Zombienarrativen sind im Genre des Western zu
verordnen. Natürlich gelang das Genre mit George A. Romero durch seine
Kapitalismuskritik zu großem Ruhm, als der Altmeister seine Untoten durch ein
Einkaufszentrum wandeln ließ. Seither haben viele Filmemacher den toten Körper
mit neuem Leben eingehaucht und dem Zombie ihre ganz eigene Symbolkraft
verliehen. Doch in allen Narrativen agieren die Zombies darüber hinaus als
Naturelement, das die Frontier, die Grenze der Zivilisation in der
Erschließung des amerikanischen Kontinents, wieder direkt vor die eigene Haustür
in die Vorstadt versetzt.
Niemand weiß dies besser als Robert Kirkman. Sein Comic war
von Beginn an auf lange Sicht angelegt. Er wollte erforschen, was nach dem
Verlassen des Einkaufszentrums, der Flucht aus der Großstadt und den anfänglichen
Situationen geschieht. Völlig korrekt landete Kirkman beim Western, denn sein
Comic ist voll von der Ästhetik. Weite Landschaften, umherziehende Menschen auf Pferden, kleine Orte entlang einer Straße, eine Farm, böse Gangs und natürlich
der Sheriff im Zentrum, der verzweifelt und völlig überfordert für Ordnung im
Chaos sorgt. Der Comicautor weiß völlig zurecht, dass sich eine langfristig
angesetzte Zombienarrative mit der Rückeroberung der Wildnis beschäftigen
muss; dass die wahre Herausforderung im zivilisatorischen Wiederaufbau in der
Postapokalypse liegt, nicht nur im Überleben der Apokalypse. Deshalb ist auch
der aktuelle Handlungsstrang in Fear the Walking Dead um die seit Jahrhunderten
unterdrückten Ureinwohner Amerikas so vielversprechend.
AMCs Serienadaption hat sich den neuesten Widersachern aus
dem Comic noch zu widmen, doch so viel sei verraten: Auch die damaligen „Savages“
finden in Kirkmans Story eine höchst interessante Umsetzung. Es ist deshalb
kein Wunder, dass auch Fear The Walking Dead sich in dieser Woche völlig auf
den Kampf zwischen dem Otto-Clan auf der Ranch und den Walker-Natives
fokussiert. Es wird sich noch zeigen müssen, wie interessiert und aufrichtig
die Serie die äußerst ansprechende Thematik behandeln wird oder sie womöglich
nur schändlich als Plotdevice einsetzt. Bisher jedoch läuft alles auf
einen spannenden Ausgang dieser Bedrohungslage hinaus. Dieser Umstand gewinnt
durch sein sehr glaubhaftes Setting noch an narrativer Wucht, sodass auch diese
ansonsten langsame, wenn auch kompetent erzählte Folge überzeugen kann.
Gerade die angesprochene Kompetenz rückt das Serien-Spin-off in den letzten Wochen deutlich nach oben auf meiner Beliebtheitsskala. Dave Ericksons Autorenteam und Regisseure wissen das Setting äußerst klug zu nutzen. Vor allem visuell setzt sich Fear The Walking Dead von der Mutterserie ab. Körnige, entsättigte Bilder sowie ein Fokus auf Nahaufnahmen der Schauspielgesichter sind kreative Entscheidungen, Aufnahmen aus Georgia als Virginia umzusetzen, jedoch nicht. Im Kontrast funktioniert Fear the Walking Dead deshalb besser, weil die Serie sich ihres Settings völlig und authentisch annimmt. Das schließt die beeindruckenden, trockenen Landschaften ein, aber eben auch die historischen Kontexte. Der Walker-Clan braucht bisher deshalb so wenig Einführung und Charakterisierung, um bedrohlich und dringlich zu wirken, weil der Zuschauer um die Unterdrückung der Natives weiß. Sogar die eigentlichen Antagonisten des Walker-Clans geben in dieser Folge zu, dass auf der titelgebenden roten, staubigen Erde viel Unrecht geschehen ist und selbst Recht und Ordnung den Natives vor Gericht kein faires Zugeständnis machen konnten. Wieso also sollten die Diskriminierten, die Ausgestoßenen und Unterdrückten nach dem Zusammenbruch der Zivilisation sich nicht ihre Heimat zurückerobern wollen? Ihre Motivation ist klar, ihre Drohung direkt und die zögerliche sowie gespaltene Reaktion der Rancher sorgt für einen spannenden Konflikt.
Die Episode ist schön aufgeteilt. Jeweils ein Familienmitglied
der Clarks versucht je einen Otto zu beeinflussen. Alicia (Alycia Debnam-Carey) erfährt durch Jake
viel über die bisherige Geschichte des Kampfes mit dem Walker-Clan und Jake
erhofft sich, den Konflikt friedlich lösen zu können. Seine diplomatischen
Ambitionen ehren ihn sicherlich, doch angesichts des sonst
stets explosiven Midseason-Finales muss bezweifelt werden, wie erfolgreich er sein
wird. Gleichzeitig wird er ohnehin bereits von Alycia insofern manipuliert, als
dass er ihr das Schießen beibringt. Das Ziel scheint klar.
Währenddessen verbringen zwei ehemalige Abhängige noch mehr
gemeinsame Zeit. Nick (Frank Dillane) hat sich in der neuen Hütte relativ gut eingelebt. Dieses
neue Leben, inklusive Beziehung mit Luciana, hat die Figur ein bisschen gelähmt.
Nick, der sonst immer aktiv und selbstbestimmt war, wirkt in der dritten
Staffel gehemmt. Dass ihm die Tötungen seiner neuen Freunde im Finale stark zugesetzt haben, lässt ihn in einem guten Licht dastehen. Doch der Ex-Junkie war bisher immer
eine proaktive Person, die hoffentlich bald nicht nur
still beobachtet sowie ab und an einen abschätzigen Kommentar ablässt.
Vielleicht liegt dies aber auch an Jeremiah Otto, dessen ambivalente
Charakterzeichnung keine klare Linie für Nick zum Gegenangriff übrig lässt.
Patriarch Otto zögert aktuell, vermutet sogar seinen eigenen Sohn hinter den Angriffen
auf die Familie, die die Ranch verlassen hat. Troy hat bereits Schreckliches
getan und es ist ihm definitiv zuzutrauen, doch wir wissen auch, dass Ofelia
auf Familienvater Otto im Finale der letzten Staffel traf und seither nicht
mehr aufzufinden ist. Jeremiah dürfte noch das ein oder andere Geheimnis mit
sich tragen und sein alkoholischer Rückfall zeugt von innerer Zerrissenheit.
Womöglich hat er sogar seinen eigenen Sohn zu der Tat beordert und hadert mit
seiner Entscheidung.
Die interessanteste Partie liefern sich jedoch währenddessen
Madison und Troy. Der aggressivere Teil der Brüder hat in den wenigen Episoden
mit seiner Person bereits einen großen Eindruck hinterlassen; insbesondere weil
seine Figur den schmalen Grat zwischen nachvollziehbaren Handlungen und
lächerlichem Overkill erfolgreich meisterte. Während ihre Kinder beschäftigt
sind, mutiert Troy fast schon zu etwas wie ihrem Ziehsohn. Der junge Mann kann in
seiner Verwirrung gut manipuliert und geformt werden, sodass sich Madisons
prägende Wirkung schnell zeigt. Madison ist in der Abwesenheit ihres Mannes
endgültig zu einer Person geworden, die handelt. Gut so! Kim Dickens wartet
seit zwei Staffeln auf diese Chance. Nun kann sie zeigen, dass ihre Figur in
der Konstellation die spannendste Anführerin ist, die es bisher gab. Denn aktuell agiert sie verdeckt im Hintergrund und versucht, alle Fäden zu
ziehen. Sie weiß die Einwohner aktiv zu beeinflussen, kennt gleichzeitig jedoch
ihre Grenzen und versteht klar, wann sie zu kuschen hat.
Insgesamt haben mich die letzten beiden Episoden so von der Serie überzeugt, dass ich noch mehr Angst habe, vom Finale enttäuscht zu werden. Während die Ranch-Frage hoffentlich nicht bereits im Finale endgültig geklärt wird (dafür ist er doch viel zu interessant und thematisch vielversprechend) und die Figuren wieder in die Welt dort draußen geschickt werden (wobei bereits Colorado als mögliches Ziel diskutiert wurde), müssen wir uns sicherlich durch die nächste Ofelia/Daniel/Strand-Storyline quälen. Das Problem ist ja nicht nur, dass Mexiko, das Hotel sowie die Sache aus der zweiten Staffel mit Daniel und Strand, geographisch und emotional so weit entfernt ist und die Ranch-Storyline in keinster Weise berührt. Das echte Rätsel ist, dass weder Daniel noch Strand in der Konstellation der Haupthandlung der Serie etwas hinzufügen würden. Im Gegenteil. Sie würden momentan nur stören.