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Ein Blick auf die koreanische Gesellschaft

19.09.2016 - 21:58 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Bild zu Ein Blick auf die koreanische Gesellschaft
Babylon / Koreanisches Kulturzentrum
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Vom 16. bis 19. September 2016 lief im Kino Babylon das erste koreanische Dokumentarfilmfestival: DOKOREA. Insgesamt wurden acht verschiedene Dokumentarfilme gezeigt, die eines gemein haben: Sie erlauben trotz ihrer inhaltlichen Unterschiede einen Blick auf die gegenwärtige, koreanische Gesellschaft.

Das koreanische Kino ist sowohl im Mainstream- als auch im Festivalfilmbereich weltweit berühmt und geschätzt. Namen wie beispielsweise Park Chan-wook, Bong Joon-ho, Kim Ki-duk oder Hong Sang-soo lassen die Herzen von Filmfreunden überall auf der Erde höher schlagen. Doch was wissen wir überhaupt über die Menschen in Korea oder der Gesellschaft, in der sie leben? Das neueste berliner Filmfest widmet sich ausschließlich dieser Frage. Die DOKOREA 2016  hat es sich mit insgesamt acht Dokumentarfilmen zur Aufgabe gemacht, einen facettenreichen und spannenden Blick in ein durchaus noch immer fremdartiges Land zu werfen.

Veranstaltet wurde dieses Dokumentarfilmfestival vom Koreanischen Kulturzentrum , der Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea. So wurde passenderweise das Filmfest vom koreanischen Botschafter mit einer kleinen Rede eröffnet. Er machte deutlich, dass das Reisen in fremde Länder stets nur einen oberflächenlichen Eindruck erlaubt. Man mag die Landschaften wunderschön finden und auch Menschen näher kennenlernen, doch einen wirklich tiefgehenden Blick hinein in die andersartige Gesellschaft wird man nur selten erhalten. Das ideale Mittel, um dies tatsächlich erreichen zu können, dürfte der Dokumentarfilm sein. Er erlaubt den Menschen überall auf der Welt, kleine Ausschnitte der aktuellen Wirklichkeit zu erhalten, und veranschaulicht auf diesem Wege anhand der verschiedenen Filme ein tieferes Verständnis. Nun sind acht Dokus sicherlich noch nicht viel, aber dank der abwechslungsreichen Auswahl, die das noch junge Filmfestival zusammengestellt hat, wurde das DOKOREA 2016 bereits äußerst spannend und interessant.

Eröffnet wurde das Dokumentarfilmfestival mit My Love, Don't Cross That River von Jin Mo-young (2014). Dem Film war in Korea mit knapp 5 Millionen Besuchern ein im Dokubereich unvorstellbarer Kinoerfolg beschieden. Doch erklärlich ist dies ganz sicher. Der Film ist zweifelsfrei ungemein bewegend. Sehr zurückhaltend und doch stets berührend erzählt er über die letzte Phase einer langanhaltenden Liebe. Der Zuschauer kann teilhaben am alltäglichen Leben eines älteren Ehepaares - 98 bzw. 89 Jahre sind die zwei Turteltauben alt. Sie leben in sehr einfachen Verhältnissen in einer ländlichen Region und tragen zumeist traditionelle koreanische Kleidung. Trotz ihres hohen Alters ist die Liebe zwischen ihnen nie erloschen. So treiben sie noch immer Schabernack miteinander. Doch Krankheit und die Unvermeidbarkeit des Todes lassen das Ende einer 76-jährigen Ehe erahnen, und damit werden nicht zuletzt auch ländliche Traditionen ein Ende finden während sich die koreanische Gesellschaft sowohl kulturell als auch wirtschaftlich dramatisch verändert hat.

Doch nicht jedem gehen diese Veränderungen weit genug. Südkorea war noch vor wenigen Jahrzehnten eine Militärdiktatur, sodass bestimmte gesellschaftliche Zwänge noch nicht überwunden werden konnten. Ein Beispiel dafür stellt die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare da. Der etwas an Reality-TV erinnernde Film My Fair Wedding (2015) von Jang Hee-sun soll diesen Mißstand aufzeigen. Die zwei Männer sind allerdings berühmte Medienpersönlichkeiten und Bürgerrechtskämpfer, die sich für die Akzeptanz homosexueller Paare einsetzen. Der Filmemacher und Produzent Kim Jho Gwang-soo und sein 19 Jahre jüngerer Freund wollen auf der Seouler Kwangtong-Brücke symbolisch ihre Liebe mit einer überbordenden Hochzeitsshow feiern, was jedoch nicht von allen Bürgern begrüßt wird. Der Film begleitet die zwei Männer über Wochen bis hin zum entscheidenden Tag und läßt sie sowie ihr direktes Umfeld zu Wort kommen. Auch wenn er in erster Linie eine Bürgerrechtsaktion seitens durchaus privilegierter Betroffener darstellt, so zeigt My Fair Wedding dann doch stellenweise die Situation Homosexueller und deren Akzeptanz in Südkorea auf. Größtenteils bleibt der Film jedoch aufgrund der eher leichtfüßigen und unterhaltsamen Inszenierung nicht mehr als ein Aufzeigen von Wünschen.

Ganz anders verhält es sich da bei der belgisch-koreanischen Koproduktion Reach for the SKY (2015) von Steven Dhoedt und Choi Woo-young. Die Montage sowie die durch entsprechende Musik unterstützte Atmosphäre vermitteln darin ein beklemmendes Gefühl und addressieren auf diese Weise ihre Thematik erheblich nachhaltiger. Der Film beschäftigt sich mit dem unfassbaren Leistungsdruck, dem sich koreanische Schüler ausgesetzt sehen. Das Akronym SKY steht in diesem Fall für die drei Prestige-Universitäten Seoul National University, Korea University und Yonsei University. Um auf einer dieser drei Eliteunis studieren zu dürfen, müssen alle Bewerber eine zentrale Aufnahmeprüfung überstehen. Dieser Test findet überall im Land zur gleichen Zeit statt und dauert von 8Uhr morgens bis in den späten Nachmittag. Zeitweise wird in den Umgebungen der Prüfungsorte der Verkehr lahmgelegt oder Flugzeuge dürfen zu bestimmten Uhrzeiten weder landen noch starten. Es werden Fächer wie Koreanisch, Englisch, Mathematik, Naturwissenschaften und so weiter abgefragt. Doch die Plätze an den SKY-Unis sind natürlich begrenzt und nur die Besten können angenommen werden. Das Problem: Das Anforderungsniveau wurde im Laufe der Zeit gesenkt und so brauchen die Studenten in spe ein nahezu perfektes Ergebnis in sämtlichen Bereichen. Eine falsche Antwort beispielsweise im Mathematikteil kann über das zukünftige Leben entscheiden. Die Vorbereitung auf diese Aufnahmeprüfung ist wichtiger als Freunde und Familie. Wer im ersten Anlauf nicht eine entsprechende Leistung erbrachte, kann im nächsten Jahr wiederholen. Diese Schüler besuchen dann gegen hohe Kosten spezialisierte Internate. Sie müssen teilweise bis nach Mitternach über ihren Aufgaben sitzen. Reach for the SKY zeigt unter anderem vier verschiedene Kinder im Verlauf der letzten Monate bis hin zur Prüfung. Egal ob erstmaliger Schreiber des Testes oder Wiederholer: Sie alle sowie ihre Familien stehen unter einem extremen Druck; nicht zuletzt auch aus finanzieller Sicht. Ein einziger Tag entscheidet über ihr Leben. So wird es zumindest von der Gesellschaft suggeriert. In der koreanischen Moderne werden Internetnachhilfelehrer für Englisch zu Megastars. Sie füllen mit ihren Shows ganze Hallen und lassen sich ihre Kurse gut bezahlen. Dass an dieser Stelle etwas in eine falsche Richtung läuft veranschaulicht der Film mehr als deutlich. Doch wie man aus dieser Situation herauskommen kann, oder ob dies überhaupt gewünscht wird, muss offen bleiben.

In allen Filmen des DOKOREA schwingt auch immer irgendwo die Religiösität der Koreaner mit. Ob nun buddhistische Traditionen, christliche Einflüsse oder Schamanismus; all dies ist auch noch in der heutigen Zeit allgegenwärtig. Letzteres thematisiert Manshin (2013) von Park Chan-kyong, der das Leben einer berühmten Schamanin in einer abwechslungsreichen Montage verschiedener Herangehensweisen nacherzählt und fast nebenbei die neue Geschichte des Landes einbindet. Und noch ein weiterer Film beschäftigte sich mit Religion: On the Road (2013) von Lee Chang-jae bietet Einblicke in das abgeschlossenen Leben innerhalb eines Ausbildungstempels für buddhistische Nonnen. Doch der Mensch steht im Mittelpunkt der DOKOREA. In Hello von Lim Tai-hyung lernen wir etwas über Kinder mit Sehbehinderungen. With or Without You von Park Hyuck-jee erzählt vom beschwerlichen Leben einer älteren Frau, die ein geistig etwas zurückgebliebenes Mädchen adoptierte. Adoption spielt auch in Twinsters eine Rolle. Der amerikanisch-französisch-koreanische Film von Samantha Futerman und Ryan Miyamoto berichtet von der erstaunlichen Geschichte eineiiger Zwillingsmädchen, die in den USA bezeihungsweise Frankreich aufgezogen wurden, und erst aufgrund eines Zufalles von der Existenz ihrer jeweiligen Zwillingsschwester erfahren.

Die DOKOREA ist insgesamt ein kleines, aber absolut empfehlenswertes Dokumentarfilmfestival geworden. Aufgrund des hart umkämpften Festivalmarktes in Berlin dürfen die Veranstalter mit der Zuschauerresonanz durchaus zufrieden sein. Teilweise waren die Filme in den kleinen Kinosälen des Babylons sogar ausverkauft. Nach einigen Filmen hätte man sich vielleicht noch eine weiterführende Auseinandersetzung mit der Thematik eventuell in Form einer Diskussionsrunde oder eines Gespräches mit dem Filmemacher gewünscht, aber dazu ist das Festival wohl noch zu jung und klein. Immerhin beim Eröffnungsfilm war der Regisseur auch anwesend und beantwortete die Fragen der Interessierten. Es bleibt dem DOKOREA zu wünschen, dass auch in den kommenden Jahren ein solch breitgefächertes Spektrum an Themen mit einer spannenden Zusammenstellung an koreanischen Dokumentarfilmen zustande kommt.

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Trailer zum DOKOREA 2016 sowie zu den einzelnen Filmen lassen sich auf der Webeite des Festivals  finden.

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[Der Autor dieses Artikels arbeitet nicht für das Koreanische Kulturzentrum oder das Kino Babylon, hat alle seine Tickets selbst bezahlt und versuchte, seine persönliche Meinung zu den aufgeführten Filmen weitgehend aus diesem Text herauszuhalten.]

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