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Meine Berlinale 2015

27.02.2015 - 19:26 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Had to get the train from Potsdamer Platz.
Mr. Pink/Berlinale
Had to get the train from Potsdamer Platz.
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Aus dem Vorwort des diesjährigen Berlinale-Programms:

Mit starken Frauen endet das Festival auch. In Regisseur Kenneth Branaghs CINDERELLA verzaubern uns Cate Blanchett, Lily James, Helena Bonham Carter und „Game of Thrones“ Star Richard Madden.

Wenn selbst das Programmheft schon so wortgewandt startet, mache ich mir ja eigentlich gar keine Sorgen, dass mein Geschreibsel hier zu unsinnig sein könnte. Willkommen zu meinem kleinen Berlinale-Bericht. Alle Jahre wieder tummeln sich in den grauen Gassen der Hauptstadt Stars und Sternchen, begeisterte Kinogänger und Filmfans aus aller Welt, darunter auch ich. Nachdem ich den Schlaf, den mir der Festivalstress raubte, nun endlich nachgeholt habe, möchte ich euch gerne einen kleinen Überblick geben über das, was ich erlebt habe, und vor allem natürlich die Filme, die ich mir angesehen habe, weiterempfehlen. Vielleicht ist für den ein oder anderen ja ein schöner Tipp dabei.

Meine Berlinale begann wie immer am Montagmorgen mit dem alljährlichen Stress des Kartenkaufs…nein, Augenblick, eigentlich schon etwas früher auf dem Weg dorthin nämlich. An dieser Stelle möchte ich gerne die Berliner S-Bahn für ihre ständige Pünktlichkeit und vorbildhafte Zuverlässigkeit loben, ein absoluter Top-Service, wie man ihn nur selten genießt. Vielen Dank dafür. Aber zurück zum Thema, der Kartenverkauf ist wie immer unnötig kompliziert gehalten. Aber etwas Gutes hat das ja, man weiß genau, woran man ist. Denn es ist jedes Jahr haargenau dasselbe Szenario. Dieselben Hackfressen, die, wie es scheint, die ganze Nacht in den Arkaden verbracht haben und nun auf die Öffnung der Kassen warten und dieselben Hackfressen, die darüber berichten. Ich frage mich, wieso eigentlich nicht einfach die Berichte vom Vorjahr, vielleicht mit neuem Text, ausgestrahlt werden, auffallen würde es wohl niemandem. Auch ein Italienisches Reporterteam war zu einem späteren Zeitpunkt unterwegs und fragte mich, was berühmte Menschen tun müssen, um zu Kultstars zu avancieren. Ich antwortete, dass Sterben hilfreich sei und war, wie mir die nette, junge Frau mitteilte, nicht der erste, der so dachte. Im Douglas, nicht verwandt mit Michael und Kirk, wurde den ganzen Morgen noch umgebaut, die nächsten zwei Wochen sollten mich Eva Longoria und Heike Makatsch während meiner Anstehzeit angrinsen. Das Tolle am ewigen Warten auf jeden Fall, ich komme dazu, ein bisschen mehr zu lesen als sonst und kann euch jetzt guten Gewissens Jonathan Safran Foers Alles ist erleuchtet empfehlen.

Was das Begaffen beliebter Prominenter angeht war diese Berlinale meinem Empfinden nach nicht übermäßig spektakulär. Es sind zwar einige interessante Menschen in der Bärenstadt, die dieses Jahr weniger kalt und pieselig als die letzten war, umhergeirrt, so richtig große Stars suchte man aber vergebens. Vielleicht liegt dieses Gefühl aber auch einfach daran, dass auch auf den roten, später schmutzig roten Teppichen dieselben Hackfressen anzutreffen waren wie sonst auch immer. The same procedure as every year, James. Und wo war eigentlich Catherine Deneuve, ich dachte, die gehört schon zum Inventar? Na ja, immerhin bin ich aber endlich mal dazu gekommen, mir ein Autogramm von Christian Bale zu holen, Bate- & Batman war jetzt schon ein gefühltes Dutzend Mal zu Gast in der Hauptstadt, aber bisher hat das irgendwie nie geklappt. Und einmal stand Shailene Woodley vor mir in der Kinoschlange. Also, dachte ich auf den ersten Blick. War dann doch nur eine, die ihr ähnlich sah. Schade aber auch. So wie das eine Mal, als mir "Scarlett Johansson" in der Innenstadt über den Weg gelaufen ist.

Filme habe ich mir übrigens, welch Überraschung, auch angesehen, und dabei ein ziemlich gutes Händchen für die Auswahl gehabt; eine Niete war nicht dabei, schließlich war ich klug genug, den neuen Malick gar nicht erst in Erwägung zu ziehen. Ich mag es, bei der Berlinale Filme zu entdecken, die ich sonst vielleicht nicht zu Gesicht bekommen hätte, finde es aber auch schade, dass das Festival bei einigen Filmen wohl die einzige Möglichkeit ist, sie zu sehen, manche gar vorsätzlich nur für dieses Festival gedreht worden sind. In der Sektion Generation 14plus gab es ernsthaft einen Film mit dem Titel 14+. Aber vielleicht interpretiere ich da ja auch zu viel rein und das ist nur voll der Zufall.

Genug dahergeredet, kommen wir endlich zum Wesentlichen, am Freitagabend war ich in Gedanken bei Quentin Tarantino. Viel Negatives kann man über seinen Filmcharakter aus Planet Terror sagen, einen guten Geschmack  kann man ihm jedoch nicht absprechen. So startete mein persönliches Berlinale-Programm dann schließlich mit Ava Gardner in Show Boat, der in der Retrospektive zum Thema Glorious Technicolor lief. Und dieses Adjektiv verspricht nicht zu viel, die prächtigen Farben kamen auf der tollen 35mm-Kopie hervorragend zur Geltung. Auch sonst macht dieses Musical so ziemlich alles richtig, mit diesem Show Boat bin ich auf jeden Fall gerne mitgefahren.

Mein nächster Film und gleich eines meiner Highlights war dann am nächsten Tag The Diary of a Teenage Girl, der später auch den Großen Preis der Jury in der Sektion Generation 14plus gewann. Im Abspann wurde unter anderem Gregg Araki gedankt, ich weiß nicht wieso, kann mir aber vorstellen, dass er der Regisseurin als Inspiration diente. The Diary of a Teenage Girl könnte durchaus als der etwas bravere kleine Bruder seiner Werke durchgehen. Es geht um die 15-Jährige Minnie, die ihr erstes Mal mit dem Freund ihrer Mutter hat und dann in den sexuell befreiten, wilden Siebzigern ihr eigenes sexuelles Erwachen erlebt. Der Film basiert auf einer Graphic Novel und wurde mit Comic-Einschüben und einem perfekt genutzten Soundtrack verspielt umgesetzt. Das Zeitkolorit ist mit den herrlich anzusehenden Frisuren und Kostümen gut getroffen, Hauptdarstellerin Bel Powley liefert eine mutige Performance und obwohl ich selbst kein Teenage Girl bin konnte ich mich gut in die Protagonistin einfühlen.

Eigentlich wollte ich während dieser Berlinale auch Spaß mit einem anderen Teenage Girl, nämlich Arya Stark, haben. Weil sie meine Einladung zum Tee jedoch nicht beantwortet hat, habe ich mich stattdessen dann doch für Spaß mit Sally Draper entschieden. In One & Two spielt Kiernan Shipka einen Teil eines Geschwisterpaares, das von der Außenwelt abgeschirmt aufwächst. Der Grund dafür möglicherweise, Eva und ihr Bruder Zac besitzen die Fähigkeit zur Teleportation. Dieses Fantasy-Element wird recht schnell etabliert, sodass man sich gut darauf einlassen kann. Ob das Geschehen nur wortwörtlich oder außerdem metaphorisch zu lesen ist, lässt das Werk offen und bleibt dadurch vielseitig interpretierbar, was mir zusagte, da der Film so noch einen Moment nachwirkt. Mir persönlich war das Tempo stellenweise fast schon etwas zu gediegen, die auch durch die erstklassige Musik zustande kommende Atmosphäre, die sich ganz wie in einem Traum anfühlt, betört jedoch.

Als bekennender Francophiler durfte ich mir natürlich auch Queen of the Desert und I am Michael nicht entgehen lassen. (Every thing will be fine habe ich trotzdem ausgelassen. Als ich sah, dass dieser in 3D läuft, bekam ich Angst, er könnte zu aufregend für mich sein.) Werner Herzogs neuestes Meisterwerk besticht dadurch, dass der Stil des Regisseurs meiner Meinung nach gar nicht so sehr zur Geltung kommt. Von der verrückten Atmosphäre eines Bad Lieutenant oder den früheren Eskapaden mit Klaus Kinski ist Queen of the Desert weit entfernt, bloß in den prachtvollen Aufnahmen der weitläufigen Endlosigkeit der Wüste konnte ich den Deutschen Kultregisseur ausnahmslos spüren. Das allerdings umso eindrucksvoller. Bei den wunderschönen Landschaftsaufnahmen und der beachtlich dazu passenden musikalischen Untermalung von Klaus Badelt wäre ich auch gerne wie das auserwählte Volk vierzig und noch viele Jahre länger durch die Wüste gezogen. Von der Handlung her wäre vielleicht mehr möglich gewesen, eine Menge gelernt über Gertrude Bell habe ich nicht, dafür gab es etwas zu viel Lovestory und etwas zu wenig über sie.

In I Am Michael hingegen geht es um Michael Glatze, Herausgeber eines Schwulenmagazins und auch sonst sehr engagierten Menschen, der sich seiner Sterblichkeit bewusst wird und nun auf der Suche nach dem Sinn des Lebens zu Gott findet und sich von der LGBT-Community und seiner Homosexualität abwendet. Andersherum, also einen Homophoben, der sich später zu seiner Homosexualität bekennt, wäre das vielleicht schon zu vorhersehbar erschienen, so finde ich den Ablauf der Ereignisse äußerst interessant. I am Michael ist vorzüglich gespielt und gefilmt, aber so sehr James Franco sich in der Titelrolle auch anstrengt, seine Figur war für mich stellenweise nicht vollständig greifbar, vor allem, wieso Michael einen so radikalen Wandel seiner Ansichten und Lebensweise durchmacht war nicht immer zu erfassen. Hervorzuheben sind aber die exzellenten Schauspieler, sowie die Tatsache, dass der Regisseur Michael nicht verurteilt, sondern versucht, ihn zu verstehen.

Ziemlich schwul ging es auch in 54: The Director's Cut zu, der ursprünglich 1998 erschienen ist. Und jetzt nach sage und schreibe siebzehn Jahren, womit er Richard Linklaters lächerlichen Best-Picture-Nominee noch um ganze fünf Jahre überbietet, konnte Regisseur Mark Christopher endlich seine Wunschfassung des Films präsentieren. Ich habe den Producer’s Cut, aus dem eine halbe Stunde Material entfernt und durch nachträglich gedrehte Szenen ersetzt wurde, die die Handlung komplett abänderten, vor unzähligen Jahren gesehen, konnte mich bis auf einige wenige Augenblicke, wie mir im Verlauf der Vorstellung auffiel, also nicht mehr daran erinnern, daher auch keine Vergleiche ziehen. So war ich überrascht, Mark Ruffalo in dem Film zu entdecken und war von der Story angetan, die eine fatale Ménage-à-trois mit einem satirischen Blick auf den American Dream verbindet und außerdem einen prickelnden Blick auf die Discoszene der 70er Jahre wirft. Auch der Soundtrack ist klasse. Obwohl Disco-Musik natürlich von jedem klardenkenden Menschen abgelehnt werden sollte, wird sie hier erstklassig eingesetzt, und die Kamera bebildert die dunklen Clubszenen auf eindringliche Art und Weise.

Die ersten beiden Episoden von Better Call Saul überzeugten mich ebenfalls. Ohne das in Breaking Bad etablierte Szenario würde dieses Spin-Off natürlich nicht funktionieren, dennoch war es hier für mich auf den ersten Blick einfacher, reinzukommen, weil mir bei Breaking Bad am Ende die ganze Entourage ausnahmslos nur noch auf die Eier gegangen ist, Better Call Saul hingegen mit dem Anwalt unseres Vertrauens eine sympathische Hauptfigur zu bieten hat. Ein paar aus der Originalserie bekannten Gesichtern über den Weg zu laufen, war auch interessant. Eine endgültige Meinung kann ich mir nach den ersten neunzig Minuten natürlich noch nicht bilden, aber der Pilot überzeugte mich so sehr, dass ich mir die Serie bei Gelegenheit sicherlich zu Gemüte führen werde.

Wonderful World End ist ein liebevoll kritischer Blick auf die von Technologie kontrollierte moderne Welt. Am Ende war mir dieser Film etwas zu sehr abgedreht, wenn nämlich der Übergang von der realistischen Herangehensweise zum durchgeknallten Wahnsinn mit einem Hauch von Trash etwas sehr plötzlich kommt. Im Q&A ließ der Regisseur durchsickern, dass er eigentlich selbst keine Ahnung hatte, was er da gemacht hat, und das merkt man durchaus, wie der Film Grenzen überschreitet und Neues wagt ist dennoch zu bewundern.

Der zweite Japanische Film in meinem Programm, Ten no Chasuke, machte ebenfalls durch eine abgefahrene Story auf sich aufmerksam, die mich insgesamt aber mehr überzeugen konnte. Im Himmel sind die Schreiberlinge damit beschäftigt, Drehbücher für die Erdenmenschen zu verfassen, die dann deren Leben bestimmen. Als die junge Yuri stirbt, wird Chasuke, der dort oben für das Servieren des Tees zuständig ist, auf die Erde geschickt um dies zu verhindern. Es entspinnt sich eine fabelhaft grotesk poesievolle Mischung aus Thriller, Gangsterfilm und Märchen.

Der jahrelang verbotene Joe Bullet aus Südafrika hingegen ist einer der ersten Filme des Landes mit einem vollständig Schwarzen Cast. Der Titelheld ist saucool, kann alles, macht alles und kriegt alles mühelos gebacken. Dass die Geschichte rund um Betrügereien beim Fußballspiel da eher zum Vergessen ist, ist absolut nebensächlich, denn es kommt astreines Blaxploitation-Feeling auf.

Meinen Abschluss machte am späten Sonntagabend Queen of Earth. Der von der ersten Minute an fesselnde Film baut eine einnehmende und zugleich erschaudernde Atmosphäre auf, die Musik lässt stets Unangenehmes erahnen, alles wirkt beunruhigend, immer ist Schlimmstes zu erwarten. Queen of Earth ist eine beängstigend überzeugende Darstellung von Depression, Einsamkeit und Wahnsinn, inmitten dessen Elisabeth Moss mit einer fantastischen Performance glänzt.

Zwei Wochen, zehn Filme und null Schlaf waren wieder viel zu schnell vorbei, aber die Profis wissen selbstverständlich: Nach der Berlinale ist vor der Berlinale. Und so freue ich mich schon auf das nächste Jahr.

Welche Filme haben euer Interesse geweckt? Welche anderen könnt ihr mir empfehlen? Wie hat euch das Festival gefallen, oder wart ihr gar nicht da, weil euch die Hauptstadt und ihre Bewohner zu suspekt sind? Und wo kann ich mir eigentlich ein bisschen Photoshop-Kompetenz kaufen? Schreibt es mir in die Kommentare!

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