Ich, Blutgericht in Texas & zeitloses Terrorkino

01.07.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
The Texas Chain Saw Massacre
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The Texas Chain Saw Massacre
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Seit 40 Jahren gibt es The Texas Chain Saw Massacre, bei uns bekannt als Blutgericht in Texas. Dieses Vorzeigebeispiel des Terrorkinos ist unvergessen, in seinem Genre unerreicht und hat einen fixen Platz in meinem Herz für Klassiker.

Die roten Hotpants feiern dieses Jahr nicht nur ihren 40. Geburtstag, auch kehrt im Sommer eine restaurierte Fassung in die amerikanischen Kinosäle zurück. Es ist wohl überflüssig zu betonen, wie überfällig es ist, die Freude über diese Tour de scie zu teilen und einen kurzen Moment der Erinnerung für The Texas Chain Saw Massacre aka Blutgericht in Texas zu reservieren.

Texas Chainsaw 3D – der neueste Film vom Kettensägen-Franchise war gleichzeitig mein erster, als er vor zwei Jahren bei einem kleinen Horror-Festival lief. Ehrlich gesagt amüsierte ich mich mit meinen Kino-Kollegen prächtig über die redundante Geschichte mit Good girl gone bad-Screamqueen und die dazwischengeschummelten Körperdurchtrennungen und Aufspieß-Partys des Maskierten. Jener Film jedoch, der am Anfang dieser Kultreihe steht, ist – bis auf die Kettensäge und ihrem Eigentümer – das genaue Gegenteil. Denn am Beginn dieser mittlerweile achtteiligen Serie steht eine legendäre Übung in Terror und Sägenschwingen. Der Franchise-Start ist atmosphärisch dicht, wunderbar gefilmt, gar nicht mal so blutig und er geht mir, seit ich ihn vor einigen Wochen das erste Mal sah, nicht aus dem Kopf.

Warum ich Blutgericht in Texas mein Herz schenke
The Texas Chain Saw Massacre könnte auf den ersten Blick tatsächlich verwechselt werden mit dem Schmarrn, der sich als seine Nachfolger und dutzenden Nachahmer schimpft. Gutaussehende, junge Menschen mit lockerer Attitüde und Spaß-Orientierung treffen im texanischen Hinterland auf wahnsinnige Mörder und werden nach der Reihe abgemurkst. Auch hier erfahren wir herzlich wenig über die Opfer, denn sie sind nur da, um uns den Terror, der von den eigentlichen Hauptdarstellern ausgeht, erfahrbar zu machen. Diese zurückgebliebene Familie foltert, mordet, ist der Inbegriff des Perversen und Widerwärtigen. The Texas Chain Saw Massacre geht hierbei satirisch vor, aber nicht komödiantisch. Morbide, aber nicht gewaltverherrlichend. Es ist ein Horrorfilm, aber kein Blutgericht. Aber sowohl der Orignaltitel als auch der deutsche Titel sind irreführend, denn beim Kettensägenmassaker handelt es sich beinahe ausschließlich um ein Nervenmassaker. Roger Ebert schrieb damals, dass der Film gut gespielt und sehr effektiv sei, jedoch ohne offensichtliche Absichten daher kommt und er nicht verstehe, wieso jemand einen solchen Film machen will. Und genau das ist der springende Punkt. Auf Gore wird weitestgehend verzichtet. Nicht die Kettensäge als Mordwerkzeug steht im Zentrum, sondern der Mann, der in seinem Tun beim Zuseher dieselbe hilflose Verzweiflung hervorruft wie ein unaufhaltsamer Joker, der die Welt einfach nur brennen sehen will. Unverständliche Gewalthandlungen aller Art spiegeln sich im Dröhnen der Kettensäge wider.

The Texas Chain Saw Massacre ist eben kein Teenie-Slasher, den wir uns ab und an gerne mit Freunden und Popcorn reinziehen, sondern ein Porträt des puren Wahnsinns (hier gelten sowohl der Mörder als auch letzten Endes das Final Girl), vorbildlich bebildert trotz äußerst dürftigem Budget und Technik, ersponnen und inszeniert vom damals 29-jährigen Tobe Hooper. Alles wird einer morbiden Atmosphäre untergeordnet sowie der Darstellung des Abartigen und Unangenehmen: Der Sturz des rollstuhlfahrenden Franklin, seine aggressiv schlechte Laune, wenn die anderen Spaß haben, der beengende Raum des Fahrzeugs, in dem der unberechenbare Anhalter ein Messer zückt – und die wirklich erdrückenden Szenen haben wir hier noch vor uns. Der Weg ist das Ziel, nicht der Mord das Highlight. Am Ende ist die Atmosphäre so dicht, dass der Sonnenaufgang, in den unser Final Girl hinausstolpert, auf die selbe Weise überfordert, als würden wir aus einem Albtraum aufwachen. Und der Mörder ist noch immer hinter uns her.

Warum auch andere Blutgericht in Texas lieben werden
Ein Film über degenerierte Sadisten sah nie schöner aus. The Texas Chain Saw Massacre ist eine meisterliche Aktion des irritierenden Terrors mit Bildern, die in ihrer Komposition immens befriedigen, aber nicht satt machen. Verstörendes, dennoch mit Liebe zusammengeschustertes Innendesign im Hause Leatherface, die abwechselnd unauffällig und pointiert ins Verderben folgende Kamera sowie der schwer erträgliche Soundtrack mit Gedröhn, Geschrei und Gegacker – zuerst von den übermütigen Hippies, dann beinahe unbemerkt von Leatherface selbst, als würde er Hühnchen fürs Abendessen rupfen. Mit einer Kettensäge. Der berühmte Sonnenaufgangs-Tanz am Ende, wenn Leatherface die Säge in den aggressiv roten Himmel schwingt, tut sein Übriges. Kameramann Daniel Pearl war 23 und kam frisch von der Filmschule, als er diese zeitlose Lens-Flare-Szenerie (weniger ist mehr, J.J.!) für die Ewigkeit einfing.

Warum Blutgericht in Texas die Jahrzehnte überdauern wird
The Texas Chain Saw Massacre ist bereits seit vier Jahrzehnten aktuell und kommt erneut in restaurierter Fassung ins Kino. Während dieser Fakt für sich und den Wert des Films als filmgeschichtliches Dokument spricht, war dieser oftmals als “erster Slasher” bezeichnete Horrorfilm in vielerlei Hinsicht visionär und wegweisend, definierte das Genre, gründete den Backwoods-Film und übt seit 40 Jahren starken Einfluss auf filmischen Horror aus. Leatherface bereitete den Weg für Michael Myers, Freddy Krueger, Jason Voorheers und all die anderen psychopathischen Masken-Fetischisten. Auch das im Genre seit vier Jahrzehnten fest verankerte Final Girl, das kurz daraufhin mit Halloweens Jamie Lee Curtis ihre bis heute berühmteste Vertreterin fand und in neueren Filmen wie The Cabin in the Woods gekonnt auf die Schippe genommen wird, haben wir dem Kettensägenmassaker zu verdanken. Und vergessen wir nicht Christoph Schlingensiefs politische Satire Das deutsche Kettensägenmassaker: “Sie kamen als Freunde und wurden zur Wurst.”

Tobe Hooper wollte mit dem finanziell überschaubaren Projekt The Texas Chain Saw Massacre ja eigentlich Hollywood von sich überzeugen, doch groß kam er dort abseits von Poltergeist nie raus. Vielleicht tröstet es ihn, dass die Idee des Kettensägenmassakers, welche er laut eigenen Angaben in einem weihnachtlich überfüllten Kaufhaus in der Sägenabteilung hatte, als er nach einem Weg suchte, schnellstmöglich das Gebäude zu verlassen, zum Kultfilm und einem Aushängeschild des atmosphärisch dichten Terrorfilms avancierte.

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