Bei jedem ist es mit der Lieblingsszene anders. Der eine liebt Horror,
der andere Action, der eine erschreckt sich gern, der andere steht auf
fetzige Dialoge. Bei mir ist es eine Szene, die so metaphorisch und
ruhig daherkommt, dass man sich vielleicht wundern mag, wieso es gerade
diese Szene geworden ist.
Und damit geht es um den so umjubelten, aber auch verhassten Kunstfilm
"Drive". "Drive" ist wohl einer dieser Filme, bei denen die eine Seite
einfach nicht verstehen kann, wieso er so erfolgreich ist, während die
andere Seite nicht versteht, wie man diesen Film denn bitteschön nicht
gut finden kann. Ferner ein Film, bei dem die eine Seite "Drecksfilm"
schreit und die andere Seite darauf besteht "Ultrakunst" gesehen zu
haben. Eben ein Film der stark abstößt und anzieht zugleich. Zu aller
Verwunderung gehöre ich natürlich zur Kategorie der Verehrer und genau
deswegen stammt meine Lieblingsszene auch aus diesem wundervoll
inszenierten und für mich so schön andersartigen Film.
Es geht schließlich um die Schlüsselszene, in der sich in der Welt
unseres Drivers (Ryan Gosling in perfektioniertem Minimalismus) so
einiges ändert. Nachdem er selbstlos den aus dem Gesicht blutenden
Standard Gabriel über die verlorene "Schlägerei" und ihre Bedeutung
ausgefragt hat, geht er in den Raum zu Benicio herüber, der mit seinen
kleinen Händen einen Gegenstand zwischen seinen Fingern hin und her
rollt. Der Driver stellt sich vor ihn und fragt ihn schließlich, was er
dort in der Hand hält. "Was hast du da? [..] Hat dir das einer der Männer
gegeben?". Der kleine Junge nickt und bringt ein leises, bejahendes
Stöhnen von sich. Die Kamera schaut aus dem Blickwinkel des kleinen
Jungen auf den Driver hinauf und dieser fragt schließlich: "Soll ich sie
für dich aufbewahren?".
Eine ganz kleine, auf den ersten Blick unbedeutende Szene, in der ein
großer Mann einem kleinen Jungen eine Pistolenkugel abnimmt.
Aber wer hätte es gedacht, die Szene ist viel mehr, als nur eine flache,
raumfüllende Szene. Sie hat vor allem eines: eine tiefe Bedeutung.
Jetzt wird die eine, am Anfang geschilderte Seite wieder kreischen, dass
in diesem Film jedes Sekündchen "Bild" darauf aus ist eine Bedeutung zu
haben, so wie sich die Protagonisten slowmotionartig stundenlang
angucken. Aber lasst mich ausholen:
Der Driver ist (für mich) ein Mensch, der all das bis aufs Letzte
verteidigt, was er liebt. Wie ein Löwe, der nachts vor dem Bett seiner
Geliebten sitzt und wachsam darauf achtet, dass keine Feinde in sein
Territorium eindringen und seiner Liebe und schlussendlich ihm selbst
Schaden zufügen könnten. Und diesen beschützerischen Mantel legt er in
seiner präzisen und professionellen Art über all diejenigen, die ihm
wirklich was bedeuten. So gnadenlos gut wie er fährt, beschützt er auch,
gewieft und clever, eisern und aufopfernd, aber nie übermächtig, immer
verwundbar, besonders und fast einzig allein durch die Taten und Gefühle
seiner eigenen Freundin. Er würde sogar sich selbst verändern, zum
wilden Tier werden, wenn es sein muss und das wird er ja auch, später, als er im Fahrstuhl die Fassung verliert (insgesamt übrigens auch eine
überragende Szene). Und auch wenn es für den ein oder anderen
märchenhaft sein mag, ich finde diesen Charakterzug irgendwie ehrenwert
und auch nachvollziehbar. "Is it a crime to fight for what is mine?"
Ist es verwerflich, seine Geliebten bis aufs Blut zu verteidigen? In
seinem stoischen, edelmütigen Egoismus (ich hätte nicht gedacht, dass es
zu dieser Kombination jemals kommen könnte) versucht er nur sich selbst
zu schützen, denn sein Herz ist zu groß, als dass er aufhören könnte,
seine Irene und ihren Sohn aufzugeben. Das mag man dem augenscheinlich
emotional unterkühlten Driver nicht ansehen, aber er lebt nur nach
seinen Gefühlen, er versteckt sie nur mit einer undurchdringlichen Maske
vor alles und jedem, sogar vor sich selbst. Aber zurück zur Szene: in dem Moment, als er Benicio danach fragt, ob er
diese als pikantes Souvenir hinterlassene Patrone für ihn aufbewahren
dürfe, geschieht etwas ganz Großes, auch wenn es nicht danach aussieht.
Der Driver nimmt einem kleinen, unschuldigen Jungen und seiner Familie
eine tonnenschwere Last ab und stellt sich schützend vor sie, mit dem Wissen im Hinterkopf, dass er damit zur Zielscheibe böser Gangster wird
und schließlich daran sterben könnte. Er nimmt sich der Bedrohung in
Form dieser bleigefüllten Hülse an und lenkt sie auf sich, denn er hat
die metaphorisch schutzsichere Weste, den Chitinpanzer, den ein Skorpion
nun mal hat. Und warum tut er das? Er hätte ja auch ganz einfach sagen
können, dass ihn das alles nichts anginge. Aber so ist er nicht, er tut
es schließlich zum Schutz seiner Liebe.
Selbstlos, wie er scheint, ist das in meinen Augen eine große Tat,
denn aufrichtiger lieben, als der Driver es hier tut, kann man nicht und
Martínez' Synthis unterstreichen mit ihren leisen, tiefen Klängen die Dramatik
dieser Szene.
Zu keiner Minute packt Refn hier in seinem Film große
Erklärungen in Form von Dialogen aus, er lässt viel mehr die Blicke
seiner Figuren sprechen und verleiht seinem Werk eine
Interpretationsebene, die ich nur ungern verlasse. Genau dafür sind
Worte wie Kunstfilm oder Bilderrausch erfunden worden und in meinen
Augen ist genau das die große Kunst des Kinos und wenn Benicio unserem
Driver mit seiner kleinen Hand das Projektil überreicht, schließt sich
für mich der Kreis und Drive wird zur absolut ästhetischen, urbanen
Rückbesinnung auf vergangene Zeiten und Werte, genau deshalb gehört
diese Szene zu meinen absoluten Lieblingsszenen und auch zu den ganz
großen unseres so geliebten Mediums Film.
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