Filmemacher, die (mehr) Aufmerksamkeit verdienen

21.08.2014 - 08:50 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Cheap Thrills
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Die Cinewelt liegt Xavier Dolan zu Füßen. Dabei gibt es ungleich beobachtungswürdigere Filmemacher, denen Preise und Anerkennung (noch) nicht hinterher geworfen werden.

Es hat lediglich einen Film gebraucht, ehe sich die Cinephilie auf Xavier Dolan als neuen Hoffnungsträger des Weltkinos einigte. Bereits sein im Alter von 19 Jahren gefertigtes Regiedebüt, das psychologische Mutter-Sohn-Drama I Killed My Mother, wurde in Cannes dreifach ausgezeichnet. Vier Jahre später gewann der Frankokanadier für Mommy sogar den Jury-Preis, teilen durfte er sich diesen auch noch mit seinem großen Idol Jean-Luc Godard. Jeder seiner bislang fünf Spielfilme erhielt breite Aufmerksamkeit, wurde gewürdigt auf Festivals, von der Filmkritik geliebt und dank flächendeckender Kinoauswertungen auch von vielen Menschen gesehen. Des Wunderkindes zweitaktuellste Arbeit, die Theaterstückadaption Sag nicht, wer du bist, ist ab sofort in den deutschen Kinos zu sehen. Und man muss sich schon fragen, wie viel Aufhebens um einen mittlerweile 25-jährigen Regieautodidakten eigentlich noch im Verhältnis zu dessen tatsächlichem Talent steht.

Chanson der Liebe
Ein mit ähnlichen Sujets operierender, aber weniger durchschaubarer Filmemacher ist Christophe Honoré. Auch seine Arbeiten bewegen sich innerhalb überwiegend queerer Themenbereiche, doch kennen sie ästhetisch keine Beschränkungen und präsentieren ihre Beobachtungen zugleich ohne jenen adoleszenten Habitus des Bescheidwissens, wie er durch Xavier Dolans Filme schulmeisterlich geistert. Honoré ist zwar nicht vor Kunstgewerblichkeit gefeit, sein Arthaus-Porno Meine Mutter übersteigert familiäre Abhängigkeiten allerdings dergestalt ins Exzessive, dass das sehr brave Dolan-Kino sich vermutlich überfordert abwenden würde. Mit seinen wunderbar ironiefreien Musicals Chanson der Liebe sowie Die Liebenden inszenierte Honoré 2007 und 2011 zudem zwei eigenwillige Versuche, der beschwingten Nostalgie eines Jacques Demy Tribut zu zollen, ohne die Links zum Vorbild so auszustellen (oder gar zu verunstalten), wie es Dolan mittels angeberischer Hipster-Tableaus in einer falsch verstandenen Würdigung der Nouvelle Vague tut.

Subkulturelle Lebenswirklichkeit
Offenbar nicht hip genug, um Dolan-Enthusiasten zu erobern, aber erheblich substanzieller sind auch die Regiearbeiten des Briten Andrew Haigh, vormaliger Schnittassistent und neue Hoffnung nicht-heterosexueller Filmkunst, in der es entschieden diskursiv (statt um Anerkennung des Mainstreams wimmernd) zugeht. Greek Pete, sein in der urbanen Authentizität des Londoner Strichermilieus verortetes Langfilmdebüt, wies ihn sofort als einen der interessantesten Filmemacher des Queer Cinema aus. Ein überschaubarer Durchbruch gelang ihm schließlich mit Weekend, dem intimen, dialoglastigen und unkonventionell romantischen Porträt einer Wochenendliebe, an deren Kennlernritualen Haigh gleich noch den Stand gegenwärtiger subkultureller Lebenswirklichkeit überprüfte. In der Art, wie dieser fast hermetische Film zu muntren Gedankenspielen verführt, ragt er weit über die Interessen eines Szenenpublikums hinaus. Als Produzent, Autor und Regisseur gehört Andrew Haigh außerdem zu den Hauptverantwortlichen der leider nicht sehr erfolgreichen HBO-Serie Looking.

Osteuropäisches Autorenkino
Eine Festival-Entdeckung, doch dem Publikum noch weitgehend unbekannt ist der rumänische Filmemacher Corneliu Porumboiu. Neben Cristi Puiu und Cristian Mungiu gilt er als einer der wesentlichsten Exponenten der sogenannten Neuen Welle Rumäniens, gleichwohl sein sozialer Realismus von noch größerer Sanftheit bestimmt ist als der seiner prominenteren Weggefährten. Police, Adjective, bisher der einzige Film von Porumboiu, dem ein kleiner deutscher Kinostart vergönnt war, kann hier stellvertretend für ein junges osteuropäisches Autorenkino stehen, das die Dringlichkeit seiner verhandelten Themen nicht nur ungezwungen (und damit auch unprätentiös), sondern hochgradig minimalistisch präsentiert: Corneliu Porumboiu schafft Bilder, die erst einmal für sich stehen, ohne umgehend gedeutet oder bewertet werden zu müssen, und die sich nur durch sehr rudimentäre Erzählanstöße in Bewegung halten. Ich wage zu behaupten, dass es zuletzt keinen Film gab, der eine ähnlich unverstellte, ganz ohne Wirkungsdiktat dargereichte Schlussszene zu bieten hatte wie Police, Adjective.

Garstiger Mumblegore
Im gegenwärtigen Genrekino wiederum ist die Anzahl interessanter Nachwuchsregisseure beinahe unüberschaubar. Jede Aufmerksamkeit für angehende Horrorfilmgrößen scheint in Festival- wie auch Kinostartzusammenhängen von vornherein schon durch die Absonderung ins Nischenfach entsprechender Fans beschränkt. Es ist daher wenig verwunderlich, dass nur ein spezielles Publikum mit den jüngeren Ausnahmeerscheinungen des Genres vertraut ist, etwa Adam Wingard oder E.L. Katz. Als Teil eines ebenso produktiven wie sich ästhetisch nahe stehenden phantastischen Kinos haben sie sich erfolgreich vom US-amerikanischen Mumblecore-Film abgekoppelt. Ihre garstigen, mit originellem Witz und großer Liebe zu geistigen Vorbildern versehenen Produktionen – von A Horrible Way to Die - Liebe tut weh bis zu You're Next und Cheap Thrills – wirken im Vergleich zum lauwarmen Mainstream-Grusel eines James Wan geradezu vital. In gemeinschaftlichen Anthologiefilmen wie V/H/S verweisen sie zudem auf einen fast rührigen Zusammenhalt, als handele es sich eigentlich auch schon wieder um eine kleine neue Welle (mumblegore).

Unzuverlässiges Erzählen
Die beiden Jungspunde Justin Benson und Aaron Moorhead gelten dagegen selbst unter Genrefreunden noch als Geheimtipps, obwohl ihre Mitwirkung am kommenden V/H/S Viral dies in naher Zukunft ändern könnte. Das Regiegespann hat mit dem hierzulande eher sinnfrei betitelten Resolution - Cabin of Death einen intelligenten, in letzter Konsequenz gar anti-postmodernen Horrorfilm geschaffen, der sich als geistreiche Variation auf Cabin in the Woods, vor allem aber auch erzähltheoretische Abhandlung der Struktur- und Wirkmechanismen zeitgenössischen Horrorkinos empfiehlt. Dass es in einer Zeit, in der beinahe jeder Horrorfilm der Versuchung erliegt, nur noch innerhalb anderer Horrorfilme bestehen zu wollen (so wie auch Xavier Dolans Arbeiten immer Echos fremder Stimmen mitkonstruieren), ein derart innovativer Film über unzuverlässiges filmisches Erzählen entstehen kann, ist Justin Benson und Aaron Moorhead nicht hoch genug anzurechnen.

Neue Talente im Gegenwartskino
Die Liste gegenwärtig hochspannender Filmemacher_innen ließe sich umfangreich fortsetzen, mit Namen wie Dee Rees, Joachim Trier, Matías Piñeiro, Athina Rachel Tsangari, Alison Klayman, Lucien Castaing-Taylor, Verena Paravel oder Hoon-jung Park. Allein derzeit laufen in den deutschen Kinos – und es ist ja immer schon eine kleine Sensation, wenn sich dort überhaupt mal etwas vergleichbar Abseitiges sehen lässt – neue Filme von Kelly Reichardt, Yi'nan Diao oder Sang-ho Yeon. Tatsächlich, habe ich zumindest das Gefühl, gab es im Kino schon seit langer Zeit nicht mehr so viele derart aufregende Regietalente zu entdecken. Dass das Schaffen dieser und anderer zumeist ebenso jungen Filmemacher_Innen deutlich weniger Repräsentation erfährt, hat dann manchmal wohl auch einfach etwas mit den gewöhnlichen Bedingungen des Kinos zu tun (das immer nur eine Auswahl wiedergeben kann), oder auch den Gesetzen kommerzieller Verwertbarkeit (gehört wird ja vor allem, was ganz besonders laut schreit).

Klassenclown Dolan
Die Filme von Xavier Dolan machen so gesehen in der Tat stark auf sich aufmerksam: Sie erscheinen als Erzeugnisse einer nicht sonderlich komplexen, aber stilsicheren Handschrift, treten entsprechend selbstbewusst auf und haben – um auch Relevanz beanspruchen zu können – einiges zu vermitteln. Dolan wirkt als ein junger Apologet des, zumal queeren und daher ohnehin unterrepräsentierten, Themenkinos, das nicht altbacken, sondern bunt bebildert und dynamisch montiert aufkreuzt. Es strahlt ein starkes Bewusstsein für (europäische) Filmgeschichte aus, das von Kennern wohlwollend erspürt und anderen Zuschauern innovativ empfunden werden kann, und es kombiniert musikalisch gleichzeitig Johann Sebastian Bach mit The Knife, France Gall mit Fever Ray, Arnold Schönberg mit Rufus Wainwright. Eigentlich ist es nicht weiter verwunderlich, dass Cannes und Venedig, die Filmkritik, der Verleihapparat, das Arthaus-Mainstream-Publikum sich so erstaunlich immens für jedes neue Fashion-Filmchen dieses Künstlerkindes interessieren. Mich nervt das dennoch.

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