionellen Vorstellungen von anmutiger Schönheit fügen will. Und doch ist Kristen Stewart eine der gefragtesten Schauspielerinnen der aktuellen Filmlandschaft sowie eines der speziellsten und interessantesten Gesichter der vergangenen Jahre. Wie gemacht also für die große Leinwand und die großen Rollen der Filmwelt.

Die zweite Zigarette

"Olivier, kannst du bitte einen Moment dranbleiben?" Kristen schnippst ihre Fluppe aus dem Fenster und blickt etwas verlegen zu mir. "Das ist mir wirklich peinlich, aber du hast nicht zufälligerweise noch eine über?" Da ist er wieder, dieser betörende Schlafzimmerblick und der leicht geöffnete Mund, dessen Worten ich einfach nicht widerstehen kann. Ich zünde ihr meine vorletzte Zigarette an. "Olivier? Gut. Wo waren wir?"

Ihre Augen, ihr Mund, ihre Mimik und Gestik. Möglicherweise sind sie der Grund, warum Kristen Stewart immer wieder in der Kritik steht. Nicht selten wurde behauptet, ihr Spiel sei eintönig, ihr Blick ermüdend und ihr Ausdruck stets der gleiche. Dabei beweist ihr sinnliches Spiel, welches sie als lebenshungrige Tracy in Into the Wild, als hemdsärmelige Em in Adventureland oder als rebellische Rockgöre Joan in The Runaways an den Tag legte, dass ihre Rollen oftmals eine einfühlsame Hingabe erfordern, die sicherlich nicht jede Schauspielerin zu meistern wüsste. Nicht ohne Grund wollen Regiegrößen wie David Fincher (Panic Room), Barry Levinson (Inside Hollywood) oder eben zuletzt Assayas, für dessen Die Wolken von Sils Maria sie als erste amerikanische Schauspielerin bei den Césars einen Darstellerpreis abräumte, mit ihr arbeiten.

Die dritte Zigarette

"Olivier?" Wer vom Teufel spricht. "Bleibst du noch mal eine Sekunde dran?" Sie braucht gar nicht erst ihren Mund aufzumachen, denn ihren Wunsch lese ich von ihren Lippen ab. Da geht sie hin, meine letzte Fluppe. Doch ihr aufrichtiges Lächeln war es wert. Glaube ich.

Diese letzte Unsicherheit, dieses "Glaube ich", verlor ich bezüglich ihres schauspielerischen Talents, nachdem ich sie 2010 in Das Gelbe Segel sah. In ihrer vielleicht besten Leistung gelingt es ihr sogar, die Stimmung eines ganzen Films zu prägen. Das Gelbe Segel lebt von ihrer ungreifbaren, faszinierenden Darstellung einer 15-jährigen, die ihren Platz in dieser Welt noch nicht so recht gefunden hat. Hier entfaltete die besagte Mischung aus Verletzlichkeit und Sinnlichkeit auf eine überraschend ähnliche Art ihre Wirkung wie in jenen Filmen, die Kristen Stewart zu einem Star machten. Dass sie diese Qualitäten nach wie vor in ihrem Spiel zu nutzen weiß, stellte sie zuletzt auch in Still Alice unter Beweis. Und ich bin mir ganz sicher, dass sie mich bald auch in Camp X-Ray, Equals und dem nächsten Woody Allen von genau diesen Qualitäten überzeugen wird.

"Alles klar Olivier, wir sehen uns in Zürich. Au revoir!" Kristen zieht ein letztes Mal genüsslich an meiner letzten Zigarette und schnippst sie aus dem Fenster. "Wow, ich muss die wohl spannendste Raucherpausen-Gesprächspartnerin aller Zeiten sein. Das ist mir echt peinlich." Ich nehme ihre Entschuldigung achselzuckenderweise hin und stelle mich ihr erst einmal vor. Betont kumpelhaft streckt sie mir ihre schmale Hand entgegen und erwidert lächelnd: "Freut mich dich kennenzulernen. Ich bin Kristen."

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