Ich, Grim Fandango & die Liebe unter Toten

17.02.2015 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Liebe? Liebe ist für die Lebenden.
Double Fine
Liebe? Liebe ist für die Lebenden.
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Grim Fandango ist in doppelter Hinsicht der Tod des klassischen Adventures. Warum Tim Schafers Werk trotzdem voller Leben steckt und ich mein Herz jederzeit dafür hergeben würde, erfahrt ihr hier.

Ah, das Reich der Toten, was habe ich dich und deine Bewohner vermisst. Jeder Fan des Genres hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein Lieblings-Lucas-Arts-Adventure. Durch die kürzlich veröffentlichte Remastered-Version habe ich mich endlich wieder auf die vier Jahre umspannende Reise voller Korruption und Absurditäten begeben und festgestellt, dass Grim Fandango  immer noch meins ist.

In Grim Fandango übernehme ich die Rolle von Manuel "Manny" Calavera, seines Zeichens Reiseberater für das Department Of Death. Hier empfängt er die kürzlich Verstorbenen und schickt sie auf ihre letzte Reise in das Reich der ewigen Ruhe. Was dort auf einen wartet, kann niemand so genau sagen. War man ein guter Mensch, darf man den Nummer 9 Zug nehmen, der für die Strecke nur vier Minuten braucht, ansonsten dauert die Reise vier Jahre. Manny selbst muss erst seine zu Lebzeiten entstandenen Schulden abarbeiten, bevor er sich auf den Weg begeben darf.

Als schließlich die vorbildliche und von Grund auf gute Mercedes "Meche" Colomar laut Computer keinen Anspruch auf ein Nummer 9 Ticket hat, kommt Manny nach und nach einem Komplott auf die Schliche. Meche, die mittlerweile zu Fuß die lange Reise angetreten hat, lässt ihn dabei nicht mehr los, da sie irgendetwas in seinem nicht mehr vorhandenen Herzen ausgelöst hat. So bricht er schließlich in Begleitung des Mechaniker-Dämons Glottis selbst auf, um die Sache ins Reine zu bringen.

Am Tag der Toten beginnt die Reise

R.I.P. Lucas-Arts-Adventures

In vielerlei Hinsicht war Tim Schafers letztes Adventure für Lucas Arts auch der Sargnagel für deren klassische Adventures. Die SCUMM-Engine war Geschichte, 3D schon seit Jahren als neuer Standard etabliert. Zum Zeitpunkt des ursprünglichen Releases im Jahr 1998 gab es als Folge auch keine Point-and-Click-Steuerung mehr, Manny muss mit Tastatur oder Gamepad gesteuert werden und auch wirklich komplexe Rätsel suche ich vergebens. Ich kann keine Gegenstände kombinieren und auch die ehemals umfangreichen Interaktionsmöglichkeiten beschränken sich in Grim Fandango lediglich auf die Multibefehle Anschauen und Benutzen. Diese Entschlackung und Simplifizierung stieß vielen Adventure-Puristen sauer auf und obwohl das Spiel laut Tim Schafer als profitabel galt, blieben die Verkäufe weit hinter den Erwartungen zurück. Lucas Arts zog Konsequenzen und kehrte bis auf das bereits weit fortgeschrittene Flucht von Monkey Island  dem Adventure-Genre für immer den Rücken zu.

Der Beginn von Jahr 3

Gameplay versus Atmosphäre

Was macht Grim Fandango also für mich zu einem Klassiker, dem ich immer wieder gerne einen Besuch abstatte? Das Rätseldesign ist tatsächlich bei Weitem nicht der Höhepunkt im Lucas-Arts-Kosmos. Beim ersten Spielen sind die Knobeleien teilweise zu absurd, doch habe ich sie dann einmal durchschaut, kann ich sie immer wieder lösen.

Ungeschlagen ist Tim Schafers Adventure allerdings in seiner unglaublich dichten Atmosphäre, gepaart mit einer Spielwelt, die ihresgleichen sucht. Grim Fandango gelingt dabei das Kunststück einer perfekten Mischung aus Melancholie und Heiterkeit. Nahezu alle Charaktere, die im Reich der Toten verweilen, sind schwermütig, unglücklich verliebt oder suchen schlicht einen Sinn im Leben nach dem Tod. Das heißt nicht, dass sie ständig Trübsal blasen, denn der allgemeine Tenor ist adventuretypisch eher amüsant.

Ich bin niemand, der bei Dialogen laut loslachen muss, aber Grim Fandango zauberte nicht nur einmal ein genauso breites Grinsen wie das von Manny auf mein Gesicht. Außerdem ist es eines jener Spiele, bei dem ich eine Lanze für die deutsche Synchronisation brechen muss. Von ein paar zu aufdringlich abgemischten Stimmen abgesehen, macht grade Tommi Piper (unter anderem bekannt als deutsche Stimme von Alf) als Manny Calavera eine hervorragende Figur und ist für mich unzertrennlich mit jener Figur verbunden.

In der vierjährigen Geschichte entwickeln sich die Charaktere stets weiter, was sie ironischerweise so lebendig macht. Neben Glottis und Manny, die im Verlauf zu innigen Freunden werden, treffe ich auch die kleinsten Nebencharaktere nach ein paar Jahren wieder und sehe, was aus ihnen geworden ist. Am Ende bekommt jeder, was er verdient und der Abspann lässt mich jedes Mal zufrieden zurück. Auf dem Weg dorthin gibt es zahlreiche Anspielungen auf Klassiker aus Film und Literatur, vor allem aus dem Film-Noir-Genre. Ob Tote schlafen fest, Der dritte Mann und allen voran Casablanca mit Manny selbst als hispanischem Humphrey Bogart und natürlich darf auch der Peter Lorre Charakter in Form von Chowchilla Charlie nicht fehlen.

Play it again, Glottis

Zeitloses Art Design

Die Beziehung zwischen Manny und Meche ist nie aufdringlich oder gar kitschig erzählt. Manny ist in all den Jahren wie besessen von dem Gedanken, Meche zu helfen und realisiert erst zum Schluss, dass diese Besessenheit eventuell mehr bedeuten könnte. Bevor es soweit ist, geht es einmal bis an das Ende der Welt und zurück. Von all den Schauplätzen, die dabei besucht werden, ist die Hafenstadt Rubacava, in der Manny in seinem zweiten Jahr verweilt und ganz nebenbei ein Casino eröffnet, der beeindruckendste. Rauchige Kneipen, rostige Docks und die ewige Nacht – hier wird ganz klar eine weitere große Stärke von Grim Fandango deutlich: Das Art-Design. Die wilde Mischung aus mexikanischem Tag der Toten mitsamt Calaca-Protagonisten, Art déco und Film-Noir trifft bei mir genau ins Schwarze und macht das Jenseits zu einem Ort voller wunderschöner Sünden.

Stilistisches Highlight: Die Hafenstadt Rubacava

Grim Fandango ereilt das gleiche Schicksal wie so viele Adventures: Die Unfähigkeit, Spielen des Genres über die Jahre neue Impulse zu verleihen, macht sie heutzutage immer noch so gut spielbar. Sie existieren in ihrer eigenen, zeitlosen Blase des Stillstands. Hier finde ich keine Innovationen, sondern einfach eine gut erzählte Geschichte, bei der die Rätsel eher Mittel zum Zweck sind. Abgerundet wird das Ganze von einem der besten Soundtracks der Spielgeschichte, komponiert von Peter McConnell. Mal jazzig, mal folkig und immer passend. Hört und weint:

Für alle, die Grim Fandango einmal ausprobieren wollten, ist jetzt der ideale Zeitpunkt. Mit der Remastered-Version von Double Fine bekommt ihr für wenig Geld eines der besten Adventures aller Zeiten, das seiner Zeit nicht voraus war, sondern einfach zeitlos ist.

Keiner kann sagen, was am Ende des Weges auf einen wartet. Also, warum genießt du nicht einfach die Reise?

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