Ganz großes deutsches Kino in Gold

10.02.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Das Berlinale Tagebuch - Tag 3
Piffl Medien / Bona Fide Productions / moviepilot
Das Berlinale Tagebuch - Tag 3
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Tag drei der Berlinale ist vorüber und langsam setzt sich der Festival-Alltag bereits in den Knochen ab. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich anfange, weniger Spaß zu haben. So sah mein dritter Tag auf dem Filmfest-Rummel aus.

Der dritte Tag der Berlinale ist vorüber und langsam beginne ich, mich vor den letzten Tagen zu fürchten. Der Schlafmangel macht sich allmählich bemerkbar, vor allem bei schwächeren Filmen gewinnen Kaffee und Club Mate deutlich an Wert. Mein erster Film des Tages war A Long and Happy Life, ein russischer Beitrag im Berlinale-Wettbewerb, in dem ein Kleinfarmer sich auf Drängen seiner Arbeiter dagegen wehrt, sein Land zu verkaufen. Leider konnte mich der Streifen ganz und gar nicht überzeugen. Sind die ersten beiden Akte noch wenigstens ansatzweise interessant, macht sich zum Finale hin die akute Ideenlosigkeit des Drehbuchautors bemerkbar. Die alberne und vollkommen unglaubwürdige Auflösung der Geschichte ist dermaßen banal, dass ich mit einem Kopfschütteln aus dem Kinosaal ging. Die Entschädigung sollte jedoch schon bald folgen.

Pures Gold für das deutsche Kino
Es gehört ja mittlerweile zum guten Ton der heimischen Cineasten, das deutsche Kino zu verteufeln und den Niedergang unserer Kultur zu betrauern. In Gold von Thomas Arslan ist davon jedoch keine Spur. Dort erzählt er die Geschichte einer Gruppe von Deutschen, die sich quer durch Kanada auf den Weg nach Dawson begibt, in der Hoffnung, dort auf enorme Goldvorräte zu stoßen. Die Reise erweist sich deutlich schwieriger als gedacht, sodass sich die Gruppe einer harten Prüfung nach der anderen stellen muss. Thomas Arslan erzählt seine Geschichte so ruhig, dass sie sicherlich viele Zuschauer langweilen wird. Die nüchterne Inszenierung ist jedoch über jeden Zweifel erhaben – ruhige, lange Kameraeinstellungen ziehen sich durch den gesamten Film hindurch, ebenso intensiv wie einfühlsam. Die Darstellerriege leistet weitestgehend eine hervorragende Arbeit, allen voran Uwe Bohm und Lars Rudolph. Mein Eindruck war, dass die Presse ihn gespalten aufnahm. Zwar hörte ich zum ersten Mal auf dieser Berlinale während des Abspanns nicht nur Applaus, sondern auch lautes Jubeln und Pfeifen. Allerdings belauschte ich im Vorbeigehen auch viele Kritiker, die sich wohl extrem gelangweilt haben. Eigentlich wollte ich die Zeit zwischen der zweiten und dritten Vorführung nutzen, um zu schreiben, allerdings wollte ich dann doch lieber die Pressekonferenz besuchen. Der verschenkten Arbeitszeit werde ich aller Voraussicht nach morgen früh hinterhertrauern.

Shia LaBeouf auf Drogen in Europa
Mit Lang Lebe Charlie Countryman wartete der für heute letzte Wettbewerbsfilm auf mich. Der namhaft besetzte (u.a. Shia LaBeouf, Rupert Grint, Mads Mikkelsen, Evan Rachel Wood, Til Schweiger) Thriller handelt von dem antriebslosen Charlie (Shia LaBeouf), der nach dem Tod seiner Mutter beschließt, ein Abenteuer in Bukarest anzutreten. Dort verliebt er sich zwar in die schöne Gabi (Evan Rachel Wood), allerdings wird er auch in allerlei kriminelle Machenschaften verwickelt. The Necessary Death of Charlie Countryman wird mit der kurzweiligen Inszenierung, den herben Späßen und nicht zu zimperlichen Gewaltdarstellung auch nach der Berlinale bestimmt eine ansehnliche Fanbase erreichen. Ich konnte mit ihm jedoch weitestgehend nicht allzu viel anfangen, was wohl vor allem dem Drehbuch zuzuschreiben ist. Der Film will nicht als realitätsnaher Thriller daherkommen, sondern bindet bewusst fast schon märchenhafte Elemente ein, was grundsätzlich keine schlechte Sache ist. Allerdings werden vermeintlich unklare Details zu den Figuren und die Message des Films sozusagen durchgehend explizit erklärt, ob nun durch einen handelnden Charakter oder eines mysteriösen Erzählers aus dem Off. Das raubt dem Streifen jeglichen Mehrwert, da er dem Zuschauer keinerlei Spielraum für eigene Interpretationen und Deutungen lässt.

Letzten Endes blieb er eine mehr oder weniger gut gespielte, nette Unterhaltung für zwischendurch, die jedoch bei mir schnell in Vergessenheit geraten wird. Til Schweiger spielt übrigens den knallharten Strip Club-Besitzer und Ober-Hardcore-Gangster Darko – eine Figur, die klischeehafter nicht sein könnte und ein weiterer Minuspunkt ist. Aufgrund des illustren Casts beschloss ich aber dennoch, auf die dazugehörige Pressekonferenz zu gehen, an der Rupert Grint, Til Schweiger und Regisseur Fredrik Bond teilnahmen. Die allererste gestellte Frage war ebenso voraussehbar wie beschämend: Rupert Grint, wie fühlt es sich an, mal was ganz anderes zu spielen, als in den Harry Potter-Filmen? O Mann!

Für meine persönlich vorletzte Vorstellung des heutigen Berlinale-Tages entschied ich mich für die Weltpremiere von A Single Shot, der mich aufgrund seines Casts (Sam Rockwell, William H. Macy) locken konnte. Ich erwartete ehrlich gesagt nicht besonders viel, wurde dafür dann umso mehr überrascht. Sam Rockwell spielt den abgewrackten und arbeitslosen John, der bei der Jagd im Wald zuerst versehentlich ein junges Mädchen erschießt und anschließend einen Haufen Geld findet. Natürlich vermisst irgendjemand beides, was John in ernsthafte Schwierigkeiten mit zwielichtigen Gestalten bringt. Klingt nach einer Standard-Story für einen Thriller, ist es im Grunde auch. Allerdings ist dieser so erstklassig gespielt und intensiv inszeniert, dass er mich über zwei Stunden an den Sessel fesselte. Höchstspannend von der ersten bis zur letzten Minute. Zu meiner Überraschung war Regisseur David M. Rosenthal, sowie der Drehbuchautor und zwei Cast-Mitglieder anwesend, die nach dem Film interessante Geschichten aus dem Nähkästchen erzählten.

Zum Abschluss gab es, wie auch schon gestern, ein wenig Filmgeschichte. Woman aus dem Jahre 1948 von dem hierzulande weitestgehend unbekannten Keisuke Kinoshita handelt von einer Frau, die ihren kriminellen Mann verlassen möchte. Dieser setzt jedoch alles daran, um das zu verhindern. In einer kurzen Laufzeit von einer guten Stunde gelingt es Keisuke Kinoshita hervorragend, seine Geschichte sehr facettenreich zu erzählen. Von einem ergreifenden Drama eingerahmt weiß der Mittelteil vor allem durch überaus komödiantische Dialoge zu überzeugen, zeichnet dabei ein ambivalentes Bild der Beziehung der beiden und ist zudem noch exzellent fotografiert. Ein sehr würdiger Abschluss für einen langen Tag mit einem starken Wettbewerbsfilm. So darf es ruhig weitergehen.

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