Ein Leben ohne Ghibli ist möglich, aber sinnlos

09.08.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Der große Ghibli Traum ist ausgeträumt
Studio Ghibli/moviepilot
Der große Ghibli Traum ist ausgeträumt
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Hayao Miyazaki verlässt die Bühne. Und mit ihm die Zukunft von Studio Ghibli. Der Träumer von einst wurde von der Realität eingeholt, dessen Vermächtnis nicht nur aus Meisterwerken besteht, sondern aus Selbstgefälligkeit. Denn an die Zukunft dachte bei Ghibli scheinbar niemand.

Die Welt ist in Aufruhr. Das Studio Ghibli befindet sich seit einem Jahr in einer existenziellen Abwärtsspirale und zieht nun die Notbremse. Von einer Auszeit ist die Rede. Die Führungsetage müsse in sich gehen und eruieren, ob und wie das Studio in seiner jetzigen Form noch überlebensfähig sei. Schuld sollen wirtschaftliche Faktoren sein. Doch ich behaupte, es war die gedankenlose, selbstgefällige Art altehrwürdiger Herren wie Hayao Miyazaki, deren berufliche Kurzsichtigkeit als Geschäftsführer es mit ihrem Ruf als Filmvisionäre durchaus aufnehmen kann.

Der Ghibli Traum
Zugegeben, die ursprüngliche Nachricht, die das Ende des vielleicht berühmtesten Animestudios verkündete, war wahrlich “Lost in Translation”, weswegen die westliche Hemisphäre die “vorübergehende Pause” als Schließung missinterpretierte. Doch welchen Unterschied macht das überhaupt. Wir wissen doch alle, die Worte “wir brauchen eine Auszeit” zu deuten. Die große Frage lautet vielmehr: Was passiert danach? Nennt mir ein Unternehmen, das nach dem fast kompletten Verlust der kreativen Führungsriege und nach einem temporären Shutdown wieder auf die Füße kam (Hayao Miyazaki ging in Rente, der fast 80-jährige Isao Takahata dürfte mit Die Legende der Prinzessin Kaguya ebenfalls sein Ruhestand eingeleitet haben und Produzent Toshio Suzuki kehrte der kreativen Produktion längst den Rücken zu, um sich administrativen Aufgaben zu widmen)? Die Gerüchte der letzen 12 Monate hatten genug Verunsicherung verursacht, was sich nach der geplatzten Bombe Anfang der Woche nun zurecht in Bestürzung und Frustration wandelte. Ghibli gründete in den ersten 15 Jahren ausschließlich auf dem Filmschaffen von Hayao Miyazaki und Isao Takahata, um dann in der zweiten Hälfte der Unternehmensgeschichte sich zwar von der Regiefokussierung zu lösen, sich dafür umso abhängiger von den exorbitanten Einspielergebnissen von Meister Miyazakis Werken zu machen. Wer konnte auch ahnen, dass Miyazaki irgendwann in den Ruhestand treten könnte und dass das Studio ohne Filme die mindestens das Doppele und Dreifache ihrer Kosten wieder einspielen, nicht mehr handlungsfähig sein würde? Ach richtig, jeder zweitklassige Buchhalter und BWL-Student.

“The future is clear. It’s going to fall apart. I can already see it. What’s the use worrying? It’s inevitable. Ghibli is just a random name I got from an airplane. It’s only a name.”

Miyazakis Worte, die er in der Studio Ghibli-Dokumentation The Kingdom of Dreams and Madness sprach, kurz bevor er über Gartenbepflanzung, das Sonnenlicht und die Schönheit des Tages zu schwärmen begann, was ihn scheinbar ebenso beschäftigte wie die düstere Zukunft seines Studios. Es war nicht das erste Mal, dass der Schöpfer zahlreicher Animeklassiker sich pessimistisch zu der Zukunft seines Studios äußerte. In den letzten Jahren – eigentlich seit seinem ersten vorgezogenen Ruhestand vor zehn Jahren – nahm diese Grundhaltung immer stärkere Züge an, was erkennen lässt, dass ihm und sicherlich auch den anderen Studiogründern das Dilemma, das sie sich in den letzten zehn Jahren selbst schufen, sehr wohl bewusst war. Sie haben ein Studio etabliert, das für seine Perfektion berühmt ist. Das lange Zeit auf Computer unterstützte Animationen und digitale VFX verzichtete, was sich in den Produktionskosten wiederspiegelte, denn ein tosendes Meer wie in Ponyo – Das große Abenteuer am Meer mit der Hand zu animieren verursacht beträchtlichen Mehraufwand als es am Computer zu rendern. Zum Glück sorgte der Name “Miyazaki” für überquellende Kinosäle, so dass die blockbustergleichen Einspielergebnisse auch den einen oder anderen Ausfall auffingen.

Von den 20 Kinofilmen, die das Studio Ghibli seit seiner Gründung produzierte (den für das Fernsehen produzierte Flüstern des Meeres – Ocean Waves mal außen vor gelassen), gingen allein 14 auf Hayao Miyzakis und Isao Takahatas Konten. In den ersten 16 Jahren des Studios stammten sämtliche Filme aus der Hand der beiden Gründer, erst 2002 erschien mit Das Königreich der Katzen von Hiroyuki Morita ein Werk eines damals 36-jährigen Regiejünglings mit völlig anderer Handschrift. Eine Frischzellenkur, die bei Kritik und Publikum ausgesprochen gut ankam. Es sollten fortan im Vierjahrestakt weitere Filme von Jungregisseuren folgen, unter anderem von Goro Miyazaki. Hiromasa Yonebayashi gelang mit seinem Erstlingswerk Arrietty – Die wundersame Welt der Borger auf Anhieb ein Blockbuster von miyazakiartigen Ausmaßen, was vorher (und auch nachher) kein anderer Ghibli-Regisseur erreichte. 110 Millionen Dollar Einspiel allein in Japan. Zum Vergleich, Meister Miyzakis Filme generierten allein in Japan zwischen 150 (Prinzessin Mononoke, Ponyo – Das große Abenteuer am Meer) und fast 300 Mio. Dollar (Chihiros Reise ins Zauberland). Der zweiterfolgreichste Nicht-Miazaki-Film nach Arrietty war dagegen Die Chroniken von Erdsee mit 61 Mio. Dollar. (via)

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