Michael Haneke - Kino als zerstörerischer Akt der Wahrhaftigkeit

23.03.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Michael Haneke auf dem Set von Liebe
Sony Pictures
Michael Haneke auf dem Set von Liebe
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Michael Haneke ist einer der namhaftesten Regisseure Europas. Zum 75. Geburtstag blicken wir auf das herausfordernde, grausame wie zärtliche Werk des Österreichers.

Vorsicht, Spoiler zu Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte und Liebe. "Ich möchte destabilisiert werden", sagt Michael Haneke über das Lesen eines Buches oder den Kinobesuch. Er wolle "anders hinauskommen, als ich hineingegangen bin." Und so erscheinen denn auch seine vielfach ausgezeichneten Filme als cineastische Destabilisatoren.

Der in München geborene und in Wien aufgewachsene Filmemacher ist neben Landsmann Ulrich Seidl (Paradies-Trilogie) Österreichs erfolgreichster zeitgenössischer Regisseur. Ihr filmisch ähnlicher Ansatz verschreibt sich einer beunruhigenden Stille, die ihre tosende Sprengkraft in der Sezierung und Reflexion insbesondere der bürgerlichen Moderne mit all ihren Widersprüchlichkeiten freisetzt.

Michael Haneke versteht das Kino als "willentlich akzeptierte Vergewaltigung." Das ist beim Blockbuster- wie Arthousefilm nicht anders, während seine Eigenwerke, die wohl eher Zweiterem zugerechnet würden, dabei immerhin zum Nachdenken einlüden. Stets provokant, in seinem Realitätsanspruch grausam wie zärtlich. Heute feiert der Regisseur seinen 75. Geburtstag. Wir blicken auf sein Schaffen.

Auch den Tieren und Kindern etwas antun

Das Faszinosum des Kinos bestand schon immer darin, das Publikum an Orte zu führen, die sie nicht kannten. Ihren Blick auf das Leben zu verändern, mindestens aber zu schärfen, ihnen neue Wege und ungeahnte Lebendigkeit aufzuzeigen. Reine Unterhaltung in berieselnder Form hat ihren Wert nur dann, wenn sie nicht zum allgemeingültigen Dogma erhoben wird und alles andere zu verdrängen droht. Kino ist Herausforderung in seiner Konfrontation mit sich und seinem Publikum. Mit Michael Haneke ausgedrückt: Es geht darum, den Zuschauer aus seiner Gleichgültigkeit herauszuholen.

Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte

Dafür gilt es, Regeln zu durchbrechen. Filmische, narrative, technische, gedankliche, emotionale. Auch den Tieren und Kindern etwas anzutun - Haneke zum Mainstream: "Tieren und Kindern darf nichts passieren. Aber in der Wirklichkeit passiert ihnen halt doch etwas." Denken wir an die Kinder seines 2009 erschienenen Dramas Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs werden wir nicht nur Zeuge einer von Neid, Missgunst und Verachtung vergifteten Dorfgemeinschaft vor dem Hintergrund einer mysteriösen Gewaltwelle. Grausamkeiten, katalysiert durch den Verlust der eigenen Identität auf Grund einer autoritär-entmenschlichten Erziehung, zeigen sich auch bei den Kleinen gegen Mensch und Tier.

Und nebst im Garten gespannten Sturzfallen und brennenden Scheunen entfaltet sich in Form einer vorsichtigen Liebesgeschichte zwischen dem jungen Dorflehrer (Christian Friedel) und Eva (Leonie Benesch), Kinderhüterin des Barons (Ulrich Tukur), eine rührende Zartheit inmitten dieser verachtenswerten Welt, die sich trotz zeitlicher Distanz denn auch, abstrahiert, so anfühlt wie die unsere. Es ist die andere Seite von Haneke, begründet im unbedingten Anspruch, weder der Sentimentalität noch dem Miserabilismus anheim zu fallen. Es ist der Anspruch, Realität abzubilden ("Ich mache realistische Filme").

Eine lebensgefährliche Liebe

Ganz gleich, wie weh diese auch tun mag. Ein konzentriertes Glanzstück dieser Widersprüchlichkeiten ist dabei sein 2012 erschienener Film Liebe um ein altes Ehepaar des gehobenen Bürgertums Paris', facettenreich verkörpert von der erst im vergangenen Januar verstorbenen Emmanuelle Riva (Hiroshima mon amour) und Jean-Louis Trintignant (Z - Anatomie eines politischen Mordes). Ihnen ist die Last und Freude eines Lebens gleichermaßen auferlegt und anzusehen. Michael Haneke vermeidet Einseitigkeit konsequent. Die titelgebende Liebe präsentiert sich uns hier nicht in romantisierter Schwärmerei, sondern in einem irgendwann nicht mehr zu ertragenden Schwergewicht, unter dem seine Protagonisten womöglich zerbersten.

Liebe wird zur Lebensgefahr.

Denn schon die ersten Anzeichen des heraufziehenden Schlaganfalls bei seiner Frau Anne stellt Georges, und unser, von Kontrasten bewohntes Innenleben auf den Punkt inszeniert zur Schau. Am Frühstückstisch auf einen Bewusstseinsblackout angesprochen, reagiert er mit unsicherer Wut, geradezu erbost, als sie beteuert, sich nicht erinnern zu können. Wir sehen die sich ausbreitende Verlustangst an und in ihm. Während sie im Laufe der Handlung auf immer intensivere Pflege angewiesen ist, wird aus der sanften Berührung Georges' irgendwann die peitschende Ohrfeige gegenüber seiner Lebensliebe.

Liebe

Die abschließende Erzählung für Anne - er erzählt ihr eine alte, beruhigende Geschichte aus seiner Jugend - endet mit ihrem Tod. Er erstickt sie. Ihr schwacher Körper zerbricht final unter der Last des ihr entgegengepressten Kissens. Es ist ein Blick ins Auge der bitteren Wahrheit, der schön verpackten Lüge, wie Haneke sagen würde. Letztere sei Aufgabe der Werbung, nicht der Kunst, nicht des Kinos.

Verärgert über Quentin Tarantinos Pulp Fiction

Diese Wahrheit tut weh, sie ist auf ihre Weise gewalttätig. Einer grafischen, körperlichen Gewaltdarstellung wendet sich Haneke aber ab, als handelte es sich um eine abzuwehrende Krankheit. Für ihn sei es unverantwortlich, Gewalt als attraktiven Spaß konsumierbar zu machen.

So etwa in Quentin Tarantinos Kultfilm Pulp Fiction. Als "in der berühmten Szene einem Jungen das Gehirn weggeblasen wird." Inmitten des Kinosaals an einem Nachmittag saß Michael Haneke umgeben von lauter jubelnder Jugendlichen. Ein "Riesenhallo" sei dort losgewesen.

In seiner auf Gewaltdarstellung fokussierten Medienreflexion Funny Games sowie seinem Shot-for-Shot-Remake Funny Games U.S. versucht er, die Körperlichkeit mit der Fantasie des Zuschauers greifbar zu machen und ihn mit seinem Voyeurismus zu konfrontieren, wobei er schon zwischen der "intellektuellen Frechheit Tarantinos" und dem "faschistoiden Holzhammer [Oliver] Stones" unterscheide. Vor der eigentlichen Gewaltdarstellung schneidet Haneke in den Filmen um eine Familie, die während eines Urlaubs am See Opfer zweier brutaler, jugendlicher Geiselnehmer wird, meist weg. Allgemein gesprochen ist für ihn das plumpe Zeigen keine Form, die unseren tiefsten Gefühlen gerecht würde.

Funny Games

Er selbst verschreibt sich daher einem weitgehend minimalistisch anmutenden Regiestil: starre Kameraeinstellungen, Aussparungen, Stille (Musik ertönt nur aus natürlichen Quellen) auf Basis einer zuvor genauestens konstruierten Dramaturgie.

Und so hat es Michael Haneke geschafft, sich in seinem inzwischen gut vier Jahrzehnte umfassenden Schaffen seinen ganz eigenen Stil zu bewahren, der auf seine Weise Konventionen dekonstruiert. Einen Stil der Destabilisation, sowohl des Films als auch des Zuschauers. Das Kino Hanekes als zerstörerischer Akt der Wahrhaftigkeit.

Alles Gute zum 75. Geburtstag!

(Quellen: SPIEGEL-Interviews 1997 , 2009 , 2013 )

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