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High Voltage Thriller mit Hardboiled Agent

30.01.2015 - 12:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Anil Kapoor als ATU-Chef Jai Singh Rathod.
Colors/bearbeitet Bommali
Anil Kapoor als ATU-Chef Jai Singh Rathod.
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Rettet er wirklich die Welt, indem er fiese Terroristen in Grund und Boden tanzt? Oder ist die indische Version der US-Serie 24 allen Unkenrufen zum Trotz eine Adaption comme il faut, die auch ohne Jack Bauer funktioniert? Finden wir es doch heraus!

Die Meldung, dass die Serie 24 in Indien neu verfilmt würde, erzeugte - wie könnte es auch anders sein - absurde Plattitüden über mutmaßlich singende und tanzende Protagonisten und die zweifelhafte Vorhersage, dass die Serie „voll affig“ sein werde und man sich das auf gar keinen Fall ansehen kann. Bollywood-Kolportage und Klischee-Fanatismus sei Dank.

Zugegeben, auch ich war skeptisch, als ich vor ein paar Jahren in der indischen Presse las, dass sich Schauspieler Anil Kapoor (24 - Staffel 8, Slumdog Millionaire) die Rechte für eine Neuverfilmung des US-Serienhits 24 für das indische TV-Publikum gesichert hatte und zudem die Hauptrolle übernehmen werde. Anil Kapoor als Jack Bauer? Ernsthaft?

Es war ihm Ernst mit seinem Vorhaben und so holte er sich Regisseur Abhinay Deo ins Boot, der mit seiner frechen Erfolgskomödie Delhi Belly bewiesen hatte, dass er Grenzen zu überschreiten vermag. Mit Rensil D'Silva (Kurbaan) kam zudem ein mit zahlreichen Filmpreisen ausgezeichneter Drehbuchautor an Bord. Der Startschuss der indischen Adaption der ersten Staffel fiel am 4. Oktober 2013 beim TV-Sender Colors und wartete mit einer hochkarätigen Besetzung auf. In den folgenden drei Monaten ging Anil Kapoor jeden Freitag und Samstag auf Terroristen-Jagd. Mit bahnbrechendem Erfolg. Das gewagte Projekt zahlte sich aus und schrieb Fernsehgeschichte.

Während die Dreharbeiten für die zweite Staffel in Dubai bereits auf Hochtouren laufen, erschien in Indien nun die erste Staffel auf DVD (Hindi, engl. UT). Das ermöglicht es uns, der indischen 24-Adaption auf den Zahn zu fühlen. Also DVD in den Player uuuuund Action!

Jai Singh Rathod nimmt kein Blatt vor den Mund und die Terroristen ins Visier.

Meine anfängliche Skepsis löste sich bereits nach wenigen Minuten in Luft auf und das vertraute 24-Feeling stellte sich ein. Die indische Verfilmung ist gelungen, denn hier ist trotz des adaptierten Konzeptes und ähnlicher Handlung etwas gänzlich Neues entstanden. Etwas Gutes und Sehenswertes - selbst für eingefleischte Fans der US-Serie 24.

24 rockt auch in Indien

Jai Singh Rathod (Anil Kapoor) ist Chef der fiktiven indischen Anti-Terror-Einheit ATU (Anti Terror Unit). Der ATU liegen Informationen über einen geplanten Terror-Anschlag auf das Leben des Premierminister-Kandidaten Aditya Singhania (Neil Bhoopalam) vor. Während Jai versucht, den Anschlag auf den Spitzenpolitiker zu vereiteln, werden seine Frau und seine Tochter entführt. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt und während die Uhr in bekannter Weise unaufhörlich tickt, findet er sich in einem weitläufigen Netz aus Lügen, Verrat, Tod und Terror wieder.

Aditya Singhania (re.) soll getötet werden. Um das zu erreichen, gehen die Terroristen über Leichen.

Die narrative Strategie, die die Serie 24 so besonders macht, wurde für die indische Variante adaptiert. Die Story ist in mehrere komplexe, miteinander verwobene Handlungsstränge zerlegt. Die Aufteilung der Story in 24 Folgen, die jeweils eine Stunde an einem Tag im Leben des Protagonisten chronologisch und in „Echtzeit“ darbieten, wurde ebenfalls übernommen. Auch auf den typischen Split Screen, der verschiedene parallel stattfindende Ereignisse zeigt, muss der geneigte Serienfan nicht verzichten. Die Handlung ist actiongeladen und sorgt durch heimtückische Cliffhanger, die ausgeklügelte Montage, rasante Schnitte, atmosphärische Bilder und den pulsierenden Background Score für Hochspannung. Somit haben wir es hier formal mit einer echten 24-Staffel zu tun.

Mit unliebsamen Widersachern wird nicht zimperlich umgegangen.

Das Konzept der Serie wurde jedoch in einen indischen Kontext gesetzt. Die Ereignisse finden in der Finanzkapitale Mumbai statt. Das differente Ambiente verleiht der Serie ein gänzlich neues Antlitz. Beim direkten Vergleich der beiden ersten Staffeln fällt zudem auf, dass die amerikanische Version vergleichsweise altbacken daher kommt, was der Tatsache geschuldet ist, dass sie bereits im Jahr 2001 über die heimischen Bildschirme flimmerte. Die indische Version zeigt sich hingegen in einem zeitgemäßen Look, wie man ihn aus aktuellen Thriller- oder Action-Serien aus den USA kennt. Produzent Anil Kapoor hat sich nicht lumpen lassen und für eine hochwerte Produktionsausstattung auf internationalem Niveau gesorgt.

Neues Sujet: Langeweile Fehlanzeige

Auf den ersten Blick ähnelt die Story dem amerikanischen Plot, doch durch zusätzliche Charaktere, andere Figuren-Konstellationen und neue Inhalte bleibt es spannend. So haben wir es zum Beispiel in beiden Versionen mit einem Regierungschef in spe zu tun, doch anders als Präsidentschaftskandidat David Palmer ist sein indisches Pendant Aditya Singhania nicht verheiratet. Hier gibt es demnach keine intrigante Ehefrau, die hinter dem Rücken ihres Mannes ihre eigenen politischen Ziele verfolgt. Dafür treten zahlreiche andere Personen auf, die in den Disziplinen Vertuschen, Ränkeschmieden und Lügen mindestens genauso geübt sind wie Sherry Palmer.

Gefahren lauern überall.

In der US-Version hat David Palmers Sohn ein dunkles Geheimnis, in der indischen Version ist es ein anderer prominenter Charakter, dessen Vergangenheit nicht minder düster ist. Die Terroristen kommen nicht aus dem Kosovo, sondern aus einem indischen historischen Kontext, der ebenfalls für eine Modifikation der Story verantwortlich ist. Zudem hat ATU-Chef Jai Singh Rathod nicht nur eine Tochter, sondern auch einen Sohn, der für einen eigenen, in die Geschichte involvierten Sub-Plot sorgt. Wie bereits Jack Bauer wird auch Jai mit Gegenspielern und Verrätern in den eigenen Reihen konfrontiert, doch für Überraschungen ist gesorgt. Solche Abweichungen sind zahlreich, weshalb es selbst Kennern der US-Serie nicht langweilig wird.

Starke Frauen: Jais Tochter Kiran (li.) und seine ATU-Kollegin Nikita Rai.

Die Neuverfilmung der ersten Staffel der Serie 24 als Kopie oder schlichtes Remake zu bezeichnen, ist unzutreffend. Vielmehr wurde hier ein adaptiertes Serien-Konzept in ein indisches Sujet transferiert und zusätzlich mit abweichenden Inhalten und Ereignissen inszeniert. Und nein, Jai Singh Rathod trällert weder kitschige Liebeslieder, noch tanzen er und seine Kollegen die Terroristen tot. In 24 singt und tanzt niemand, denn mit den hierzulande vorherrschenden Bollywood-Klischees hat die Serie nichts am Hut. Punkt.

Jack is back oder doch nicht?

Nun kommen wir zur Gretchenfrage: Ist Jai Singh Rathod ein würdiger Vertreter von Jack Bauer? Diese Frage lässt sich nicht mit einem kurzen Ja oder Nein beantworten. Anil Kapoor ist nicht Kiefer Sutherland. Auch nicht mit Make-up, coolem Outfit und Knarre in der Hand. Soviel steht schon mal fest. Als die erste Staffel von 24 in den USA ausgestrahlt wurde, war Sutherland gerade Mitte 30. Anil Kapoor hingegen zählte bereits 56 Lenze, als er seine Version von 24 drehte. Allein die Tatsache, dass er wesentlich älter ist, verleiht seiner Figur gänzlich neue Züge.

Wem kann Jai trauen?

Anil Kapoor bringt zudem andere Charakteristika mit, die in seine Darstellung des ATU-Chefs einfließen. Kapoor gibt nicht vor, Jack Bauer zu sein. Er versucht auch nicht, die etablierte Marke zu imitieren. Stattdessen kreiert er mit seiner Rolle eine eigene Marke. Der Protagonist ist kein Jack Bauer reloaded, sondern Jai Singh Rathod, der Chef einer indischen Anti-Terroreinheit, der sich wie sein amerikanisches Pendant als erfahrener Agent und Hardboiled-Ermittler beweist. Die Hauptfigur der indischen 24-Serie ist somit ein eigenständiger Charakter in einem Serien-Parallel-Universum. Deshalb funktioniert die indische Verfilmung trotz prominenter Vorlage und Abwesenheit von Kiefer Sutherland überraschend gut.

Mutiger Quantensprung in die richtige Richtung

Die weltweit erste Neuverfilmung der US-Serie 24 brachte frischen Wind in die indische Fernsehunterhaltung. Ein Serienformat wie 24, das neben Action und unverblümter Gewalt auch Tabu-Themen ins Wohnzimmer transportiert, hatte es bis dato auf dem Subkontinent nicht gegeben. Terror und Mordanschläge sind in Indien sensible Themen, denn das Land war in der Vergangenheit immer wieder das Ziel für verheerende Terror-Anschläge, bei denen nicht nur unzählige Zivilisten, sondern sogar Staatsoberhäupter ihr Leben verloren. Solche Inhalte werden zwar in zahlreichen indischen Kino-Filmen thematisiert, doch für eine Fernsehserie war das undenkbar.

Gibt es Maulwürfe in den eigenen Reihen?

Stattdessen dominierten sogenannte Saas-Bahu Drama Soaps, in denen sich geplagte Schwiegertöchter gegen intrigante Schwiegermütter behaupten müssen, die Fernsehunterhaltung im Serienformat und waren besonders bei Hausfrauen beliebt. Ähnliche Soaps kennen wir in Deutschland ebenfalls zur Genüge, jedoch bieten die hiesigen TV-Sender durch die Ausstrahlung ausländischer Serien hinreichende Alternativen für jedes Alter und jeden Geschmack. Auf dem Subkontinent wurde mit der Ausstrahlung der 24-Adaption ein neues Kapitel der indischen TV-Geschichte aufgeschlagen und erstmals ein junges, westlich orientiertes Publikum angesprochen. Ein gewagter Schritt, zumal die Umsetzung des Projektes im Vergleich zu anderen Serien-Produktionen ein enorm hohes Budget verschlang.

Jai gerät zwischen die Fronten.

Mut bewies Produzent Anil Kapoor nicht zuletzt auch deswegen, weil der geplante Terror-Anschlag auf die Serien-Figur Aditya Singhania deutliche Parallelen zum Schicksal des ehemaligen indischen Premierministers Rajiv Gandhi aufweist, der 1991 bei einem Bomben-Attentat getötet wurde. Auch der Sub-Plot, der von einer fiktiven tamilischen Separatistengruppe aus Sri Lanka (LTFE) erzählt, erinnert unweigerlich an die sogenannten „Tamil Tigers" (Liberation Tigers of Tamil Eelam - LTTE) und ihre mutmaßliche Beteiligung an der Ermordung Rajiv Gandhis. Ein nach wie vor heikles Thema. Ob Anil Kapoor auch in der zweiten Staffel nicht davor zurückschreckt, solche Ereignisse zu thematisieren, wird sich zeigen. Er besitzt die Neuverfilmungsrechte für insgesamt 192 Folgen respektive acht Staffeln der Serie 24. Bleibt er seinem Konzept treu, ist anzunehmen, dass Jai Singh Rathod noch einige Jahre für spannende Fernsehunterhaltung sorgen wird - nur leider nicht bei uns.

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