Eine Lobeshymne auf die aktiv passive Carey Mulligan

28.05.2015 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Carey Mulligan in ShameProkino Filmverleih
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Carey Mulligan ist in quantitativer Hinsicht vielleicht nicht gerade die fleißigste Schauspielerin aller Zeiten, aber zumindest für mich zählt sie zu den besten ihrer Generation. Anlässlich ihres 30. Geburtstages soll genau das gewürdigt werden.

Carey Mulligan mag nicht auf jedermanns Radar sein, was womöglich daran liegt, dass die junge Schauspielerin im Gegensatz zu manchen Kollegen nicht Rollen am laufenden Band annimmt. Nach ihrem Oscar-nominierten Durchbruch in dem Drama An Education nahm sie erst einmal eine Auszeit von einem Jahr, weil sie trotz massig Angeboten angeblich kein Drehbuch fand, das ihr zusagte. Doch dann kehrte sie endlich zurück auf die Bildfläche und arbeitete mit einigen der namhaftesten Regiegrößen unserer Zeit - darunter Oliver Stone, Baz Luhrmann, Steve McQueen, Nicolas Winding Refn und zuletzt die Coen-Brüder - und mancherlei gefeierten Hollywood Stars wie Leonardo DiCaprio, Michael Fassbender, Ryan Gosling und Michael Douglas. Und danach? Danach nahm sie sich gleich noch einmal ein reichliches Jahr Auszeit von der Schauspielerei.

Die Untiefen des menschlichen Wesens

Natürlich können wir über die Hintergründe ihrer auffallend langen Pausen nur spekulieren, doch zumindest für mich ist die Vorstellung, dass sie sich in der Zwischenzeit intensiv auf all ihre wunderbaren Rollen in all ihren wunderbaren Filmen vorbereitet, nicht ganz verkehrt. Denn was auch immer unser heutiges Geburtstagskind anpackt, bringt sie mit einhundertprozentiger Hingabe und Überzeugung auf die Leinwand. Mulligan muss augenscheinlich eine ungemeine Freude daran haben, in ihren Rollen die Untiefen des menschlichen Wesens zu erforschen, ob als suizidgefährdete Sängerin in Shame, als unterdrückte Ehefrau in Drive oder als organspendender und ihre Seele suchender Klon in Never Let Me Go. Nicht selten sind ihre Charaktere introvertiert und beherrscht. Diese Rechnung geht nicht immer so zuverlässig auf, wie im Falle ihrer überzeichneten Daisy in Der groߟe Gatsby (Luhrmann wiederum wird eben jener Aspekt wohl gerade zugesagt haben). Glücklicherweise macht sie aber solch kleine Fehltritte sofort wieder gut, wie zuletzt in Inside Llewyn Davis, in dem sie eine herrlich vulgäre Folk-Sängerin und werdende Mutter wider Willen spielt.

Mulligans Rollen mögen ihre besagten Gemeinsamkeiten haben, doch sie sind alles andere als austauschbar oder identisch. Im ersten Augenblick mögen wir ihre durchweg passiv agierende Irene aus Drive in ähnlicher Form auch in ihrer Sissy Sullivan aus Shame sehen. Doch Sissy ist trotz ihrer Verletzlichkeit und ihrer Abhängigkeit von anderen auch eine ungemein willensstarke und leidenschaftliche Person, was sie nicht zuletzt in ihrer unendlich herzergreifenden und leidenschaftlich dargebotenen Version von New York, New York unter Beweis stellt:


Natürlich ist auch eine Carey Mulligan nicht vor dem Typecasting-Syndrom gefeit. Ihre ersten Parts hatte sie vor allem in Historiendramen wie Stolz und Vorurteil, Northanger Abbey und Bleak House, in denen sie zuckersüße Jungfrauen unbedarfter Natur spielte. Ihr puppenhaftes Äußeres passte natürlich nur zu gut zu einfach gestrickten Nebenrollen jener Art. An der äußeren Erscheinung der noch immer mädchenhaft wirkenden Mulligan hat sich auch mit 30 wenig geändert, doch ihr Portfolio besteht längst nicht mehr aus den Abziehbildern ihrer Anfangszeit als Schauspielerin.

Was ein Brief alles bewirken kann

Wo wir gerade beim Thema Anfangszeit sind: Eine Anekdote aus ihren frühen Jahren darf nicht unerwähnt bleiben, um ihr Feuer für die Schauspielkunst wirklich zum Ausdruck zu bringen. Es handelt sich um zwei Briefe an zwei Regisseure von Rang und Namen. Den ersten schrieb Mulligan im Teenie-Alter an den Shakespeare-Spezialisten Kenneth Branagh, den sie nach einer Theatersichtung von Henry V darum bat, ihr Mentor zu werden. Brannagh lehnte zwar dankend ab, aber gab ihr zumindest folgende Worte mit auf den Weg: "Wenn du den starken Drang danach verspürst, eine Schauspielerin zu sein, dann musst du eine Schauspielerin sein." Im Alter von 19 verfasste Mulligan, die zu jenem Zeitpunkt noch immer nicht so recht in der Theater- und Filmwelt Fuß gefasst hatte, einen Brief an Julian Fellowes (Vanity Fair - Jahrmarkt der Eitelkeiten). Der hatte mehr als "nur" weise Worte für die junge Frau übrig und organisierte Mulligan kurzerhand ein Vorsprechen für besagten Stolz und Vorurteil, für den sie am Ende sogar besetzt wurde. Viel mehr als vier Zeilen hatte sie in ihrem Spielfilmdebüt an der Seite von Keira Knightley zwar nicht, aber die Tür zum Film hatte die schreibwütige Mulligan dank ihrer Briefe nun aufgestoßen.

Es mag ein wenig ironisch klingen, dass Mulligan, die abgesehen vom großen Gatsby seit vielen Jahren nicht mehr in Historiendramen zu sehen war, dieses Jahr gleich in zwei Vertretern dieses Genres zu sehen sein wird. Doch die Geschichten von Am grünen Rand der Welt und Suffragette - Taten Statt Worte klingen so vielversprechend und ihre Beteiligten - darunter Thomas Vinterberg, Michael Sheen und Tom Sturridge einerseits und Sarah Gavron, Meryl Streep und Brendan Gleeson andererseits - sind so bekannt für ihre exzellente Arbeit, dass es keinen Grund zur Sorge gibt. Denn weder haben wir Mulligan schon mal als viktorianische Femme Fatale, die gleich drei Männerherzen in ihrer Hand hält, zu Gesicht bekommen, noch als Mitglied der britischen Frauenbewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert. Wir können also nach wie vor gespannt sein auf die wohlgewählten und vielschichtigen Rollen unseres heutigen Geburtstagskindes.

In welchem ihrer Filme hat euch Carey Mulligan am besten gefallen?

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