Mensch & Scheusal - Japaner im chinesischen Kriegsfilm

06.09.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
City of Life and Death
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Wie wird der Feind in Kriegsfilmen dargestellt? Ausgehend vom chinesisch-japanischen Krieg und dessen fiktionaler Behandlung in der Volksrepublik, blicken wir auf rassistische Karikaturen, wahnsinnige Killer und menschliche Invasoren.

Ein junger Mann liegt im Gras, blinzelt in die Sonne. Es wäre eine idyllische Szene, würde er nicht eine Uniform tragen. Trotzdem ist da zunächst dieses Gesicht, ein ganz unscheinbares und doch der Clou von City Of Life And Death - Das Nanjing Massaker (2009), an dessen Anfang dieser dösende Soldat auf der Wiese steht. Warum ein Clou? Weil es ein Japaner ist, City Of Life And Death ein chinesischer Film und in der nächsten Szene die Stadtmauern von Nanjing belagert werden. Als Hauptfigur für seinen Film über das Massaker an Kriegsgefangenen und der Zivilbevölkerung suchte sich Regisseur Chuan Lu einen Täter aus. Obwohl er sich zur Schilderung des Grauens während des Zweiten Sino-Japanischen Krieges wiederholt der Perspektive chinesischer Figuren bedient, kehrt die Kamera wieder zurück zu diesem Gesicht. Es ist ein menschliches, frei von jeder entstellenden Karikatur, wie sie bei der Darstellung von Kriegen im Film, ob zu offenkundigen Propagandazwecken oder "Unterhaltung", so verlässlich genutzt wird. 

Es ist ein Kontrast zur gebeugten, hinterlistigen Grimasse in Menschenform, die recht schnell ihren Weg ins Kino der jungen Volksrepublik fand. Tunnel War (alternativ Tunnel Warfare; bei YouTube ) verherrlichte 1965 die Guerillataktiken der kommunistischen Kämpfer und einfachen Milizen, die Dörfer mit komplexen Tunnelsystemen ausstatteten und so reihenweise japanische Soldaten in die Falle lockten. So will es zumindest der Film. Er stellt den klaren, unbeugsamen "Typen" der Miliz eine rassistische Karikatur gegenüber, die ohne weiteres einem Poster zur Motivation der amerikanischen Heimatfront entsprungen sein könnte. Mit dem charakteristischen Katana in der Hand, Flaschenboden-Brille auf der Nase, Bärtchen darunter und gen Erdmittelpunkt verzogenen Mundwinkeln wird dieser "japanische Teufel", so das Schimpfwort, von den aufrechten Chinesen in seine Schranken gewiesen.

Tunnel War & eine Karikatur von Dr. Seuss aus dem Zweiten Weltkrieg


Als Schreckgespenst findet er sich in patriotischen Kinderfilmen wie The Letter With Feathers (1954, bei YouTube ). Hier trifft die Schafherde eines chinesischen Jungen auf die anrückende japanische Einheit und nichts beflügelt den kleinen Filmhelden so sehr zum Widerstand wie der Anblick eines japanischen Offiziers mit Überbiss, der genüsslich eine Lammkeule verspeist. Damit werden hier keinesfalls Aussagen über die gesamte chinesische Filmproduktion seit Ende des Krieges getroffen, eher Stichproben einer vielfältigen, vielfach verschütteten oder verlorenen Filmkultur herangezogen, die, je nachdem ob es die politischen Umstände zuließen, nuancierte Werke wie The Spring River Flows East (1947) und Frühling in einer kleinen Stadt (1948) hervorbringen konnte oder eben einen von eindimensionalen Figurentypen bevölkerten Propagandafilm (der gewissenlose Grundbesitzer, der teuflische General, die mutigen einfachen Leute). 

Durch Cleverness bezwingen die Chinesen in erhaltenen Filmen wie Letter with Feathers oder Tunnel War ihre Gegner, denn die weiträumigen Schlachten während des Zweiten Sino-Japanischen Krieges hat in der Regel die Nationalrevolutionäre Armee von Chiang Kai-shek geführt. Dieser "zweite" Krieg zwischen China und Japan begann 1937, wurde aber bereits durch den japanischen Einmarsch in die Mandschurei 1931 vorbereitet. Ihn beeinflusst der chinesische Bürgerkrieg zwischen den nationalistischen und kommunistischen Kräften. Zwar bildeten die verfeindeten Parteien 1937 eine zweite Einheitsfront, doch bestand diese vor allem im Titel und brach noch während des Krieges auseinander. Einer Vereinigung der Truppen gegen den gemeinsamen Gegner standen die Machtansprüche von Kuomintang und Kommunisten im Weg, was die filmische Darstellung eines "chinesischen Kampfes" in der später gegründeten Volksrepublik zu Auslassungen oder Verzerrungen zwang.  

Little 8th Route Army


So ist die Achte Armee der Nationalarmee unter kommunistischer Führung ein populärer Aufhänger für die Behandlung des Krieges. Im Puppenanimationsfilm Little 8th Route Army (1973, bei YouTube ) beispielsweise will ein Junge sein Dorf gegen japanische Streitkräfte verteidigen. Gewiefte Guerilla-Taktiken locken die Japaner in ein Tal, das lächerlich böse Quadratbärtchen wird erschossen und der Held feierlich in die Armee aufgenommen. Der während der Kulturrevolution entstandene Film greift zwar nicht zuletzt seiner Zielgruppe zuliebe auf einen kindlichen Helden zurück. Eine totale Mobilisierung zum Wohle des Landes in Gestalt des an den Kampfhandlungen teilnehmenden Kindes findet auch noch in City of Life and Death Einzug. Emsig werden da von einem Jungen Munitionsgürtel herumgetragen, während andere zu Kämpfern gewordene Zivilisten in einer Ruine effizient über mehrere Stockwerke hinweg für Nachschub sorgen und die Kamera ihnen in langen Einstellungen folgt. Ein Motiv, das, inszenatorisch nicht unähnlich, auch im 45 Jahre zuvor entstandenen Tunnel War zu finden ist. 

Die Darstellung der Japaner griff zwar häufig auf rassistische Klischees zurück. Lange Zeit wurden die während des Krieges von ihnen begangenen Gräuel im Film kaum thematisiert. Das wird unter anderem durch die wechselvollen außenpolitischen Beziehungen der beiden Nationen begründet, wie in einer Reuters-Reportage  über anti-japanische Fernsehserien nachzulesen ist. Durch den filmischen Aufbruch in den Jahren nach der Kulturrevolution änderte sich dies. Mit One and Eight (1983) drehten Regisseur Zhang Junzhao und Kameramann Yimou Zhang einen der ersten Filme der Fünften Generation, die in den 1980ern einige der bedeutendsten und erfolgreichsten Filmemacher der Volksrepublik hervorbrachte. Ganz allein steht in One and Eight ein unter dem Verdacht der Kollaboration stehender Kommunist, der zusammen mit Verbrechern von der Armee eskortiert wird. Dabei landen sie in einem von den Japanern zerstörten Dorf. Ein quälend langsamer, nicht enden wollender Schwenk führt die vielen Leichen der Zivilisten vor, bis sich plötzlich ein Überlebender aus dem Bild löst und schreiend in die Wüste läuft. 

Der Krieg bricht nach rund einer Stunde auch in Zhang Yimous Regiedebüt Rotes Kornfeld herein. Japanische Soldaten zwingen Dorfbewohner, Teile ihres Feldes niederzumähen und einen Metzger dazu, einen Gefangenen zu häuten, was die Zivilisten zum Gegenschlag animiert. Lover's Grief over the Yellow River von Feng Xianing (1999) erzählt von der Liebe eines amerikanischen Soldaten zu einer Guerilla-Kämpferin, die von den Japanern vergewaltigt wurde. Sein Nachfolger Purple Sunset (2001) bringt einen chinesischen Bauern, eine russische Soldatin und eine japanische Schülerin in den letzten Tagen des Krieges zusammen, wo sie Zeuge und Opfer eines Massenselbstmords der Besatzer werden.  

The Chef, The Actor, The Scoundrel


Die böse Fratze der Propagandafilme ersetzen nun vielfach Wahnsinn und ideologische Verblendung, etwa im Actionfilm Cold Steel (2011). Darin wird ein chinesischer Scharfschütze von einem liebeskranken Japaner gejagt, der von seiner Freundin fallengelassen wurde ("I want to marry a samurai, not a murderer."). Die gnadenlose Überzeichnung trifft in der Agentenfarce The Chef, The Actor, The Scoundrel (2013) nicht etwa zwei gefangene Mitglieder der Einheit 731, die während des Krieges Experimente mit biologischen Waffen an Chinesen durchführte. Werden die Japaner als größenwahnsinnig dargestellt, sind es feige und dumm charakterisierte chinesische Kollaborateure, die Merkmale einer rassistischen Karikatur tragen. 

Oder die Filme widmen sich gänzlich den Leidtragenden des Krieges. Back to 1942 (2012) vom "chinesischen Spielberg" Xiaogang Feng etwa beschränkt die gesichtslose japanische Präsenz weitgehend auf Bomben, die auf einen Flüchtlingstreck fallen. Die kleinen Leute als Spielbälle eines großen Krieges. Der Film richtet sein Augenmerk lieber auf die innerchinesischen Zerwürfnisse als begünstigende Faktoren einer Hungerkatastrophe: allen voran die Mitschuld Chiang Kai-sheks. 

Eine der vielschichtigsten Auseinandersetzungen mit Krieg und Besetzung bleibt Devils on the Doorstep (2000) von Jiang Wen. Jiang vermeidet vereinfachende Erklärungen, belässt die Motivation der Japaner nicht beim abgegriffenen Führerkult oder Todeswahn und berücksichtigt in der Charakterisierung chinesischer Dorfbewohner Egoismus, Furcht und Rachegelüste. Letzteren fällt im Film nämlich ein japanischer Offizier und sein Übersetzer in die Hände. Aber was tun? Töten, an die Japaner ausliefern oder Strafe riskieren und sie verstecken? Jiang inszeniert den Krieg auf seiner untersten Ebene als verheerenden Mahlstrom, der jede Humanität unabwendbar in seine Tiefen zieht. Im ebenfalls schwarz-weiß fotografierten City of Life and Death dreht Lu Chuan den Spieß schließlich um. Da saugt der mal fassungslose, mal entrückte Blick eines Invasoren das Grauen auf. Er gibt dem Soldaten ein Gesicht und zwingt ihn im Umkehrschluss, in die Augen seiner Opfer zu schauen.

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