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Drive - Die bedrohliche Kugel

14.10.2014 - 12:00 Uhr
One man's burden.
Universum/24 Bilder
One man's burden.
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Szenen können berühren, Szenen können schockieren, sie können einfach nur grandios inszeniert sein oder einen interpretativ anregen. Sie können einen dazu bewegen, dass man weint oder lacht, dass man vor Aufregung die Fingernägel ins Ledersofa krallt oder dass man sich einfach nur mitärgert. Dass man aufschreit oder sich vor Ekel wegdreht. Sie sind Bestandteil eines großen Ganzen und doch können sie auch für sich allein stehen und genau so ebenfalls eine Menge bedeuten. Jeder Filmfan hat eine, jeder erinnert sich zumindest an eine bestimmte, die ihm im Kopf geblieben ist und irgendwie scheint es magisch zu sein, wenn eine Szene so weit geht, dass sie sich in das Gehirn des Beobachters eingebrannt hat und ihn schließlich fast schon prägt, wenn man sich beispielsweise plötzlich selbst in einer dieser Szenen wiederfindet oder eine Szene einem als alltagstaugliches Hilfsmittel im Hinterkopf bleibt. Immer dann, wenn sie in einer solchen Nische abgelegt werden, an die sich der geneigte Zuschauer gern erinnert, dann könnte es um eine dieser bekannten Lieblingsszenen gehen.

Bei jedem ist es mit der Lieblingsszene anders. Der eine liebt Horror, der andere Action, der eine erschreckt sich gern, der andere steht auf fetzige Dialoge. Bei mir ist es eine Szene, die so metaphorisch und ruhig daherkommt, dass man sich vielleicht wundern mag, wieso es gerade diese Szene geworden ist.
Und damit geht es um den so umjubelten, aber auch verhassten Kunstfilm "Drive". "Drive" ist wohl einer dieser Filme, bei denen die eine Seite einfach nicht verstehen kann, wieso er so erfolgreich ist, während die andere Seite nicht versteht, wie man diesen Film denn bitteschön nicht gut finden kann. Ferner ein Film, bei dem die eine Seite "Drecksfilm" schreit und die andere Seite darauf besteht "Ultrakunst" gesehen zu haben. Eben ein Film der stark abstößt und anzieht zugleich. Zu aller Verwunderung gehöre ich natürlich zur Kategorie der Verehrer und genau deswegen stammt meine Lieblingsszene auch aus diesem wundervoll inszenierten und für mich so schön andersartigen Film.

Es geht schließlich um die Schlüsselszene, in der sich in der Welt unseres Drivers (Ryan Gosling in perfektioniertem Minimalismus) so einiges ändert. Nachdem er selbstlos den aus dem Gesicht blutenden Standard Gabriel über die verlorene "Schlägerei" und ihre Bedeutung ausgefragt hat, geht er in den Raum zu Benicio herüber, der mit seinen kleinen Händen einen Gegenstand zwischen seinen Fingern hin und her rollt. Der Driver stellt sich vor ihn und fragt ihn schließlich, was er dort in der Hand hält. "Was hast du da? [..] Hat dir das einer der Männer gegeben?". Der kleine Junge nickt und bringt ein leises, bejahendes Stöhnen von sich. Die Kamera schaut aus dem Blickwinkel des kleinen Jungen auf den Driver hinauf und dieser fragt schließlich: "Soll ich sie für dich aufbewahren?".
Eine ganz kleine, auf den ersten Blick unbedeutende Szene, in der ein großer Mann einem kleinen Jungen eine Pistolenkugel abnimmt.

Aber wer hätte es gedacht, die Szene ist viel mehr, als nur eine flache, raumfüllende Szene. Sie hat vor allem eines: eine tiefe Bedeutung. Jetzt wird die eine, am Anfang geschilderte Seite wieder kreischen, dass in diesem Film jedes Sekündchen "Bild" darauf aus ist eine Bedeutung zu haben, so wie sich die Protagonisten slowmotionartig stundenlang angucken. Aber lasst mich ausholen:
Der Driver ist (für mich) ein Mensch, der all das bis aufs Letzte verteidigt, was er liebt. Wie ein Löwe, der nachts vor dem Bett seiner Geliebten sitzt und wachsam darauf achtet, dass keine Feinde in sein Territorium eindringen und seiner Liebe und schlussendlich ihm selbst Schaden zufügen könnten. Und diesen beschützerischen Mantel legt er in seiner präzisen und professionellen Art über all diejenigen, die ihm wirklich was bedeuten. So gnadenlos gut wie er fährt, beschützt er auch, gewieft und clever, eisern und aufopfernd, aber nie übermächtig, immer verwundbar, besonders und fast einzig allein durch die Taten und Gefühle seiner eigenen Freundin. Er würde sogar sich selbst verändern, zum wilden Tier werden, wenn es sein muss und das wird er ja auch, später,  als er im Fahrstuhl die Fassung verliert (insgesamt übrigens auch eine überragende Szene). Und auch wenn es für den ein oder anderen märchenhaft sein mag, ich finde diesen Charakterzug irgendwie ehrenwert und auch nachvollziehbar. "Is it a crime to fight for what is mine?"
Ist es verwerflich, seine Geliebten bis aufs Blut zu verteidigen? In seinem stoischen, edelmütigen Egoismus (ich hätte nicht gedacht, dass es zu dieser Kombination jemals kommen könnte) versucht er nur sich selbst zu schützen, denn sein Herz ist zu groß, als dass er aufhören könnte, seine Irene und ihren Sohn aufzugeben. Das mag man dem augenscheinlich emotional unterkühlten Driver nicht ansehen, aber er lebt nur nach seinen Gefühlen, er versteckt sie nur mit einer undurchdringlichen Maske vor alles und jedem, sogar vor sich selbst. Aber zurück zur Szene: in dem Moment, als er Benicio danach fragt, ob er diese als pikantes Souvenir hinterlassene Patrone für ihn aufbewahren dürfe, geschieht etwas ganz Großes, auch wenn es nicht danach aussieht. Der Driver nimmt einem kleinen, unschuldigen Jungen und seiner Familie eine tonnenschwere Last ab und stellt sich schützend vor sie, mit dem  Wissen im Hinterkopf, dass er damit zur Zielscheibe böser Gangster wird und schließlich daran sterben könnte. Er nimmt sich der Bedrohung in Form dieser bleigefüllten Hülse an und lenkt sie auf sich, denn er hat die metaphorisch schutzsichere Weste, den Chitinpanzer, den ein Skorpion nun mal hat. Und warum tut er das? Er hätte ja auch ganz einfach sagen können, dass ihn das alles nichts anginge. Aber so ist er nicht, er tut es schließlich zum Schutz seiner Liebe.
Selbstlos, wie er scheint, ist das in meinen Augen eine große Tat, denn aufrichtiger lieben, als der Driver es hier tut, kann man nicht und Martínez' Synthis unterstreichen mit ihren leisen, tiefen Klängen die Dramatik dieser Szene.

Zu keiner Minute packt Refn hier in seinem Film große Erklärungen in Form von Dialogen aus, er lässt viel mehr die Blicke seiner Figuren sprechen und verleiht seinem Werk eine Interpretationsebene, die ich nur ungern verlasse. Genau dafür sind Worte wie Kunstfilm oder Bilderrausch erfunden worden und in meinen Augen ist genau das die große Kunst des Kinos und wenn Benicio unserem Driver mit seiner kleinen Hand das Projektil überreicht, schließt sich für mich der Kreis und Drive wird zur absolut ästhetischen, urbanen Rückbesinnung auf vergangene Zeiten und Werte, genau deshalb gehört diese Szene zu meinen absoluten Lieblingsszenen und auch zu den ganz großen unseres so geliebten Mediums Film.


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