Ist der Regisseur bei Serien überhaupt wichtig?

05.05.2017 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Dreharbeiten zu Game of ThronesHBO
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Wenn ein Regisseur einen Film dreht, besteht kein Zweifel an seinem kreativen Einfluss. Doch wie sieht es im Fall einer einzelnen Serien-Episode aus? Wie wichtig ist der Regisseur im Entstehungsprozess einer Serie?

Wenn Christopher Nolan einen neuen Film ins Kino bringt, dann sind die fertigen zweieinhalb Stunden bis in alle Ewigkeiten mit seinem Namen verknüpft und werden unter Umständen sogar ausschließlich mit diesem beworben. Ja, wenn Christopher Nolan einen neuen Film macht, dann sorgt das für Schlagzeilen, obwohl er selbst kein einziges Mal im fertigen Produkt zu sehen ist. Als Regisseur bewegt er sich nicht vor der Kamera, sondern sorgt dafür, dass dahinter die richtigen Anweisungen gegeben werden. Dennoch ist der Film - sei es Inception, Interstellar oder aktuell Dunkirk - so felsenfest mit seiner Person verknüpft, dass nicht einmal Leonardo DiCaprio, Matthew McConaughey oder Tom Hardy ihm seine Nennung in großen Lettern auf dem Poster streitig machen können. Fürs Kino werden Filme von Regisseuren inszeniert. Doch wie sieht das eigentlich im Fernsehen aus?

Während es für den geneigten Cineasten ein Leichtes ist, die Regisseure seiner meist erwarteten Filme des Jahre zu benennen, sieht es bei Serien ganz anders aus. Neue Staffeln von Better Call Saul, Fargo und Game of Thrones werden zwar sehnsüchtig erwartet, allerdings nur in den seltensten Fällen in Verbindung mit einem Regisseur. Stattdessen haben Serienschöpfer und Showrunner das Sagen. Vince Gilligan, Noah Hawley sowie D.B. Weiss und David Benioff sind hier die tonangebenden Namen, die (fast) jeder kennt und in die jeder vertraut. Sie sind die Stars der Serienlandschaft, die eine neue Serie mit der gleichen Aufmerksamkeit ankündigen können wie Christopher Nolan sein nächstes Filmprojekt. Am Ende des Tages muss trotzdem irgendjemand die einzelnen Episoden einer Serie inszenieren, die Frage ist nur, wie wichtig der- oder diejenige ist.

Um diese Frage zu beantworten, schauen wir uns erst einmal den groben Entstehungsprozess einer Serie (in den USA) an, egal ob Drama oder Comedy. Zuerst existiert eine Idee, die in Form eines ersten Scripts einem Network gepitched wird und dann je nach Zuspruch eine Pilot- oder gleich eine Staffelbestellung erhält. Daraufhin übernimmt ein Showrunner die kreative Verantwortung hinsichtlich der nachfolgenden Entwicklungen. Aber Achtung: Showrunner ist nicht gleich Serienschöpfer und erst recht nicht Regisseur, selbst wenn sich die drei Positionen durchaus in einer Person vereinen können. Im Anschluss werden im sogenannten Writers' Room die Drehbücher für eine gesamte Staffel geschrieben, ehe der Regisseur zum ersten Mal das Feld betritt. Sobald die Drehbücher für alle Episoden fertig sind, macht sich der Regisseur zusammen mit dem Kameramann an die Arbeit und denkt über die Inszenierung nach.

Dreharbeiten zu Breaking Bad

In der Zwischenzeit findet ein Table Read mit dem Ensemble statt und das Art Department macht sich Gedanken um die Ausstattung, bis endlich die erste Klappe fällt und in kürzester Zeit eine halbstündige (Comedy) bis einstündige (Drama) Episode gedreht wird. Danach beginnt die Postproduktion und der Cutter erstellt eine erste Schnittfassung der Episode, die später noch einmal vom Regisseur, dann vom Showrunner und dann von den Produzenten überarbeitet wird, bevor der Sender das letzte Wort hat und die Episode im Idealfall ausstrahlt. Der Zeitplan ist dabei extrem straff - mitunter kann es vorkommen, dass eine neue Episode erst wenige Stunden vor Erstausstrahlung fertig wird. Dieses Prozedere kann sich natürlich von Produktion zu Produktion unterschieden. Dennoch fällt auf: Der Regisseur ist hier nur eines von vielen kleinen Zahnrädern.

Damit ist eine der wichtigsten Aufgaben des Regisseurs bei der Entstehung einer Serie aber schon angedeutet: Er muss zuverlässig gute Arbeit abliefern und sich dem größeren Bild unterordnen. Während Christopher Nolan einen Kinofilm dreht, muss am Ende der gleichen Zeit im Serienjahr eine neue Staffel entstanden sei, die je nach Format bis zu 24 oder mehr Episoden umfassen kann. Selbstverständlich bestätigt auch hier die Ausnahme die Regel, bei den meisten Serien nimmt der Regisseur aber nur eine von unheimlich vielen Rollen ein, die perfekt aufeinander abgestimmt funktionieren müssen. Unwichtig ist er trotzdem - oder besser: gerade deswegen - auf keinen Fall. Nicht zuletzt erfüllt er konkrete Vorgaben, für die ansonsten kein Crew-Mitglied verantwortlich ist, und muss seine persönliche Vision für gewöhnlich in Einklang mit der Serie bringen.

Der Regisseur einer Serien-Episode könnte dementsprechend als das umschrieben werden, was im Kino als Regie-Handwerker bezeichnet wird, aber Vorsicht: Hierbei handelt es sich keineswegs um das herabstufende Gegenteil eines Auteurs, der in vorrangig daran interessiert ist, seine eigene Vision durchzusetzen. Vielmehr sind Serienregisseure nur sehr gut an einen bestimmten Produktionsprozess angepasst, können in diesem Rahmen aber immer noch eigene Ideen umsetzen - nur eben im Hinblick darauf, dass eine einzelne Episode sich womöglich noch viele Jahre später in Harmonie mit dem Rest der Serie befinden muss. Wenngleich sich die Sender bei Pilot-Episode gerne bekannte Filmregisseure schnappen, beginnt die wahre Herausforderung erst danach im Fortgang der Serie und ein eingespieltes Team ist wichtiger als große Namen. Immerhin fangen dann erst die meisten Serien an, ihren eigenen Tonfall zu entwickeln. So kann ein Regisseur, der bereits vertraut mit der Produktion ist, gerne mehr Episoden pro Staffel/Serien drehen.

Dreharbeiten zu The Walking Dead

Umfangreichere Serien wie zum Beispiel The Walking Dead haben sich im Lauf der Jahre geradezu eine kleine Familie an kreativen Köpfen aufgebaut, die regelmäßig rotierend auf dem Regiestuhl Platz nehmen und darüber hinaus abwechselnd in anderen Positionen tätig sind. Greg Nicotero stammt etwa aus dem Make-up Departement, fungiert aber mittlerweile ebenso als Regisseur sowie Produzent und gehört darüber hinaus zu den tonangebenden Mitstreitern der Verfilmung von Robert Kirkmans gleichnamiger Comic-Vorlage. Ein Serienregisseur kann also doch Akzente setzen - selbst wenn er nicht so offensichtlich zu erkennen ist wie seine Kollegen auf der großen Leinwand. Ein weiteres Beispiel aus der The Walking Dead-Ecke wäre Michelle MacLaren, die sich vor allem durch ihre Arbeit an Breaking Bad in den vergangenen Jahren zu einer der vielversprechendsten Regisseurinnen unserer Zeit mauserte und zuletzt sogar für Blockbuster wie Wonder Woman im Gespräch war.

Generell machen wir im Zeitalter der Franchises eine interessante Beobachtung in Hollywood, denn bei einer 150-Millionen-Dollar-Produktion wünschen sich Studio und Produzenten nichts mehr als einen zuverlässigen Regisseur, der ordentliche Arbeit abliefert, ohne den Überblick zu verlieren. So haben etwa Joe Russo und Anthony Russo, die zuvor einige Episoden von Community und Arrested Development inszeniert haben, mit Captain America 2: The Return of the First Avenger und The First Avenger: Civil War zwei der größten Blockbuster der letzten Jahre umgesetzt und drohen selbst im Angesicht von The Avengers 3: Infinity War nicht die Kontrolle zu verlieren. Zwar müssen sich Marvel-Regisseure aktuell immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, sie seien lediglich ausgewählt, wie sie sich formen und dem House Style anpassen lassen. Höchstwahrscheinlich nehmen sie ihre Arbeit aber ganz anders wahr, indem sie sich anstelle einer Network-Serie nun in die umfangreichste Kino-Serie unserer Zeit hineindenken.

Regisseure bei Serien sind folglich alles andere als austauschbar und unwichtig und erfüllen genauso wie ihre Filmkollegen die höchsten Ansprüche der Industrie. Sie sind ein essentieller Bestandteil im Entstehungsprozess, bei dem sie eine verantwortungsvolle Rolle einnehmen, ohne die der nächste Schritt nicht möglich ist. Trotzdem werden sie deutlich weniger wahrgenommen, weil wir mit einem Regisseur in erster Linie jemanden verbinden, der sich maßgeblich an der Realisierung eines Films beteiligt ist, wenngleich er ohne den Rest der Crew gewaltig aufgeschmissen ist. Zwar gibt es dennoch Regisseure, die alles im Alleingang erledigen. Ab einem gewissen Level ist das aber nicht mehr möglich (oder Luxus) und so reiht sich der Regisseur bei Serien lediglich eine Spur unscheinbarer in das große Gemälde, das zum Schluss der Produktion übrig bleibt.

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