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Oscars und Obst. Filmpreise und das "Volk". Umsatz und Qualität.

26.02.2015 - 23:07 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Wenn die regionalen Meisterschaften im Graswachsen zu hektisch werden, schau ich mir auch mal wieder die Oscars an.
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Wenn die regionalen Meisterschaften im Graswachsen zu hektisch werden, schau ich mir auch mal wieder die Oscars an.
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Roter Teppich, Snobismus, Jack Black kritisiert und James Gunn jammert zurück. Und warum sollte Barney Stinson überhaupt Hosen anhaben?

Preisverleihungen.
Manchmal frage ich mich, wer solche Dinge erfunden hat. Nicht die Preise an sich. Sondern den Zinnober drumherum. Quasi die Roter-Teppich-Pest. Ist ja nicht nur bei den Filmpreisen so, sondern generell.

Unlängst quälte ich mich durch die Weltfussballergala und dachte so bei mir "das kriegt man auch in 20 Minuten hin, oder schickt dem Ronaldo den Preis einfach per Post". Aber nein, es wurde diesem und jenem gedankt, das Engagement gewürdigt und es gab gefühlt mehr Aufnahmen irgendwelcher unwichtiger Einzelpersonen als es im 2014er WM-Halbfinale brasilianische Tränen gab.

Das ist nun bei den großen Preisverleihungen im Showbiz nicht anders, eher schlimmer.

Wer trägt welches Kleid, von welchem Schmuckhändler sind diese Ohrringe, was der/die/das mit den Haaren gemacht, was ist das denn für ein Makeup? All diese Fragen interessieren mich noch weniger als der Austausch eines Komparsen bei GZSZ. Wie mich auch der Hype um die Preisverleihungen überhaupt nicht interessiert, oder verheulte Danksagungen (meiner Familie, meinen Kollegen, den Science-Fiction Figuren Gott und Darth Vader, meinem Hund, dem Typ, der mein Auto wäscht und mein Koks besorgt, sowie dem kompletten Jim Beam Konzern und so weiter).

Ich bleibe nur für den Superbowl wach, also habe ich wenig bis keine Ahnung, was so während der letzten Verleihungen passiert ist und es lockt mich auch nicht, das im Detail nachzuholen, zumal die meist uninteressanten Highlights sowieso durchs Netz flattern.

Wenn nun Oscarhost Neil Patrick Harris ohne Hosen auftritt, ist das angesichts der Rolle, aus der man ihn kennt nur logisch.

Aber egal, denn das ist alles nicht der Punkt, auf den es mir ankommt.

Was, verdammt nochmal, meine ich also?

Ich meine Filmpreise überhaupt im Allgemeinen und deren Wahrnehmung im Besonderen. Dazu bemühe ich einfach mal die omnipräsente Wikipedia, die zu Filmpreisen folgendes sagt:
"Üblicherweise werden damit filmkünstlerische Leistungen prämiert." und "Es gibt daneben aber auch Filmpreise für kommerziellen Erfolg, so in Deutschland die Goldene Leinwand."

Man beachte das Wort "daneben" im zweiten Satz! In erster Linie wird also die filmische Qualität bewertet. Klingt logisch, den kommerziellen Erfolg kann man ja auch ohne Preisverleihungen aus der Relation von Produktionskosten und Einspielergebnis herauslesen.

Filmpreise sind also Preise, bei denen sich die Jury kritisch mit den künstlerischen Aspekten der Filme auseinandersetzt, im Guten wie im Schlechten, oder dies zumindest tun sollte. Oft genug vermischen selbst "Fachleute" filmische Qualität mit finanziellem Ertrag, quasi so, als würde die FIA den VW Golf zum Formel 1 Weltmeister erklären.

Wie sonst sind beispielsweise die zahlreichen Preise für "Titanic" zu erklären?

Die Bewertung einer Filmkunst sollte also unabhängig von monetären Aspekten erfolgen, weil eben der Zuspruch der Massen wenig bis nichts über Gut oder Schlecht aussagt. Dazu sind Menschen zu komplex. Menschen sprengen sich aus Überzeugung in die Luft, Menschen schaffen es, Kandidaten aus Castingshows an die Spitzen der Musikcharts zu heben, Menschen fahren betrunken Auto, Menschen campieren vor Läden, um ja als Erste das neue Produkt mit einem angebissenen Apfel darauf bezahlen zu dürfen.

Gern bekommt man ja "Snob" und ähnliches an den Kopf geworfen, wenn man die auf Massentauglichkeit vorgeformten Fließbandblockbuster nicht ganz so euphorisch wahrnimmt wie das anvisierte Zielgruppenpublikum. Das ist ungefähr so, als würde man per se jeden Liebhaber solcher Werke als Flachkopf bezeichnen. Wenn ich manche Kommentare zum Artikel über die letzten Razzies lese, hätte das manchmal allerdings Berechtigung.

Wieso also regen sich Fans erfolgreicher oder zumindest umsatzstarker, aber eher mittelprächtiger Produktionen also so gern auf, wenn ihre Lieblinge bei den Kritikerpreisen geflissentlich ignoriert werden oder aber bei den "Antipreisen" als schlechteste Regie, schlechteste Darstellerleistung oder ähnliches (mitunter berechtigt) abgewatscht werden. Was ist das? Realitätsverlust? Will man für darstellerische Ödnis wie "Twilight", "Transformers" oder "The Fast & The Furious" einen Oscar oder für deren elegante Drehbücher? Was soll die Bescheidenheit, warum nicht einen Nobelpreis, oder die Weltherrschaft?

Oder ist es Unsicherheit? Hat man Angst, man könnte den Favoritenfilm weniger mögen, weil ihn Kritiker verreißen? Dann muss einen der Liebling ja echt überzeugt haben.

Oder glaubt man ernsthaft, jemand habe sich verschworen, um einem den Film zu vermiesen? Dass sich Kritiker und Filmwissenschaftler an dunklen Ecken treffen, um dem einen oder anderen Filmschauer in der deutschen Provinz, in der kasachischen Hauptstadt, in einem Vorort von Catania oder in einem New Yorker Einzimmerapartment den Filmgenuss zu verderben?

Antipreise wie die Goldene Himbeere sind ganz sicher etwas oberflächlich, das heißt aber nicht, dass derlei "Ehrungen" unnötig oder gar beleidigend sind.

Es braucht derlei Antipreise, vielleicht in noch professionellerer Form. Nicht bloß als augenzwinkernde Spaßveranstaltung, die hauptsächlich die offensichtlichsten Ziele trifft, sondern als richtige Abrechnung mit nachlässigen Werken.

Film ist eine Kunstform. Es ist nicht schlimm, wenn man daraus dann ein Geschäft macht, das macht ja Filmkunst auch einfacher verfügbar für den Zuschauer. Wenn die Macher dafür aber permanent wichtige Punkte außen vor lasen, dann darf man das schlimm finden und auch kritisieren. Sogar laut und öffentlichkeitswirksam.

Ja, die Razzies haben auch schon Filme und Macher verrissen, die ich mag und nicht mal wenige. Aber deshalb mag ich diese Filme nicht weniger, so wie ich auch "Titanic" trotz seiner unanständig vielen Goldwichte weiterhin unerträglich finde oder "Pulp Fiction" auch ohne Drehbuchoscar ein Meisterwerk wäre.

Ließe ich mein Ego durch Filmpreise erschüttern, die ich für ungerechtfertigt halte, ich würde schon längst irgendwo baumeln.

Für mein Empfinden braucht Film die großen Kritikerpreise, man hat sie sogar bitter nötig. Mir persönlich sind sie noch nicht mal streng genug, selbst wenn sich die Oscars als Flaggschiff dieser Kaste in den letzten Jahren mühsam wieder einiges an Glaubwürdigkeit zurückerkämpft haben. Vielleicht wäre ein bisschen weniger Show und ein bisschen mehr Gehalt in meinem Sinne, aber da ich ohnehin nur für den Superbowl wach bleibe, ist mir die Darreichungsform nicht wirklich wichtig, solange man die Inhalte nicht vergisst.

Könnte ich aber eine Änderung vorschlagen, so würde man die Razzies auf ernsthafte Weise integrieren und den Spaßpreis damit obsolet machen. Schließlich kann man den Fachleuten, die beispielsweise beurteilen können, ob ein Drehbuch oscarreif ist auch zutrauen, beurteilen zu können, ob eben das diametrale Gegenteil der Fall ist.

Und wenn wir einmal dabei sind: Kann man den Leuten, die von der Umsatzstärke auf die Qualität eines Filmes schließen bitte eine Art besonderen Comedypreis verleihen?

Alternativ könnte man ja experimentell mal eine Fußball WM per Internetvoting entscheiden lassen, wenn denn die Wahl des Zuschauers so fundiert ist.

So darf Jack Black eben eine gewisse Einfallslosigkeit beklagen, angesichts der zigtsen Comicverfilmung in den Startlöchern kann man das verstehen. Dass nun ausgerechnet der Regisseur darauf negativ anspringt, der mal eine ansatzweise erfrischende Genrebereicherung vollbracht hat, ist traurige Ironie.

Kurzum: Ich will Kritikerpreise. Ich will sie analytisch und gern auch knallhart. Liebend gern auch noch kritischer als bisher. Wenn sich davon der eine oder andere Blockbusterfan in seiner Ehre gekränkt fühlt, darf er sich ja auch umgekehrt für die Kassenerfolge entschuldigen. Diese Forderung ist natürlich Blödsinn, sie ist ebenso Blödsinn wie die große Empörung, wenn die großen Mainstreamproduktionen bei Kritikern eben nicht dieselbe Beachtung finden wie beim Zielgruppenpublikum.


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