Oscars, Independentfilme und das liebe Geld

08.12.2011 - 08:50 Uhr
Auch Filme mit Arthouse-Einschlag schaffen es inzwischen an den Kinokassen.
Weinstein/Delphi
Auch Filme mit Arthouse-Einschlag schaffen es inzwischen an den Kinokassen.
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Independentfilme bieten uns eine erfrischende Alternative zum hollywoodschen Franchise-Geballer. Gerade in diesem Jahr hat sich wieder gezeigt, dass unabhängig und oscarprämiert nicht mehr gleich Flop bedeutet. Das war nicht immer so.

Beim Oscar werden sie gefeiert, an der Kinokasse gehen sie leer aus. Das war lange Zeit ein Problem der Independent-Produktionen, die außerhalb des Systems der etablierten Studios und mit nur kleinem Budget entstehen. Mittlerweile scheint sich das zu ändern. The Artist von Michel Hazanavicius kam vor zwei Wochen ins Kino und spielte weltweit bereits 13,822 Millionen Dollar ein und der Oscar-Buzz ist groß. Genau wie bei The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten (Alexander Payne), der es mit 18,03 Millionen Dollar allein in den U.S.A noch höher treibt. Auch Shame (Steve McQueen) mit Michael Fassbender legt seit seinem Wochenendstart einen guten Lauf hin (bisher 388.857 Dollar) und das, obwohl der Film das stigmatisiserte NC-17 Rating aufgedrückt bekam.

Auch My Week with Marilyn (Simon Curtis) und The Tree of Life (Terrence Malick) legten mit bisher 5,135 Millionen Dollar und 54,303 Millionen Dollar ordentlich vor. Alle diese Filme sind heiße Oscar-Kanditaten, wie die bisherige Award-Saison bewiesen hat. Auch in den Vorjahren gingen Specialty-Produktionen wie Slumdog Millionär, Tödliches Kommando – The Hurt Locker, Little Miss Sunshine und Sideways mit Oscars (oder Nominierungen) und zumindest für Independent-Verhältnisse ordentlichem Gewinn nach Hause. Ungefähr bis 2000 sah das noch anders aus und steigerte sich bis zur heutigen Situation. Auch die großen Studios erkennen, dass das Publikum reif für Alternativen ist und drehen den Geldhahn bei abwegigeren Projekten nicht mehr gleich zu. Aber das ist ein Prozess, der bereits vor Jahrzehnten begann.

Ein Gegengewicht zum Blockbusterkino
Mit der Entstehung des Blockbusterformats durch Filme wie Krieg der Sterne oder noch früher Der weiße Hai wurden Produktionen ohne einfach zu beschreibenden Hook (zum Beispiel den beliebten Bodyswitch), der den Zuschauer anzieht, mehr und mehr ignoriert. Streifen wie Stranger Than Paradise waren Teil einer neuen Art, den Independent-Film. Auch Joel Coen und Ethan Coen steuerten mit Blood Simple (1984) oder Penelope Spheeris (The Decline of Western Civilization) etwas zur Offensive bei, die von breiter verfügbaren Produktionsmitteln vorangetrieben wurde und mit John Cassavetes Die erste Vorstellung (1977) oder schon Easy Rider (1969) von Dennis Hopper ihren Anfang fand. Die ersten Oscars gab es für Werke von Steven Soderbergh (Sex, Lügen und Video, 1989) oder Quentin Tarantino (Reservoir Dogs, 1992). Da ist es kein Wunder, dass auch die großen Studios die Geschmäcker des Independent-Publikums bedienen wollten.

Schon in den 80er-Jahren gründete sich 20th Century Fox International Classics mit Filmen wie Ruben, Ruben und Ziggy Stardust and the Spiders from Mars. Später in Fox Searchlight umbenannt, fördert die Subdivision von Fox Entertainment zusammen mit anderen Verleihen wie Summit Entertainment, Paramount Vantage und ab den 90ern insbesondere Miramax für sie vielversprechende Independent-Filme. So bleibt den Filmschaffenden größere Freiheit, die sie mit der PR- und Verleihexpertise der größeren Studios verbinden können. Filme wie Memento, Bube Dame König GrAs, The Virgin Suicides – Verlorene Jugend oder auch Boys Don’t Cry konnten von dieser Entwicklung profitieren. Im Jahr 1991 änderte darüber hinaus das Utah Film Festival seinen Namen zu Ehren seines Präsidenten Robert Redford in Sundance Festival um. Als bekanntestes Independent-Filmfestival konnte es zum Beispiel Robert Rodriguez, Kevin Smith oder Darren Aronofsky zu größerer Berühmtheit verhelfen. Eine Prämierung bei Sundance ist prestigeträchtig und gilt als gute Vorhersage für eine Oscar-Nominierung.

The Rise of Indiewood
Den Verleih von Independent-Filmen durch eigentlich den großen Studios zugehörige Subunternehmen durchführen zu lassen, führte zu einer ganz besonderen Form von Filmlandschaft, die als Indiewood bezeichnet werden kann. Gerade weil mit diesen Filmen gleichzeitig Oscar-Chancen und relativ gute Rendite entstehen, interessieren sich immer mehr Stars nicht mehr nur für Blockbuster, sondern auch für kleinere Filme. Up in the Air, Sideways oder Lost in Translation sind nur einige Beispiele. Sundance konnte durch diesen Umstand ebenfalls zu einer Hybridveranstaltung werden, bei der auch große Verleihe auf Materialschau gehen. Letztes Jahr wurden neun beim Sundance Festival ausgezeichnete Filme für 15 Oscars nominiert. Für die Beste Dokumentation waren es sogar nur Sundance-Gewinner. Das macht Eindruck. Dieser enorme Erfolg führte dazu, dass 45 der auf dem Festival vorgeführten Filme dieses Jahr einen Verleih fanden (gegenüber 15 im Vorjahr).

Eugene Hernandez von Indiewire.com unterscheidet zwischen klassischen Independent-Filmen, die sich “traditionell”, mit mehr Selbsteinsatz und wahrscheinlich Verlusten verbreiten und den Produktionen von Indiewood, die dank guter Werbung, oft Star-Power und Kino-Kontakten doch irgendwie an den Mann kommen. Nach den finanziellen Indie-Hits Blair Witch Project, Fahrenheit 9/11, My Big Fat Greek Wedding – Hochzeit auf Griechisch, Juno oder Napoleon Dynamite verstehen Investoren und Verleihfirmen, dass wenige Kinos nicht gleich wenig Gewinn bedeuten. Die sonst so auf die Eröffnungswochenenden fixierten Studios öffnen sich der vorsichtigen Veröffentlichungspraxis (je nach Erfolg mehr Kinos) der Independents. Dank Pay-TV mit Kanälen wie HBO (der gern mal spezielle Filme zeigt) oder dem Sundance Channel und zahlreichen Vermarktungsmöglichkeiten im Netz schwinden die Risiken für die Verleihe.

Und nun?
The King’s Speech – Die Rede des Königs spielte 135.453.143 Dollar ein und gewann 4 Oscars in diesem Jahr und triumphierte damit über die große Studioproduktion The Social Network. The Kids Are All Right, The Fighter, 127 Hours und Winter’s Bone waren ebenfalls dabei, bekamen Preise und konnten an der Kinokasse punkten (manche mehr, manche weniger). Wer aufpasst, bemerkt die vom Publikum durchaus verlangte thematische Vielfalt, die so langsam auch durch finanziellen Erfolg abgesichert wird. Und auch für die nächsten Oscars kündigen sich sonst kaum gesehene Filme an, die anscheinend auch ohne ihren Oscar-Buzz gut auskommen. Die Filmlandschaft kann jetzt nur noch bunter werden.

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