Polizeiruf 110 - Der Tod macht Engel aus uns allen

14.07.2013 - 20:30 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Polizeiruf 110 - Der Tod macht Engel aus uns allen
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Polizeiruf 110 - Der Tod macht Engel aus uns allen
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Der Tod macht Engel aus uns allen heißt der neue Polzeiruf aus München und er ist verworren, aufgekratzt, deprimierend, unerträglich menschlich, kurz gesagt: einer der besten Krimis des Jahres.

Mit leichter sonntäglicher Krimiunterhaltung hat Polizeiruf 110: Der Tod macht Engel aus uns allen so gar nichts zu schaffen. Stattdessen folgen wir Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) wieder einmal hinab in einen Abgrund. Diesmal ist es nicht seine Psyche (Polizeiruf 110: Fieber), wobei diese auch nicht unbeschadet davonkommt. In den Münchner Polizeialltag begibt sich der adlige Kommissar in seinem neuen Fall. Inszeniert von Jan Bonny (Gegenüber) und geschrieben von Günter Schütter (Polizeiruf 110: Cassandras Warnung) ist Polizeiruf 110 – Der Tod macht Engel aus uns allen eine angemessen überreizte Milieustudie ohne beruhigendes Schulterklopfen vor dem Abspann.

Lokalkolorit: Trotz wechselnder Regisseure und Autoren teilen die Krimis um Kommissar Hanns von Meuffels eine präzise Vorstellung ihrer jeweiligen Milieus und räumlichen Umgebung. Das reicht von einem von Schuld zerfressenem Dorf über eine verkeimte Klinik hin zur Klaustrophobie eines Tunnels nach einem Bombenanschlag. Das ruppige, das dreckige München in Der Tod macht Engel aus uns allen ähnelt nun am ehesten Dominik Grafs Giallo-Hommage Cassandras Warnung, ohne aber dass sich eine entsprechend offensive Bildsprache in den Vordergrund rückt. Stattdessen skizziert Regisseur Jan Bonny in brüsken Szenenwechseln und nüchtern gehaltenen Farben einen atmosphärischen Teppich aus alltäglichen Beobachtungen und unerschrockenen Bildern menschlichen Leidens, geboren aus Einsamkeit, Gier oder Gewalt.

Plot: In der Polizei-Inspektion 25 ist eine Transsexuelle ums Leben gekommen. Hanns von Meuffels und Anna Burnhauser (Anna Maria Sturm) müssen nun unter Kollegen ermitteln. Die fünf in der Nacht verantwortlichen Polizisten aber halten dicht. Als einer von ihnen auf Druck von Meuffels auspacken will, endet die Vertuschungsaktion seiner Kollegen in seinem Selbstmord. Während sich der Kommissar allein auf weiter Flur in einer auf Stillschweigen getrimmten Institution wiederfindet, lernt er die ebenfalls transsexuelle Lebensgefährtin der Toten kennen. Almandine (Lars Eidinger) verdingt sich im Rotlichtviertel der Stadt und drängt auf die Aufdeckung der Wahrheit.

Unterhaltung: Der Tod macht Engel aus uns allen ist keineswegs humorlos, dafür sorgt Matthias Brandt mit seinem barschen Adligen einmal mehr. Trotzdem ist es ein aufgekratzter Krimi voller seelischer Qualen, die die Kamera ohne Beschönigung einfängt. Lars Eidinger fügt nach Tatort: Borowski und der stille Gast einen weiteren denkwürdigen Krimi-Auftritt zu seiner Filmografie hinzu, wenn es auch manchmal weh tut, dem an der Oberfläche kochenden Schmerz seiner Figur zuzusehen. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die Leistung Matthias Brandts, dessen von Meuffels den Polizeiruf über alles (vor allem der Psychologin) stehend beginnt und der Schritt für Schritt in eine moralische Zwickmühle gerät, die mit seiner verbissenen Suche nach der Wahrheit so gar nicht zu vereinbaren ist. Am Ende ist da wieder die Psychologin, ein verzweifeltes “Ich…” und eine alles lähmende Sprachlosigkeit ob der Tragweite seiner Entscheidung.

Tiefgang: Gleichermaßen auf die fünf Polizisten, von Meuffels und Almandine verteilt der Polizeiruf seine Aufmerksamkeit. So lernen wir die Hierarchie innerhalb der Gruppe kennen, das reflexartige Zusammenhalten im “kollegialen Nahraum”, sobald Gefahr von außen oder innen lauert. Gleichzeitig beobachten wir sie bei der Arbeit und im Alltag, den Belastungen, die sie in den Feierabend begleiten, selbst wenn diese nur die Gestalt eines Handyvideos beim Abendbrot annehmen. Vereinsamt scheinen sie außerhalb der Gruppe zu sein, genau wie Almandine es nun ist. Die Identitätsstiftung als Selbsterhaltung, die die einen im Kreise ihrer Kollegen zu vollziehen suchen, findet sich für Almandine in einer Operation, in einem neuen Leben. Schon wie im Polizeiruf mit den Kleinigkeiten der Dialoge verfahren wird – die Polizisten bleiben bei der Nennung der Toten stets beim Er, von Meuffels beim Sie – zeugt von der Genauigkeit des Drehbuchs im Umgang mit der Wahrnehmung und den Verschleierungstaktiken seiner Figuren.

In den Feuilletons dürfte nach Der Tod macht Engel aus uns allen wieder einmal davon die Rede sein, dass der Polizeiruf besser sei als der Tatort und da ist auch etwas dran. Das Flaggschiff der Sonntagabendunterhaltung brachte in der Vergangenheit mit Tatort: Macht und Ohnmacht und Tatort: Im Namen des Vaters ähnlich herausfordernde, in ihrer Region geerdete Krimis hervor. Doch zwischen der Fluktuation des Personals, den vermehrt über ihre Pathologie und nicht ihre Fälle skizzierten Kommissaren und jenen Standorten, denen es schlicht an künstlerischem Ehrgeiz mangelt, müssen die Rosinen im Krimieinheitsbrei des Tatorts mühsam herausgepickt werden.

Mord des Sonntags: Ein Handyvideo sagt mehr als tausend Worte.

Zitat des Sonntags: “Menschen wie sie bereichern eine Stadt wie München ungemein.”

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