Nach You & Dahmer: Richtig guter Serienkiller-Thriller mit Fantasy-Twist rettet ein ausgelutschtes Genre vor der puren Langeweile

20.02.2023 - 17:03 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
Mad Fate läuft in der Sektion Berlinale Special
MakerVille Company Limited and Noble Castle Asia Limited
Mad Fate läuft in der Sektion Berlinale Special
0
2
Serienkiller-Storys wie Dahmer und You sind extrem populär, aber auf Dauer ermüdend. Der Fantasy-Thriller Mad Fate schafft Abhilfe.

Die gefesselte Frau röchelt in den Seilen. Das Blut tropft auf den Boden und der junge Mann kann einfach nicht anders, als die Leidende mit seinen großen runden Augen anzustarren. Er ist allerdings kein Netflix-Abonnent, der bei der nächsten Folge von Dahmer oder You ungeduldig das "Schauen Sie noch?"-Feld von Netflix-wegklickt, sondern ein geborener Mörder.

Das Schicksal gibt im Serienkiller-Film Mad Fate nämlich die Bahn vor für diesen jungen Mann. Der Blick auf das Opfer eines anderen Killers stupst ihn weiter in die falsche Richtung. Doch ein Wahrsager will das unbedingt verhindern – und liefert nebenbei ein überzeugendes Argument dafür, wie dringend der inflationär beackerte bzw. zerhackte Serienkiller-Film einer originellen Abwechslung bedarf.

Das Serienkiller-Genre braucht dringend einen originellen Spin

Killer locken gemeinsam mit sarkastischen Goth-Mädchen verlässlich Massen vor die Mattscheibe. Die Netflix-Serien Dahmer und You - Du wirst mich lieben zwingen einem die Perspektive des Täters auf, durchforsten ihren Geist nach der Quelle ihres mörderischen Triebes und schenken dem Publikum so das Gefühl, der Gefahr ganz nah zu sein.

Die Lust am Grauen wird von traumatischen Herkunftsgeschichten, sozialen Missständen und Empörung kaschiert. Und das ist fein so. Serienkiller-Filme und -Serien haben ihren Reiz und ihre Berechtigung, wie andere Genres auch. Niemand muss sich dafür schämen, Dahmer an einem Tag durchzubingen (Durchhaltevermögen dieser Art bewundere ich sogar). Das Genre tritt allerdings gerade in den USA auf der Stelle.

Mad Fate

Dem Serienkiller-Phänomen Dexter schlossen sich True Detective, The Alienist - Die Einkreisung, Ripper Street, The Fall: Tod in Belfast, Hannibal, The Following, Bates Motel, Mindhunter und Prodigal Son - Der Mörder in Dir an.

Dabei handelt es sich nur um eine Auswahl aus einem wuchernden Genre. Was im Kino der Superheld ist, ist im Fernsehen der Serienkiller. So wie bei den Heroen der Leinwand, muss man auch bei ihren dunklen Gegenparts im Fernsehen genau hinschauen, um unter der Einheitsware originelle Visionen wie Mindhunter oder Hannibal herauszufiltern. Selbst diese leben aber von der Faszination an der triebgesteuerten Grenzüberschreitung, die Serienkiller als Figuren mitbringen. Mad Fate wählt einen ungewohnten Ansatz, um sich diesem Trieb zu nähern.

Fantasy trifft Thriller in der Story des Berlinale-Films Mad Fate

Als wir unseren namenlosen Helden in dem neuen Thriller des Hongkonger Regisseurs Soi Cheang (Dog Bite Dog) zum ersten Mal treffen, macht auch er den Eindruck eines zukünftigen Verbrechers. Auf einem Friedhof verbuddelt er eine Frau bei lebendigem Leibe. Bei ihm (Lam Ka-tung) handelt es sich um einen Wahrsager, bei ihr um eine Prostituierte. Er will mit einem komplexen Ritual ihr böses Schicksal abwenden. Sie macht sich aufgrund der nicht sonderlich beruhigenden Schlammmassen auf ihrem Körper davon. Noch in derselben Nacht wird sie von einem Frauenmörder getötet.

Wo wir wieder bei dem jungen Siu Tung (Lokman Yeung) sind, der durch einen Wink des Schicksals an diesem Tatort landet. Unser Wahrsager liest aus seinen Sternentabellen: Er wird töten. Der augenscheinliche Quacksalber versucht von nun an alles, um ihm das Virus Mordlust auszutreiben. Mit Feng Shui und einer gehörigen Improvisationslust zieht der Wahrsager in den Kampf gegen das Schicksal, das ihm mit bornierten Polizisten und umwerfend zotteligen CGI-Katzen diverse Knüppel zwischen die Beine wirft.

Warum sich der Thriller von der üblichen Serienkiller-Ware wie You oder Dahmer abhebt

Anstelle eines abgehärteten Cops wird uns also ein manischer Mathematiker der Zukunft vor die Nase gesetzt. Mithilfe einer pausenlos vorangetriebenen Story und spielerischen visuellen Effekten, verwandelt Soi Cheang Hongkong in ein urbanes Fantasy-Reich, in dem ein kleiner, zappeliger Kerl gegen die geballte Macht des Himmels antreten muss. Mad Fate unterhält mit stylisch inszenierten Schockmomenten. Immerhin begann Soi Cheang seine Karriere mit Low Budget-Horrorfilmen, die charmante Titel wie Horror Hotline... Big Head Monster trugen.

Mad Fate

Der Film hält jedoch zuallererst mit dem atemlosen Einsatz für das Schicksal eines Mannes bei Laune, der wie die Definition eines "creepy guys" aussieht. Würden einem diese stierenden Augen nachts begegnen, würde man in Sekundenschnelle die Straßenseite wechseln. Zu Recht. Trotzdem verdient er zumindest einen Rettungsversuch. Das dürfte denn auch die Essenz von Mad Fate sein.

Nach seinem Serienkiller-Meisterwerk Limbo, das 2021 bei der Berlinale lief, hat er erneut eine Hommage an die Außenseiter der Gesellschaft gedreht. Bis zuletzt fiebert man mit, ob dieser Typ seinen Mord begeht, ob unser Wahrsager, das Schicksal besiegen kann.

Und der eigentliche Serienkiller? Dieser Frauenmörder ist ein unscheinbarer Typ aus der Mitte des Lebens, der sich einzig und allein durch seine Taten "auszeichnet". Für Mad Fate dient er als Werkzeug der übernatürlichen Macht, seine Motivation interessiert das Drehbuch keinen Deut, im Grunde ist er belanglos. Damit erstickt ausgerechnet dieser Serienkiller-Film mit Fantasy-Einschlag die Faszination für Mörder im Keim.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News