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Ein Liebling auf dem Seziertisch oder Anatomie eines Monsters

19.10.2016 - 09:00 Uhr
Sherlock Holmes
BBC/moviepilot
Sherlock Holmes
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Dieser Artikel entstand im Rahmen der Aktion Lieblingsmonster.

Eine unbequeme Wahrheit

Was haben Robert Downey junior, Ian McKellen, und Benedict Cumberbatch gemeinsam? Nein, ich rede nicht davon, dass alle eine bedeutende Rolle in einem Superheldenfilm spielen. Obwohl vielleicht doch? Kann man Sherlock Holmes, den alle Genannten schon zum Besten gaben, als Superhelden bezeichnen? Viele verzückte Fans würden sich jetzt, Lobpreis singend, erheben, um ihre Zustimmung zwischen diese Zeilen zu schreien. Doch für mich ist Sherlock Holmes kein Superheld. Für mich ist er kein Ritter in strahlender Rüstung und auch kein Stahlmann, der seine Unterhose über der normalen Hose trägt. Für mich ist er etwas anderes. Für mich ist er ein Monster. Jetzt werden viele zusammenzucken und sagen „Sherlock ist doch kein Monster“ … doch tatsächlich war Sherlock das erste Monster, das mir in den Sinn kam, als ich den Aufruf dieses Wettbewerbes las. Doch warum? Warum ist Sherlock ein Monster? Hier ist es nun wichtig, dass wir zum Grunde der Frage abtauchen: Was macht ein Monster zu dem was es ist? Welche Zulassungsbeschränkung hat die Monster-Uni? Dies ist fundamental für die Beantwortung der großen Frage dieses Artikels. Für mich gibt es drei Kriterien auf der „Bin-ich-ein-Monster-Checkliste“, die Sherlock, wie ich euch gerne zeigen will, meiner Meinung nach allesamt erfüllt.

1. Hässlichkeit

Alle Monster sind hässlich. Bei Vielen kann man das schon von weitem erkennen, da sie nur schwerlich ein Foto von Heidi bekommen würden. Doch gibt es Hässlichkeit nicht nur bei der äußeren Hülle. Schließlich wurde Dracula wahrscheinlich häufiger aufs Äußere reduziert als Kit Harrington und ist zweifelsfrei ein Monster. Äußerlich gibt es auch bei Sherlock Holmes nichts zu kritisieren. Ist ja auch so, dass Robert D.J. und Benedict C. nicht die hässlichsten Entlein im Teich sind. Doch trotz der Teenie-umschwärmten Hülle befindet sich in Sherlock eine tief verwurzelte Hässlichkeit… Diese Hässlichkeit zieht ihn nach unten, das Bild, das sein innerer Spiegel zurückwirft, scheint so schrecklich zu sein, dass er versucht, die Existenz dessen zu leugnen. Er lenkt sich ab mit wilden Abenteuern, Drogenexzessen, dem Tragen schräger Mützen und der unerbittlichen Suche nach der Wahrheit. Die Langeweile scheint sein größter Feind zu sein, doch fürchtet er die Langeweile oder eher die stillen Momente, wo er stehen bleiben muss und somit den inneren Spiegel nicht mehr verdrängen kann. Warum seine Seele so entstellt ist, bleibt, wie der Mann selbst, ein Geheimnis, doch dass eine Hässlichkeit existiert, kann er nicht leugnen.

2. Unmenschliches Verhalten

Böse Taten, moralverachtende Entscheidungen oder Machtgier geschwängerte Grausamkeiten sind meist ganz oben auf der „Hobby-Liste“ von Monstern. Ob es nun in Draculas Fall ist, dass er sich schon vor dem Mittagessen ein Sixpack Jungfrauen gönnt, Godzillas abendlicher Powerwalk, der wieder mal eine ganze Innenstadt zerstört oder im Falle des Kassierers im Supermarkt meines Vertrauens, der die Chips-Packung beim Drüberziehen über die Kasse immer so fest drückt, dass die herrlich leckeren, großen Chips zerbröseln. Monster tun (meist grausame) Dinge, die einem „normalen“ Menschen nicht im Traum einfallen würden. Kurz gesagt, sie verhalten sich untypisch zum Rest der Spezies Mensch. Zugegeben, Sherlocks Verhalten ist visuell weniger ansprechend als das von Godzilla, aber dennoch sind seine Taten hochgradig „unmenschlich“. Er ist unbarmherzig mit all jenen, die seiner Wahrheitssuche im Wege stehen und zerstört die seelischen Gebäude all jener, die ihm zu nahe kommen wollen. Er hasst langweilige Leute, er mag Leute an sich nicht, außer um sie zu gebrauchen. Er verwendet sie, um sich sein Podest der kognitiven Überlegenheit zu bauen. Für seine Ziele, für seine Lustbefriedigung geht er über seelische Leichen.

3. Der freie Wille

Würden wir einen hässlichen Geier, der sich genüsslich am Auge eines halb Verdursteten labt, als Monster bezeichnen? Nein, obwohl alle bislang genannten Kriterien erfüllt sind, ist unser kleiner Rabauke kein Monster. Er ist zwar „hässlich“ und tut etwas schlimmes, aber er tut es, weil es sein Instinkt ist. Die kleinen Synapsen in seinem Gehirn lassen ihm keine Wahl… Sie feuern den Befehl „Beiß da rein“ durch seine Steuerzentrale und er… er beißt halt da rein. Es braucht also noch mehr, um ein Monster zu schaffen. Für mich ist es das Vorhandensein der menschlichen Natur. Ein Mensch hat den freien Willen. Er kann sich jederzeit dazu entscheiden, jetzt eben mal nicht da rein zu beißen. Ein Monster handelt nicht instinktiv, es entscheidet sich bewusst dazu, genau das zu tun, was es macht.Dieses Kriterium erfüllt Sherlock noch vor allen anderen. Er hat nicht nur einen freien Willen, er lebt ihn bei jeder passenden Gelegenheit bis zur Ektase aus. Er handelt nicht Standestypisch, er verhält sich nicht nach den Normen und Werten der Gesellschaft. Er ist frei vom Korsett des Anstandes und der Sitte, das unseren freien Willen einschnüren will, er ist das fröhliche Kind, das überall und zu jederzeit vom Beckenrand springt. 3 Punkte, die es braucht, ein Monster zu schaffen und Sherlock Holmes erfüllt sie zu 100%. Doch warum ist er der Held in all seinen Geschichten? Warum wird er verehrt und nicht mit Heugabeln aus London vertrieben? Warum gibt es wahrscheinlich mehr „ I am SHER-locked“-Tattoos als „I love Mama“ Tattoos? Irgendetwas muss dieser kleine Schelm doch an sich haben, dass wir ihn lieben, obwohl er ein Monster ist. Für mich ist es der 4. Punkt der Monster-Checkliste (eher ein Zusatzpunkt für alle, die zwar ein Monster sein wollen, aber eben auf der hellen Seite der Macht).

4. Der bewusste Schritt zum Guten

Die bewusste Entscheidung, trotz des Monsterdaseins Gutes zu tun, treffen die wenigsten. Wäre ja auch langweilig, wenn Freddy Krüger anstatt in Träumen ein Racheblutbad anzurichten, sich mit den Eltern hinsetzten würde und bei einer Tasse Fencheltee die Für und Wider von Selbstjustiz diskutieren würde. Sherlock will eigentlich Gutes tun. Er strebt nach Wahrheit und will die Unterdrückten befreien. Und ja, ich weiß, dass ich vor ein paar Sätzen noch erörtert habe, dass Sherlock grausam zu seinen Mitmenschen ist. Diese Schizophrenie ist auch in Sherlock tief verankert. Er hasst die Gesellschaft und bäumt sich gegen sie auf, will aber eigentlich gerne ein Teil von allen sein. Er unterstützt die „Guten“, aber schikaniert seine Freunde und zerreißt das Seelenkostüm seiner Mitmenschen. Er verabscheut die Irrationalität von Emotionen und „verliebt“ sich dennoch. Trotz seiner göttlich überlegenen Intelligenz ist er dennoch menschlich. Er ist ein Kämpfer für Recht und Ordnung, der seinen Endgegner in sich selbst findet. Das ist doch interessant. Das ist auch der Grund, warum er mit Abstand mein Lieblingsmonster ist. Er ist einer der Fleißigen, die sich mit der großen Bürste an die dreckige Weste des Monsterimages setzten und drauf los schrubbeln, um das Ding wieder weiß zu bekommen. Der Hochfunktionelle Soziopath hat einen festen Stammplatz in der Startelf von Film und Literatur und auch in meinem Herzen.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Sponsoren der Aktion Lieblingsmonster:

Aktion Lieblingsmonster


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