Malcolm mittendrin und die absurde Freude an der familiären Dysfunktion

11.08.2016 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Malcolm mittendrinFox
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Die Comedy-Serie Malcolm mittendrin ist pure Anarchie. Nicht nur schafft sie es, eine dysfunktionale Familie als Riesengaudi zu inszenieren, sondern auch, durch clevere Skripts und den Einsatz absurden Eigensinns gängige Klischees zu torpedieren.

Was ist Malcolm mittendrin? Die Comedy-Serie, die in 7 Staffeln und 151 Episoden von einer Familie aus der unteren Mittelschicht erzählte, ist vieles. Sie ist die Zelebrierung einer dysfunktionalen Familie, absurd, grausam, überzeichnet und von einer Komik getrieben, die als stetiger Motor fungiert, wo andere Serien schon nach wenigen Minuten in den Leerlauf schalten und die rasch etablierte Gag-Struktur ohne Varianz durch unzählige Staffeln schleppen. Malcolm mittendrin ist pure in Serienform gegossene Anarchie, unberechenbar, aufrichtig und mit großem Herz geschaffen. Mein Herz für Serie geht an die erschreckendste und zugleich liebenswerteste Familie im Fernsehen.

Von Grausamkeiten, Egos und der Freude am Chaos

Möglicherweise soll diese Familie gar nicht existieren. Möglicherweise hat sie noch nicht einmal einen Namen. Es gibt Indizien, sie hieße Wilkerson. An anderer Stelle sieht man auf einem Namensschild "Nolastname" ("Keinnachname"). Als würde Serienschöpfer Linwood Boomer explizieren wollen, es handle sich nur um eine fiktive Familie, die es in dieser Form hoffentlich nicht wirklich in irgendeinem amerikanischen Vorort gibt. Denn das, was er und sein Team über Jahre mit Malcolm mittendrin auf die heimischen Bildschirme projizierte, war ein chaotischer Fiebertraum an Garstigkeiten.

Was hecken sie nur wieder aus? Malcolm, Reese und Dewey

Das zu Anfang aus vier Jungen bestehende Brudergespann aus dem titelgebenden hochbegabten Malcolm (Frankie Muniz), dem dümmlichen Rüpel Reese (Justin Berfield), dem in seiner eigenen Welt lebenden Dewey (Erik Per Sullivan) und Francis (Christopher Masterson), der einen Großteil der Serie aber räumlich von seiner Familie getrennt ist, bildet die Richtschnur. Wenn sie sich nicht prügeln, denken sie sich andere Gemeinheiten aus, um den jeweils anderen in einen Unvorteil zu manövrieren. Sie sind kleine Egozentriker und unheimlich liebenswürdig. Die Serie begeht diesen Spagat konstant, indem sie ihre Figuren brutal überzeichnet und sie in die Nähe von geradezu karikativen Cartoon-Figuren rückt. Doch überspannt sie den Bogen nie. Diese Nähe treibt bereits die Kinder- bzw. Jugenddarsteller zu Leistungen, die im Chaos der bunten Ereignisse zur vollen Geltung kommen.

Der gemeinsame Klassenfeind: die Eltern

Im wahrsten Sinne des Wortes verbrüdern sie sich in Malcolm mittendrin bestenfalls, um Pläne gegen die Eltern zu schmieden, wenn sie ihnen wieder einmal verbieten, auf ein angesagtes Event zu gehen oder überhaupt Spaß zu haben. Mit diktatorischer Strenge agiert dabei vor allem Mutter Lois (Jane Kaczmarek), die den wundervollen Inbegriff eines durchsetzungsstarken Familienoberhaupts verkörpert. Sie schreit und wütet mit einer Inbrunst, die in einer Folge mit einer Hommage an eine japanische Riesenechse ihre entgleiste, liebevolle Erhöhung findet. Die von Sohn Dewey in einer Episode erbaute Legostadt wird zum Schauplatz einer Zerstörungsorgie, als Lois stolpert und für die nächsten Sekunden, unter Einsatz von Zeitlupe, mit monsterartigem Geschrei durch die Kulisse stapft. Wie im Vorbild Godzilla entzündet ihr Getrampel sogar die ein oder andere "Explosion".

Es könnte harmonisch sein: Vater und Söhne vereint. Wäre aber langweilig, nicht?

Vater Hal (Bryan Cranston) dagegen ist der schrullige Gegenpol zur "Führerin". Ein Unterdrückter, der immer mal wieder Hobbys findet, denen er dann mit großem Eifer nachgeht und geradezu mit ihnen verschmilzt. Unvergessen etwa seine temporäre Leidenschaft fürs kunstvolles Inline-Skaten inklusive perfekt einstudierter Choreografie unter dem Einsatz eines trashigen 90er-Hits. Zum absurden Pathos erhoben schließlich durch den Auftritt in dunkelblauem Glitzerkostüm zu den Klängen von Queens We are the Champions. Seine unaufrichtigen Versuche, gegenüber seinen Kindern Autorität zu zeigen, werden meist von Frau Lois initiiert. Der Vater, der selbst vielmehr Kind ist, ist schon mal derjenige, der den den epischen Kampf mit einer Biene während der Autofahrt aufnimmt.

Eigensinn ist Trumpf

Das farbenprächtige Figurenkabinett von Malcolm mittendrin, zu denen auch eine Riege urkomischer Nebencharaktere gehört, wie der in Lois verliebte Kollege Craig (David Anthony Higgins) mit übertriebener Fürsorglichkeit für seinen Kater, Malcolms an den Rollstuhl gefesselter und unter Asthma leidender bester Freund Stevie (Craig Lamar Traylor) sowie Lois' rassistische Mutter (Cloris Leachman), die nach eigener Aussage als Kind nur ein Stück Holz zum Spielen hatte, ist das Realserien-Äquivalent zu Matt Groenings Die Simpsons. Dieses Sammelsurium ist das mächtige Vehikel der zahlreichen Sketch-Ideen. Die Serie versteht es virtuos, in ihrem grundlegenden Aufbau fortwährend zu überraschen und das Vakuum, das in Mustern allzu bekannter Konventionen entsteht, mit ihrem Eigensinn zu füllen.

Den Ereignissen hängt ein unberechenbares Spannungselement an. Durch den Umstand, dass in der Überzeichnung quasi alles jederzeit und überall möglich ist, kann sich der Zuschauer nie sicher sein, in welche Abstrusität die vorliegende Situation wohl münden wird. Die Serienschreiber spielen mit den Erwartungen der Zuschauer (auch im Hinblick auf bekannte Gag-Strukturen) und unterwandern diese, indem sie die Cartoon-haftigkeit der Figuren und Ereignisse nutzen, um sie von herkömmlichen Dialogen und Szenenauflösungen zu trennen. Verstärkt wird dieses Momentum anhand einer Figurenambivalenz, die sich keiner Hausfrauenpsychologisierung hingibt, sondern archetypische Charakteristika gegenüberstellt und Skurrilitäten feiert. An zusätzlicher Lebendigkeit gewinnt die Serie zudem durch popkulturelle Referenzen, die den Zeitgeist der 90er greifbar entfesseln.

Kein Raben-, sondern Bienenvater: Hal

So ergibt sich in der Gesamtheit von Malcolm mittendrin eine Wundertüte voller Überraschungen und wahrhaftiger Wunder. Denn die Serie hat es geschafft, mich in keiner einzigen Sekunde zu langweiligen. Trotz meiner ständigen Sichtungen, die irgendwann in exzessives Wiederholen ausarteten, wurde ich des Formats nie überdrüssig. Ich liebe die Serie für ihre absurde Konsequenz, die auch eine allzu weichspülende zwischenmenschliche Emotionalisierung nicht zulässt. Sie wäre auch ein Stich ins komische Herz. Zwar mögen sich alle Figuren insgeheim doch (irgendwie), aber ihre Dysfunktionalität thront strengen, schönen Auges über allem.

Seid ihr mittendrin?

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