Fragile Mädchen im Blutrausch

30.09.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
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Vorbei sind die Zeiten der Menschen in Gummikostümen von Urzeitmonstern, die Miniaturstädte zertrümmern. Mit zierlichen Frauen in luftiger, weißer Kleidung und mit langen, glatten schwarzen Haaren lehrte der japanische Horrorfilm der Welt das Gruseln.

Als Anfang 2003 ein amerikanischer Horrorfilm mit Naomi Watts in der Hauptrolle die deutschen Kinos stürmte, da waren an allen Ecken die neunmalklugen Cineasten zu hören, die es natürlich besser wussten. "Das japanische Original ist viel besser, viel gruseliger!“, pfiffen die Spatzen von den Dächern. Doch das Gegengift war bald in Form der Sichtung des Originals zur Hand. Nun konnte zurück geschlaumeiert werden: “Ach, so gut ist der gar nicht…” Der seltene Fall war tatsächlich eingetroffen, ein Remake (Ring) hatte Ring – Das Original ans Licht der breiten Öffentlichkeit gezogen. Was folgte war ein großer J-Horror-Hype. Bis heute ist kein anderes japanisches Genre in Deutschland so gut für das Heimkino erschlossen. Die dämonischen Dämchen, welche durch die zahllosen Filme geisterten, durften augenblicklich bei keinem Scary Movie-Teil mehr fehlen. Sie waren omnipräsent – auch durch den bizarren Umstand, dass Hollywood nun jedem Film sein Remake verpasste und jedes Exemplar folglich doppelt ausgebeutet wurde.

Die Monster, die vorher den weiten Weg auf die Leinwände und in die Fernsehapparate der westlichen Welt erfolgreich aufgenommen hatten, waren da ganz anderer Natur. Mit Godzilla hatte es langsam begonnen. Unmengen an Filmabenteuern durfte er in den 50er und 60ern bestreiten. Immer wieder stieg ein beneidenswerter Künstler in den Gummianzug und durfte ein Modell-Tokio in Schutt und Asche legen. Schnell folgten andere Monster seinem Ruf: Gamera, Mothra und viele mehr. Das Toho-Filmstudio verdiente sich eine goldene Nase mit seinen kaijū eiga („rätselhafte Bestie“-Filme). Im Westen wurden sich die Augen gerieben. Was war da in Japan los? Doch am Ende übertrug sich der seltsame Spaß sogar und Godzilla gehörte bald zu Japan wie Schimanski zu Duisburg.

Der Erfolg dieses, Ironie des Schicksals, Remakes eines amerikanischen Monsterfilms lag nur kurz unter der Oberfläche des ersten Films verborgen. Nur wenige Jahre nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki gab diese riesige Echse einer ganzen Nation die Möglichkeit, das erlittene Leid von Millionen und die schamvolle Kriegsniederlage zu verarbeiten. Godzilla gab diesem abstrakten Grauen ein Gesicht, gegen das sich im Film endlos gewehrt werden konnte. Schließlich wurde Godzilla dies so sehr gedankt, dass er bald auf der Seite seiner Landsleute kämpfte.

Die Ängste, welche in den Horrorfilmen Hollywoods abgehandelt werden, kommen meist von außen. Das Böse, über das sich der eigenen „guten“ Identität versichert wurde, das waren immer die Anderen. Wilde, von sexueller Energie getriebene Psychopathen (von Psycho bis zu jedem x-beliebigen Slasher), das Kind im eigenen Leib (Rosemaries Baby, Eraserhead), andere Lebensweisen oder einfache Menschen (Die Dämonischen) oder schlicht das Unbekannte (Der weiße Hai), meist lauerte das Grauen hinter der nächsten Ecke und fiel schockartig über uns her. Wenn beispielsweise Yoshitaro Nomura aber in Das Dorf der acht Grabsteine Ende der 70er seinen Whodunit mit rachedurstigen Samuraigeistern anfüllt, dann kommen diese nicht von außen, sondern stecken tief in den Protagonisten drin. Die Schuld der Eltern, der Verwandten, der Urahnen ist es, die hier so unvermittelt die Idylle zerreißt und sich in gruselige Rüstungen wirft. Solange sie nicht getilgt ist, solange hängt die Bedrohung wie ein Damoklesschwert an einem. Das Grauen in Japan liegt in einem selbst, in der Familie, in der Nation.

Mehr: Die Zeugen Nippons Teil 1 – Die blutige Rückkehr des japanischen Kinos

Deshalb kriecht und schleicht der Schrecken auch durch den J-Horror-Film. Der Schrecken ist nicht da draußen und wartet auf einen, es ist immer schon da. Wenn also Schemen den Bildrand trüben oder plötzlich Hände auf den Schultern liegen, dann hat sich nur etwas sichtbar manifestiert, was schon die ganze Zeit da war. Über die gesamte Laufzeit von Ju-on: The Grudge beispielsweise wird eine Atmosphäre der Bedrohung und Unsicherheit geschaffen, die den Figuren, wie den Zuschauern den Boden unter den Füßen raubt. Irgendwo blitzt immer ein Geist oder Dämon auf. Doch wegrennen kann Hauptdarstellerin Rika nicht, weil es kein außen gibt.

Wer H.P. Lovecraft gelesen hat, kennt das Gefühl. Das Böse, der Wahnsinn scheint zu Beginn weit genug weg. Doch bald ist er in der eigenen Wohnung, bevor uns klar wird, dass er in uns selbst lauert. In Dark Water leckt das Wasser, das konterminierende Wasser, Reinheit und ihre Verschmutzung ist eine wichtige Trope im japanischen Horrorfilm, die einem viel über das zu Sehende sagen kann, dieses Wasser kommt also durch die Decke in die neue Wohnung von Yoshimi. Doch was da durch die ewig gespiegelten Schicksale in den Raum sickert, ist nicht das Andere, sondern die Panik vor der eigenen Situation, der nahende Nervenzusammenbruch.

Wer in einem Film von Shin’ya Tsukamoto landet, wird auch schnell merken, wie ambivalent dies sein kann (und was für abgefahrene Filme möglich sind). Mal verlieren die Protagonisten die Macht über den eigenen Körper (Tetsuo), mal ist die eigene Lust eine scheinbare fremde Macht (A Snake of June – Rinkos Geheimnis) oder einfach alles in einem läuft aus dem Ruder (Tokyo Fist). Das ist mitunter schaurig und erschreckend, aber immer wird auch die Süße, das Lustvolle der Situation transportiert.

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