Filme lesen und Bücher sehen - Ein Medienwechsel

21.01.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Universum Film / moviepilot
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In der heutigen Speakers’ Corner richtet moviepilot-Mitglied spotnik unseren Blick auf die unterschiedlichen Analyseformen von Film und Buch – und warum ein Vergleich von Film und Buchvorlage zum Scheitern verurteilt ist.

Der folgende Text enthält im Wesentlichen Altbekanntes und wird einige moviepilot-Leser vermutlich nicht mehr besonders überraschen. Er reißt vieles an und hört da auf, wo Dissertationen beginnen müssten und kann deshalb getrost als pseudowissenschaftlich bezeichnet werden. Trotzdem muss es gesagt werden. Ein Plädoyer für Medientrennung.

Seit einiger Zeit denke ich darüber nach, wie eine gute Filmanalyse aussehen kann. Denn bis heute gibt es wirklich viele ungelöste Probleme der Filmanalyse, wie etwa Raymond Bellour in einem Aufsatz in den 80er Jahren dargestellt hat (Ich beziehe mich hier auf Analyse in Flammen und Der unauffindbare Text, beide erschienen in Montage AV 1999/I und in deren Archiv abrufbar). Daher lese ich immer wieder mit mehr oder weniger Freude die Filmkritiken hier auf moviepilot. Die meisten disqualifizieren sich schnell von selbst (“GEILER FILM!!!!”), viele davon sind apodiktisch und mit Absolutheitsanspruch versehen („ein absolut unterschätztes Meisterwerk“) und verkennen die, denke ich, inzwischen gut anerkannte Tatsache, dass Bedeutung und Wahrnehmung hauptsächlich im Kopf des Wahrnehmenden stattfinden. Manche versuchen sich in absoluter Objektivität (man, Positivismus ist jetzt echt vorbei, Leute), oder die Kritik ist subjektiv, persönlich (damit hab ich eigentlich kein Problem). Doch etwas taucht eigentlich immer auf: der Zorn des Buchverfilmungssehers. Daher will ich in den nächsten Zeilen über die von Bellour beschriebene Problematik des Medienwechsels schreiben – anhand eines Phänomens der Filmkritik: die Kritik des Films anhand seiner Buchvorlage.

Nun, als erstes: Man kann das machen. Allerdings nicht, wenn man sich auf der Ebene einer Filmkritik (im Sinne von: Ich beurteile die Qualität des Films) oder gar einer Filmanalyse befindet. Der Grund dafür liegt offensichtlicherweise darin, dass Film und Buchvorlage etwas völlig verschiedenes sind.

Erstens, aus kulturwissenschaftlicher Perspektive: Eine Buchverfilmung sagt prinzipiell immer mehr über seine eigene Produktionszeit aus, als über die Produktionszeit der Vorlage. Allein schon, welches Buch wann verfilmt wird, sagt etwas über die kulturelle Relevanz des Stoffs oder der Produktionsbedingungen aus. Das lässt sich beispielsweise daran ablesen, dass es während der Frühen Moderne (1890-1930) einen teilweise recht progressiven Homosexuellen-Diskurs in der Literatur gab, der im Film niemals möglich gewesen wäre. Dementsprechend finden sich Verfilmungen entsprechender Werke erst wesentlich später (bspw. Tod in Venedig (FR/IT 1971), Buchvorlage: 1912).

Zweitens, aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht: Film und Buch ähneln sich zwar in ihrer Medialität, sind aber keineswegs gleich. Ihre Ähnlichkeit besteht darin, dass sie beide eine Art audiovisuelles Medium sind: Wer liest, imaginiert gleichzeitig Bild und Ton und sieht vor seinem geistigen Auge einen Film. Nun ist dieser geistige Film schlechterdings analysierbar, weshalb sich die Literaturwissenschaft, auch mit Hilfe der Linguistik, oft auf kognitionswissenschaftliche und kommunikationswissenschaftliche Analysen kapriziert. Aber: Film und Buch unterscheiden sich in ihrer Konstruktion als „Text“: Während das eine Medium als Text mit Buchstaben und Wörtern vorliegt, ist das andere Medium ein Text mit audiovisuellen Zeichen (der kundige Leser erkennt mich hier als Semiotiker). Während geschriebener Text sich durch Wörter, Grammatik und Satzbau strukturiert, tut Film dies durch seine spezifische Medialität, etwa durch Montage, Bildaufbau, etc. Möchte man die Bedeutung eines Texts rekonstruieren, so muss man also die Verkettung von Zeichen und Strukturen beobachten. Aus diesen unterschiedlichen Möglichkeiten der Bedeutungskonstituierung ergeben sich medial völlig verschiedene Konstrukte.

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