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Oldboy und der Fahrstuhl zwischen den Welten

31.10.2014 - 13:25 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Oldboy
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Dieser Text enthält Spoiler zu folgenden Filmen: Oldboy

Der Fahrstuhl, der Aufzug, der Lift, ein transportabler Raum, der uns von einer Etage in die nächste bringt, ist wohl aus unserer heutigen Gesellschaft kaum mehr wegzudenken. Eigentlich nichts weiter als ein bequemer Treppenersatz, übt der metallene Kasten jedoch bereits seit jeher eine auch heute noch ungebrochene Faszination auf Filmemacher aus. Er trennt und verknüpft Figuren, Szenen und Emotionen auf eine Weise, wie es kaum eine andere Örtlichkeit vermag, wenn sich etwa die Türen wie ein stählerner Vorhang schließen und den Zuschauer einen Augenblick später mit veränderten Tatsachen konfrontieren: Zwei Personen betreten den Aufzug, nur eine verlässt ihn - blutverschmiert - wieder; ein Mann und eine Frau richten mit unschuldigen Blicken Hemdkragen und Rock, bevor sie heraustreten. Oder: Der Fahrstuhl bleibt stecken und fördert ganz neue Erkenntnisse und Wahrheiten über die Charaktere zu Tage, wenn sich durch die Abschottung von der Außenwelt der Blick ganz ungeniert auf das Innere richtet.

Das Potential dieser Thematik ist derart enorm, dass man ganze Bücher über die vielfach interpretierte Rolle von Fahrstühlen in der Filmgeschichte schreiben könnte. Dabei kann man auf zahlreiche Beispiele wie Fahrstuhl zum Schafott, Der unsichtbare Dritte, Shining, Terminator 2 - Tag der Abrechnung und - aus jüngerer Vergangenheit - Drive zurückgreifen.

Da ich aber nun wahrlich kein Experte für Fahrstühle bin, meine begrenzten Kenntnisse dem verdienten Umfang des Themas nicht gerecht würden und ich diesen Blogeintrag einem meiner Lieblingsfilmländer widmen möchte, geht's hier und in folgenden Blogbeiträgen der Reihe speziell um ein paar ausgewählte Fahrstuhlszenen im zeitgenössischen koreanischen Kino.

Betrachtet man den meisterhaften Rachethriller Oldboy von Park Chan-wook, kommen direkt mehrere Szenen in den Sinn, in denen eine oder mehrere Personen einen Fahrstuhl betreten. Auffallend ist einerseits die Parallele des engen Raumes zum Thema der Isolation, das die ersten Filmminuten und nachwirkend auch im Kontrast zur Freiheit die gesamte Handlung prägt, wenn sich Oh Dae-su (Choi Min-sik) für 15 Jahre in ein enges Apartment gesperrt wiederfindet, aus dem er schließlich heraustritt, um Rache nehmen zu können. Wichtiger jedoch ist der Aufzug als Motiv zur Verdeutlichung eines Übergangs. Das ist erst einmal ganz konkret zu verstehen, als Verbindung zwischen zwei Orten, wie etwa, wenn Oh Dae-su auf einem Hochhausdach erwacht und nach unten gelangt, aber auch - und vor allem - als Schwelle zwischen zwei emotionalen Zuständen, zwischen zwei äußeren und inneren Welten.

Das erste Beispiel ist eben jene Fahrstuhlszene recht früh im Film, wenn der Protagonist, aus seinem Gefängnis entlassen, in die Freiheit tritt. Links im Fahrstuhl sehen wir eine Frau, ganz rechts an die Wand gepresst, wie ein in die Enge getriebenes Tier, befindet sich Oh Dae-su, panisch ob der inzwischen fremdartigen Begegnung mit einem weiblichen Menschen. In diesem Moment verlässt er endgültig seinen fünfzehnjährigen Lebensraum der absoluten Isolation und betritt eine neue Welt, die seinem Dasein durch diese ungewohnte Freiheit physisch und psychisch eine neue Struktur verleiht.

Park Chan-wook versteht den Fahrstuhl aber nicht nur als bloße Verbindung, sondern immer auch als Einbahnstraße, als point of no return. Oh Dae-su kehrt nicht in seine alte Existenz der Gefangenschaft zurück. Wenn sich die Türen des Aufzugs schließen, lässt er diesen Zustand als endgültige Vergangenheit hinter sich und wenn sie sich wieder öffnen, wird sein Handeln von der Suche nach Rache, von der Jagd nach dem Schuldigen bestimmt, ein Zustand, der sich erst viel später durch eine weitere, entscheidende Fahrstuhlszene wandelt.

Diese Szene findet im finalen Handlungsabschnitt statt, wenn sich Oh Dae-su aufmacht, um seinen Peiniger Lee Woo-jin (Yoo Ji-tae) zu konfrontieren. Die Fahrt nach ganz oben in das Penthouse-Apartment sollte seine Suche beenden, ihn mit dem Opfer seiner aufgestauten Zorns zusammenbringen, um den Racheplot zur erwarteten Konklusion zu führen, doch der Übergang, den diese Szene markiert, ist nicht bloß einer vom Suchen zum Finden, vom Jagen zum Erbeuten und vom bloßen Urteil zur tatsächlichen Strafe, sondern ein Wendepunkt der die Kontrolle der handelnden Personen verlagert und ein Weg aus einer Welt der Illusion in eine Welt der bitteren Wahrheit. Das wird bereits deutlich, als Oh Dae-su, gewillt nun ganz nach oben zu fahren, den Fahrstuhl betritt und von Lee Woo-jin und dessen Handlanger überrascht wird, die sich neben ihn stellen und den Lift in Bewegung setzen. Die kleine Geste der Etagenwahl, das Drücken der Taste, das ihm so plötzlich vorweggenommen wird, deutet den Kontrollverlust bereits an: Oh Dae-su ist nicht mehr Herr der Lage. Von einer Welt, in der er die Geschehnisse scheinbar im Griff hat, von seiner aktiven Rolle als suchender Rächer, tritt er nun über in eine Welt der Ohnmacht und der Passivität, aufgrund der Dinge, die in den folgenden Minuten überwältigend auf ihn einwirken sollen. Die Realisation dieses Zustandswechsels mag Oh Dae-su während der stillen Aufzugfahrt noch nicht gemacht haben, doch für den Zuschauer ergibt sich aus dieser eigenartigen Situation eine ungemeine Anspannung; insbesondere dann wenn er sich noch einmal in Erinnerung ruft, dass der Fahrstuhl, wie erwähnt, für Handlung und Charaktere ein Punkt ohne Wiederkehr ist. Der vorherige Zustand kann nicht wiederhergestellt werden.

Im Penthouse angekommen, ergibt sich aus dem entscheidenden Dialog zwischen Oh Dae-su und Lee Woo-jin, dass der vermeintliche Kontrollverlust eben nur die Oberfläche des Wandels darstellt und als falsch widerlegt wird, da sich Oh Dae-su auf den Konflikt dieser beiden Figuren bezogen zu keinem Zeitpunkt in Kontrolle befand. Er gibt nicht die Kontrolle aus der Hand, die er de facto niemals hatte, sondern wird mit einer Welt konfrontiert, die seine vorherige als Lüge, als Trick und als perfiden Plan entlarvt. Ein neuer Wahrheitszustand überschreibt den alten und definiert ihn als Illusion: Oh Dae-su hat es nicht eigenhändig geschafft, das Puzzle zu lösen und seinen Widersacher aufzuspüren, er ist lediglich unwissentlich den Spuren gefolgt, die für ihn präpariert wurden. Oh Dae-su ist nicht der Rächer, sondern das Ziel der Rache von Lee Woo-jin. Das Finale, das sich nun vor Figuren und Zuschauer ausbreitet, stellt entsprechend sämtliche Erwartungen auf den Kopf und sorgt mit seinem bitterbösen Twist dafür, dass sich der Film als intelligente Perversion der ungeschriebenen Gesetze von typischen Rachestories so großer Beliebtheit bei Fans der Thematik erfreut.

Und dann, nach der brutalen Konklusion dieses finalen Akts, folgt eine weitere Fahrstuhlszene: Dieses Mal betritt nur Lee Woo-jin den Fahrstuhl. Doch er fährt nicht hinab, denn sein Ziel liegt auf keiner der Etagen, sondern jenseits davon. In einem Flashback eröffnen sich ihm noch einmal tragische Bilder der traumatischen Vergangenheit vom Tod seiner Schwester, dem eigentlichen Antrieb seiner Rache, an dem er jedoch selbst maßgeblich Schuld trägt. Sein Racheplan ist vollendet, das Betreten des Fahrstuhls markiert den Übergang von seinem letzten zweckerfüllten Dasein zu einer Leere, in der nichts mehr bleibt, nur ein selbst zugefügter Kopfschuss, der ihn von der Welt der Lebenden in die Welt der Toten befördert.


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