Mein Regie-Liebling - Michael Haneke

27.12.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Michael Haneke
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Michael Haneke
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Mit seinem Drama Liebe hat der Regisseur Michael Haneke seinem Oeuvre nicht nur ein weiteres Meisterwerk hinzugefügt, sondern sich auch im Alter noch weiterentwickelt. Der manchmal etwas sperrige Filmkünstler ist mein Regisseur des Jahres 2012.

In diesem Jahr gewann der österreichische Filmemacher Michael Haneke für sein berührendes Drama Liebe völlig zurecht in Cannes die Goldene Palme. Es war für ihn der zweite Erfolg in Folge, nachdem Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte, seine Studie über eine Kindheit im Norddeutschland des frühen 20. Jahrhunderts, vor zwei Jahren ebenfalls mit dem Hauptpreis des Filmfestivals geehrt wurde. In Frankreich ist Michael Haneke ein gefeierter Star, was vielleicht auch daran liegen mag, dass dort ein Autorenfilmer an sich als Künstler einen viel höheren Stellenwert besitzt als beispielsweise bei uns in Deutschland. Ein sogenannter Auteur ist Michael Haneke durch und durch, verfilmt er doch fast ausschließlich seine eigenen Drehbücher ohne jegliche Zugeständnisse an den Mainstream oder das Unterhaltungskino.

Michael Hanekes Filme sind präzise gezeichnete Kunstwerke, die ihre eigene, bisweilen kalte Sprache sprechen und wenn es ihr jeweiliges Thema erforderlich macht, den Zuschauer auch quälen können. Nach seiner extremen Darstellung von Gewalt als nicht konsumierbarer Akt des Schreckens in Funny Games haftete dem Regisseur und Autor der Ruf des Provokateurs an, der seinem Gesamtwerk jedoch in keinerlei Weise gerecht wird. Wie Michael Haneke in einem an die Premiere von Liebe anschließendem Gespräch an der Berliner Akademie der Künste selbst sagte, sei Funny Games das einzige Mal gewesen, in dem er wirklich auf eine Provokation hinaus wollte. Der Zuschauer sollte den extremen Schmerz, den zwei Eindringlinge einer Familie zufügen, als absolut unerträglich empfinden und so über den alltäglichen Gewaltkonsum auf der Leinwand oder vor dem Fernseher nachdenken.

Während ihm meiner Meinung nach die groteske Gewaltstudie Funny Games mit den Tätern, die eine Komödie spielen und den Opfern, die in einem Drama gefangen sind, letztendlich eine Spur zu schablonenhaft geraten ist, haben mich seine anderen Filme stets in höchstem Maße fasziniert. Das Porträt einer emotional zutiefst gestörten Pianistin, die Elfriede Jelinek -Adaption Die Klavierspielerin, lebt nicht nur vom intensiven Spiel der famosen Isabelle Huppert, sondern besticht auch durch eine konsequente Inszenierung, die da hingeht, wo es richtig unangenehm wird. Michael Haneke erspart seiner Hauptfigur und dem Zuschauer weder die Erniedrigungen einer krankhaften Vorstellung von Liebe noch die inzestuöse Beziehung zur Mutter und schafft so einen bedrückenden wie nachhaltig beeindruckenden Film, der sich nicht so schnell vergessen lässt.

Sowieso hat sich der Regisseur komplexen Themen verschrieben, für die er in seinen Filmen keine klaren Antworten anbietet. So enden die Arbeiten von Michael Haneke oft ohne eine befriedigende Auflösung, regen den Zuschauer aber dadurch erst recht zum Nachdenken an. Im Psychothriller Caché verarbeitet der Filmkünstler beispielsweise Themen wie die Schuldfähigkeit eines Kindes mit den Folgen des Algerienkrieges und seziert gleichzeitig eine von gegenseitigem Misstrauen zersetzte Ehe. Ich warne an dieser Stelle vor einer extrem schockierenden Szene in der Mitte des Psychodramas, die mich beim ersten Schauen des Films sprachlos zurückgelassen hat.

In der Reihe von Filmen über Menschen, die an Extremsituationen oder äußerlichen Bedrohungen scheitern, bricht Liebe von Michael Haneke in seiner empathischen Wärme aus besagtem Muster aus. Zwar ist auch die Darstellung des langsamen Sterbens einer betagten Schlaganfallpatientin minutiös und nüchtern festgehalten, das Drama feiert aber zugleich eine lebenslange Liebesbeziehung und damit die Kraft der Liebe und das Leben an sich. Die Rentner George und Anne sind beide um die 80 und seit langer Zeit miteinander verheiratet. Eines Morgens erleidet Anne einen Schlaganfall, der zu ihrem körperlichen und geistigen Verfall führt. Erst auf den Rollstuhl angewiesen liegt sie später nur noch hilflos im Bett mit dem Wunsch, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Georges Liebe hält auch in den letzten Tagen der Beziehung, seine Geduld und Aufopferung kennen wenige Grenzen, die der Musikprofessor aber die meiste Zeit erfolgreich zu überschreiten versucht.

Die Altstars Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva spielen ihre Rollen eines Ehepaares am Ende des gemeinsamen Lebensweges anrührend und wahrhaftig, Michael Hanekes Drehbuch und seine Inszenierung lassen bei all ihrer formalen Strenge fast so etwas wie eine sanfte Milde aufblitzen, etwa wenn beim Ausprobieren des elektrischen Rollstuhls ein Moment der Komik im kammerspielartigen Drama Einzug hält.

Michael Haneke hat mit seinem neuen Film nicht nur ein weiteres Meisterwerk abgeliefert, ihm ist auch eine sehenswerte filmische Bestandsaufnahme einer stetig alternden Gesellschaft gelungen, deren Warmherzigkeit zugleich eine Weiterentwicklung des Regisseurs selbst bedeutet, und das als gestandener Künstler von über 70 Jahren. Grund genug für mich, Michael Haneke als meinen Regisseur des Jahres 2012 zu feiern.

Was haltet ihr von Michael Haneke? Und welcher Regisseur hat euch in diesem Filmjahr am meisten überzeugt?

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