Ich, Der Prozess & die vermeintliche Unverfilmbarkeit

29.04.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Der Prozeß
Arthaus / Kinowelt
Der Prozeß
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Der Schwarz-Weiß-Film Der Prozess von Orson Welles ist eines der bekanntesten Werke des legendären Filmemachers. Als heutiger Anwalt der Kafka-Adaption plädiere ich dafür, dass nicht nur die Vorlage Pflicht im Deutsch-Unterricht sein sollte.

Auf Opern, Theaterstücke, Comics und auch Filmschaffende hatte der Der Prozess von Franz Kafka zweifelsohne inspirierenden Einfluss. Neben Kafka von Steven Soderbergh und Der Prozeß von David Hugh Jones ist die Interpretation Der Prozess von Orson Welles ein Fixpunkt unter den Kafka-Verfilmungen. Darin versucht der umtriebige Regisseur, den gleichnamigen und unvollendeten Roman auf die Leinwand zu transportieren und beweist, dass wir trotz des in vielerlei Hinsicht innovativen Klassikers Citizen Kane seinen anderen Werken ebenfalls Aufmerksamkeit schenken sollten. Neben Anthony Perkins als Josef K. sind Romy Schneider und Jeanne Moreau zu sehen. Orson Welles selbst spielt die Rolle des Rechtsanwalt Hastlers.

Warum ich Der Prozess mein Herz schenke
Meine erste Berührung mit Franz Kafka hatte ich, wer hätte es gedacht, in der Schule. Der Prozess war Pflichtlektüre für die letzte große Hürde, die auf dem Weg zur Hochschulreife bezwungen werden wollte. Zunächst gelangweilt von dem drögen Josef K. begann ich das fragmentarische Buch bei genauerer Lektüre zu mögen, was mich dazu veranlasste, auch andere Werke des Autoren in Angriff zu nehmen. Auf jeden Fall stoßen Filminteressierte irgendwann zwingend auf Orson Welles und schließlich auch auf Der Prozess. Ich begrüße es, wenn Regisseure Filme drehen, die nicht etwa die Ambition verfolgen, eine filmische Abbildung und spiegelbildliche Fassung des literarischen Stoffes zu realisieren. Denn die oftmals damit einhergehende Diskussion, ob es sich bei Film und Literatur um qualitativ gleichwertige Medien handelt, empfinde ich nicht als zielführend. Es sind eben zwei verschiedene Ausdrucksformen, die sich bestimmt gegenseitig beeinflusst haben, denen aber jeweils auch eigene Möglichkeiten zur Gestaltung einer Erzählung innewohnen und die demnach nur schwer vergleichbar sind.

Meiner Meinung nach ist der Film von Orson Welles vielmehr eine freie und gelungene Interpretation, weil er sich bei der Vorlage bedient und gleichzeitig eigene Ideen sinnvoll in die Geschichte einwebt. Die Darstellung von Anthony Perkins beispielsweise entspricht nicht der nüchternen Art des literarischen Josef K., sondern zeigt einen nervösen Mann, der von Beginn an mit seinem Schicksal hadert und an der übermächtigen bürokratischen Organisation sichtbar verzweifelt. Andererseits errichtet Orson Welles visuell eindrucksvoll ein verwinkeltes und undurchschaubares Gerichtsgebäude, welches zumindest meiner Vorstellung von einer kafkaesken Architektur nahekommt und somit starke Bezüge zu der Vorlage hat.

Warum auch andere Der Prozess lieben werden
Orson Welles sagte in einem Interview selbst, dass Der Prozess bis zum damaligen Zeitpunkt sein bester Film sei. Deshalb bin ich mir sicher, dass diejenigen, die andere Werke des Regisseurs bewundern (und davon gibt es ja nicht wenige), auch Der Prozess in ihr Herz schließen werden. Nicht nur Adorno-Jünger entdecken in dem Film eine expressionistische Veranschaulichung der “verwalteten Welt”, eine albtraumhafte Bürokratie, die undurchschaubar sowie anonym einen unausweichlichen Zwang ausübt und sich dabei nicht um das konkrete Individuum schert. Diese Wirkung wird vor allem von den Schauplätzen getragen, die die Größe der anklagenden Organisation verdeutlichen und Josef K.s Hilflosigkeit physisch verbildlichen. Dazu lieferte unter anderem der damals leerstehende Bahnhof Gare d´Orsay, in dessen Räumlichkeiten sich seit 1977 das berühmte Pariser Musée d’Orsay befindet, die perfekte Kulisse: Selten war ein Verwaltungsapparat aus der ästhetischen Perspektive betrachtet so reizvoll.

Warum Der Prozess die Jahrzehnte überdauern wird
Orson Welles und Franz Kafka sind Künstler, die mit ihrem Œuvre wahrscheinlich nicht nur für die nächsten Jahrzehnte in der Geschichte ihres jeweiligen Metiers große Spuren hinterlassen haben. Einen Schnittpunkt zwischen ihnen stellt Der Prozess dar. Allgemein ist der Film ein Beitrag zur Diskussion über Literaturverfilmungen und im Besonderen eine filmische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Individuum und Institution. Aus diesen Gründen müssen sich die kommenden Kafka-Umsetzungen an der hier besprochenen Interpretation messen lassen und ich hoffe, dass auch in Zukunft Der Prozess von Orson Welles viele Schüler im Deutsch-Unterricht erfreuen und für Abwechslung in den Klassenzimmern sorgen wird.

Was haltet ihr von Der Prozess von Orson Welles?

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