Ich, Fulcis Zombies aus der Hölle & Über dem Jenseits

11.08.2015 - 10:10 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
The Beyondmoviepilot/ASTRO
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Lucio Fulci hat sich in den verschiedensten Genres versucht, doch mit keinem wird der Italiener so assoziiert wie mit dem Horrorfilm. Einer seiner besten Beiträge ist Über dem Jenseits aus dem Jahr 1981.

Solltet ihr jemals ein Haus in Louisiana erben, das mit einem weitläufigen Keller beworben wird, dann nehmt gefälligst Reißaus. Nicht nur weil Über dem Jenseits (1981) von Lucio Fulci uns lehrt, dass sich darin eines der sieben Tore zur Hölle befinden kann. Sunnydale lässt grüßen. Die New Yorkerin Liza (Catriona MacColl) hätte bereits beim zusätzlichen Abstellraum stutzig werden müssen. Der Grundwasserspiegel des US-Bundesstaats würde nämlich jeden Keller in eine private Schwimmhalle verwandeln. Ob dies dem Regisseur und seinen Autoren Giorgio Mariuzzo und Dardano Sacchetti klar war, als sie Fulcis vielleicht besten (mindestens drittbester!) Film entwarfen, spielt im Grunde keine Rolle. The Beyond (so der internationale Titel) bezieht einen Großteil seines kaum zu bemessenden Charmes aus Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten. Dabei bietet das Mittelstück von Fulcis loser, aber treffend betitelter "Tore zur Hölle"-Trilogie mehr als nur einen wie auch immer gearteten "trashigen Spaß". Eine Distanz dieser Art ist Fulcis Sache nicht. Wegen seines losen Plots und der widerlich schönen, handgemachten Gore-Eskapaden erweist sich Über dem Jenseits nach mehreren Sichtungen als kunstvoller Genrebeitrag, der die beiden Fulci-Rahmungen Ein Zombie hing am Glockenseil (1980) und Das Haus an der Friedhofsmauer (1981) hinter sich lässt.

Warum ich Über dem Jenseits mein Herz schenke

Eine der besten Szenen aus Über dem Jenseits spielt sich in einem an Ikea-Ausstellungsräume erinnernden Krankenhaus ab. Ein Mädchen namens Jill, deren Darstellerin Maria Pia Marsala ohne weiteres als Pippi Langstrumpf-Doppelgängerin brillieren könnte, wartet im Flur, während ihre Mutter den Leichnam ihres soeben mysteriös und sehr eklig verstorbenen Ehemanns begutachtet. Es ist eine einschüchternde Szenerie, auch weil das klinisch weiß dekorierte Krankenhaus wirkt, als hätte jemand alle Menschlichkeit und Wärme wie einen Keim ausgemerzt. Ein Bett wird durch den Gang gerollt, es quietscht nervtötend, der Ton scheint sich regelrecht in den Kopf des überforderten Mädchens zu bohren, das von den tragischen Ereignissen auch auditiv erdrückt wird. Sie rennt zu ihrer Mutter in den futuristisch kalten Obduktionssaal. Doch als eine Kanne voller Säure vom Schrank kippt, muss sie auch noch mitansehen, wie ihrem verbliebenen Elternteil das Gesicht wegschmilzt. Und Fulci hält drauf. Es schmilzt und schmilzt, bis der schleimige rote Matsch mütterlicher Epidermis auf Jills Füße zufließt.

Das Draufhalten, das visuelle Ausweiden der Gore-Effekte bis zum letzten Tropfen ist eines der Markenzeichen des 1996 verstorbenen Italieners. Das Tolle an Fulci-Filmen und insbesondere seinen besten wie Django - Sein Gesangbuch war der Colt, A Lizard in a Woman's Skin, Don't Torture a Duckling, Woodoo - Die Schreckensinsel der Zombies und Über dem Jenseits bleibt, wie er die eigentlich schamlosen Exploitation-Szenen mit Momenten tiefster wie ehrlichster seelischer Verstörung kombiniert. Jill und andere Figuren werden in Über dem Jenseits selten traditionell charakterisiert, sie existieren in erster Linie, um spärlich miteinander verbundene Einzelszenen zu rechtfertigen. In diesen Sekunden im Gang findet Fulci trotzdem mehr puren Schmerz als in einem augenscheinlichen Zombie-Schlachtfest zu vermuten wäre.

Warum auch andere Über dem Jenseits lieben werden

Von den feuchten Träumen der Gore-Liebhaber da draußen abgesehen, nimmt Fulci den Plot um Zombies, die aus dem Tor zur Hölle kriechen, zum Anlass, um uns in eine grauenhaft schöne Traumwelt zu entführen. Das "Jenseits" des Titels bekommen wir im Laufe des Films zwar noch zu sehen. Sobald Liza in Louisiana ankommt, lässt sich jedoch der Eindruck nicht abschütteln, dass es gar keines Tores zur Unterwelt bedarf. Niemand scheint sich so recht über die vielen Todesfälle in dem renovierungsbedürftigen Hotel zu wundern, und als Liza auf einem Highway im aquamarinen Nirgendwo eine blinde Frau mit einem Schäferhund erspäht, lässt sich die surreale Gelegenheitsbekanntschaft als weitere kauzige Eigenheit dieser seltsamen Gegend in den bekanntermaßen seltsamen Südstaaten der USA abtun. Natürlich spielt das Drehbuch im Folgenden mit der Frage, ob besagte Seherin tatsächlich existiert oder nur ein von der Nähe zum Höllentor produziertes Hirngespinst der Zugezogenen ist. Aber irgendwann scheint der Film daran selbst das Interesse zu verlieren und wir mit ihm. Logik spielt in Träumen eine ebenso kleine Rolle wie im Louisiana made by Fulci. Was dem Ganzen eine wunderbare Unvorhersehbarkeit verleiht, die Fulci in Zusammenarbeit mit seinem damaligen Stammkameramann Sergio Salvati in aufreibenden Zombie- und Schäferhund-Horror übersetzt.

Warum Über dem Jenseits die Jahrzehnte überdauern wird

Der amerikanische Süden hat schon so manchen Großstädter von der Ostküste in den (filmischen) Wahnsinn getrieben und bis zu einem gewissen Grad folgt Fulci diesem Klischee. Immerhin führt uns ein Prolog ins Jahr 1927, als ein Maler mit Visionen vom Tor zur Hölle von den Einwohnern bei lebendigem Leib an die Wand genagelt wird. Nicht nur wird die okkulte Tradition der Gegend aufgenommen, sondern auch ihre bis ins 20. Jahrhundert reichende Geschichte der Lynchjustiz mit den Hexenprozessen früherer Jahrhunderte verschmolzen (hier schmilzt sehr viel). Fulci, der in Filmen wie Don't Torture a Duckling durchaus zum sozialkritischen Kommentar neigt, hat mit Über dem Jenseits keinen Zombiefilm über Amerika gedreht, wie George A. Romero es getan hat. Vielmehr wirkt sein Abstecher nach Louisiana im besten Sinne zeitlos, wie es das Reich der Toten nun einmal ist. Zwischen den diversen verkommenen Schauplätzen seiner Filmografie, die, von der Zivilisation abgeschottet, zur Brutstätte der Gewalt werden, wohnt dem Haus über dem Jenseits zudem eine gewisse Schönheit inne. Die Salvatis Kamera im Übrigen mehrmals - zackigen, linkshändigen Messerschlitzern gleich - durchfährt. Ruhe und Gleichgewicht setzen sich im Grunde erst mit der Aussicht auf die Zombie-Apokalypse durch. Sie gipfelt im wohl schönsten (mindestens drittschönsten!) Abschlussbild von Fulcis Filmografie.

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